Ein düsteres Deutschlandbild zeichnet Frauke Finsterwalder in ihrem Film »Finsterworld«, das auf einem Drehbuch von Christian Kracht basiert – und nicht, wie in unserer Oktoberausgabe fälschlicherweise geschrieben, auf einem Roman von ihm. Wissen Sie eigentlich, was ein Vorzeige-Antiheld ist? Nicht? Dann schauen Sie sich unbedingt »Drecksau« an. Wenn Sie es wissen, dann bitte auch. Darüber hinaus können Sie wieder durch die Zeit reisen, Frauen beim Suchen zuschauen, einen kleinen verunsicherten Werwolf begleiten, über Fast Food nachdenken, sich von der Natur in 3D faszinieren lassen, sich gruseln und noch ein bisschen mehr.
Die Sonne scheint ohne Unterlass auf die Menschen in Frauke Finsterwalders »Finsterworld«: auf den mobilen Fußpfleger Claude (Michael Maertens), der auf dem Weg zu seiner Lieblingsklientin im Altersheim ist, auf den Polizisten Tom (Ronald Zehrfeld), der im Kofferraum ein riesiges Stofftierkostüm mit sich führt, auf die Schüler des Geschichtsleistungskurses, die eine KZ-Gedenkstätte besuchen, auf das versnobte Ehepaar (Corinna Harfouch, Bernhard Schütz), das im vollklimatisierten Allradgefährt Richtung Paris braust. Aber unter dem wolkenlosen Himmel braut sich etwas zusammen in den Seelen der Menschen, die dieses befremdlich gut aussehende Deutschland bevölkern. Abweichungen und Abgründe tun sich auf. Die Figuren und Ereignisse verbinden sich zu einem Schicksalsgewebe, das dem Lebensgefühl in diesem schönen, herzlosen Land auf den Grund gehen will. Mit einem kaleidoskopartigen Blick versuchen sich Frauke Finsterwalder und ihr Drehbuchautor Christian Kracht, der für Bestsellerromane wie »Faserland« und »Imperium« verantwortlich zeichnet, an einer seelischen Zustandsbeschreibung Deutschlands. Sollte irgendwann einmal ein Nachfolger für Michael Haneke gesucht werden, gehört Frauke Finsterwalder ganz oben auf die Warteliste. Die ganze Kritik können Sie im Oktober-kreuzer nachlesen.
»Finsterworld«: ab 17.10., Passage Kinos, 7.-13.11., Kinobar Prager Frühling
Mit Verlaub, der schottische Polizist Bruce Robertson (James McAvoy) ist ein echtes Arschloch. Er lügt und betrügt, säuft, nimmt Drogen, er belästigt sogar die Ehefrau seines besten Freundes. Obwohl, nein, wirkliche Freunde hat Bruce nicht. Irvine Welsh hat mit Bruce Robertson in seinem Buch »Filth« einen Vorzeige-Antihelden erschaffen, der sich schwer in 90 Minuten verfilmen lässt. Zu arge Kuriositäten aus der literarischen Vorlage lässt Regisseur Jon S. Baird wohlweislich aus dem Film. Dabei bleiben Hintergrundinformationen auf der Strecke, die den Charakter des korrupten Polizisten abrunden würden. Doch was inhaltlich fehlt, wird im Film durch einen absolut brillanten Hauptdarsteller wieder entschädigt. James McAvoy gelingt es, sich von einer Sekunde auf die andere vom blauäugigen netten Jungen in einen vollkommen Wahnsinnigen zu verwandeln. Sich »Drecksau« im schottischen Original anzusehen, ist dabei unbedingt empfehlenswert. Denn der rotzige Dialekt hat einen großen Anteil an der düsteren Grundstimmung des Films und lässt sich nur schwer ins Deutsche übertragen. Die ganze Kritik können Sie im Oktober-kreuzer nachlesen.
»Drecksau«: ab 17.10., Passage Kinos, ab 14.11., Schauburg, 18.–20.11., Kinobar Prager Frühling
Die 47-jährige Silvi (Lina Wendel) steht vor den Trümmern ihrer Ehe. Ihr Mann hat sie nach einer langjährigen Partnerschaft verlassen, weil er jede Falte an ihr kennt, jede noch so kleine Gewohnheit von ihr verinnerlicht hat und davon mehr als nur gelangweilt ist. Er möchte Neues erleben und entscheidet sich für eine Zukunft ohne Silvi. Auch für seine Ehefrau bedeutet dies, dass sie sich an einem Wendepunkt in ihrem Leben befindet und den möchte sie nicht ungenutzt lassen. Nico Sommer zeichnet in seinem ersten Spielfilm das dokumentarische Porträt einer Frau auf der Suche.
»Silvi«: ab 17.10., Schauburg
Die rote Königin schreitet raumgreifend durchs Bühnenrund. Im üppigen Rauschekleid räkelt sich die Repräsentantin der Macht zu Blondies »One Way Or Another« – für den Tanz vor Männern muss sich die Schauspielerin später rechtfertigen. Denn dies ist keine normale Inszenierung von »Alice im Wunderland«, sie findet im Freedom Theatre im Flüchtlingslager Dschenin statt. Hier sollen Jugendliche eigentlich Selbstvertrauen finden und so etwas wie palästinensische Identität – die patriarchal-religiöse Realität zeigt sich in Wahrheit aber härter als die israelischen Kontrollen. Zwar blendet der Film dieses innerpalästinensische Ringen streckenweise aus, aber leugnen lässt es sich nicht. Schon der Anlass des Films zeigt dies: Der Gründer des Theaters Juliano Mer-Khamis wird 2011 vor dessen Tür von Maskierten erschossen, bis heute schieben sich Hamas und Fatah gegenseitig die Schuld zu. Besagte »Alice«-Inszenierung ist seine letzte Regiearbeit. Der Dokumentarfilm lässt seine Schüler und Mitstreiter zu Wort kommen, etwa über die Kraft des Theaters, wenn sie mit »Warten auf Godot« auf Mer-Khamis' Ermordung reagieren. Die ganze Kritik können Sie im Oktober-kreuzer nachlesen.
»Art/Violence«: 21./22.10., Cinémathèque in der naTo, am 21. mit Filmgespräch
Fast Food scheint die Welt zu kontrollieren. Doch ein kleines italienisches Dorf hat dem Wahn des schnellen Essens den Kampf angesagt. Seit 25 Jahres setzen sich die Bewohner des kleinen Dorfes Bra im Nordwesten Italiens für den bewussten Umgang mit Lebensmitteln ein und haben bisher keinem großen Konzern den Einzug in ihren Ort gestattet. »Slow Food« ist mittlerweile zu einer internationalen Bewegung geworden. Spannender wie unterhaltsamer Dokumentarfilm über die 1986 gegründete Slow Food Bewegung.
»Slow Food Story«: 18., 21.–23.10., Kinobar Prager Frühling
Als Baby wurde der schüchterne Alfie (Ole Kroes) vor der Haustür der Vriends ausgesetzt. In der Nacht vor seinem siebten Geburtstag wird Alfie wach. Den Mond anblickend beginnt der kleine Junge zu heulen und sich schnurstracks in einen Wolf zu verwandeln. Alfie hat keine Ahnung, wie er dies seinen Adoptiveltern (Kim van Kooten, Remko Vrijday) und seinem Stiefbruder (Maas Bronkhuizen) erklären soll – vor allem, da diese so sehr mit den Vorbereitungen für seinen Geburtstag beschäftigt sind. Glücklicherweise ist am nächsten Morgen alles wieder wie gehabt – bis zum nächsten Vollmond.
»Alfie, der kleine Werwolf«: ab 17.10., Passage Kinos
Und für die Naturdoku-Freunde gibt es gleich zwei Happen: Tierfilmer Hans-Jürgen Zimmermann nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise zu den besten Beobachtungsplätzen Deutschlands. Von der Westerwälder Seenplatte über die längst erloschenen Vulkane der Eifel bis zum Steinhuder Meer und den Moorgebieten des Zwillbrocker-Venns.
»Deutschlands wilde Vögel«: ab 17.10., Passage Kinos
Und in »African Safari« dokumentiert ein Filmteam das Leben der Löwen und der vom Aussterben bedrohten Spitzmaulnashörner sowie der Wüstenelefanten, die im Okavango-Delta baden gehen. An der Westküste Namibias beginnend, führt ihr Weg bis auf den Gipfel des Kilimanjaro.
»African Safari« (3D): ab 17.10., CineStar, läuft bereits im Cineplex im Alleecenter
Der 30-jährige Sascha (Matthias Schweighöfer) ist völlig überfordert, als ihm seine Freundin Linda mitteilt, dass sie schwanger ist und das Kind auch behalten will. Sascha hingegen kann sich ein Leben mit Kind überhaupt nicht vorstellen. Vom Schock benebelt verursacht er daraufhin einen Unfall und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Doch zunächst kann Sascha gar nichts machen, denn er ist ans Krankenbett gefesselt und muss sich sein Zimmer zudem mit der 87-jährigen Ella (Ruth-Maria Kubitschek) teilen. Schweighöfer erzählt auf unterhaltsame, wenn auch nicht übermäßig mitreißende Weise die Geschichte eines jungen Mannes, der sich auf eine abenteuerliche Reise mit einer älteren Frau begibt.
»Frau Ella«: ab 17.10., Cineplex im Alleecenter, CineStar
Richie Furst (Justin Timberlake) ist Princeton-Student, allerdings fehlt ihm der nötige finanzielle Rückhalt – und er investiert das bisschen Ersparte in eine Partie Online-Poker. Der anfänglichen Glückssträhne folgt das totale Desaster. Er verliert alles im entscheidenden Spiel. Richie will den Betreiber der Seite ausfindig machen und trifft auf Ivan Block (Ben Affleck), der ein entspannt schickes Leben in Costa Rica lebt. Statt Richie abzuwimmeln, gratuliert Ivan ihm, diese »Hintertür« in seinem Spiel-Code entdeckt zu haben und bietet dem jungen Studenten einen Job mit saftiger Bezahlung an. Ermüdendes Drama im Poker-Milieu.
»Runner, Runner«: ab 17.10., Cineplex im Alleecenter, CineStar
Nachdem Familie Lambert es geschafft hat, ihren Sohn Dalton (Ty Simpkins) aus den Klauen von Geistern und Dämonen zu befreien, verlässt sie den Ort des Geschehens und sucht Zuflucht bei Großmutter Lorraine (Barbara Hershey). Dort wiegen sich Renai (Rose Byrne) und Josh Lambert (Patrick Wilson) in Sicherheit. Doch schon bald machen die Geister sie ausfindig. Holprige Fortsetzung der Familie, die einst in ein Geisterhaus zog.
»Insidious: Chapter 2«: ab 17.10., Cineplex im Alleecenter, CineStar
Am Silvesterabend erfährt der 21-jährige Tim Lake (Domhnall Gleeson) von seinem Vater (Bill Nighy), dass alle männlichen Mitglieder seiner Familie die Fähigkeit besitzen, in der Zeit zurückzureisen und ihr Leben auf diese Weise ändern können. Bald darauf zieht Tim für seinen ersten Job ins hektische London. Dort trifft er Mary (Rachel McAdams), in die er sich sofort verliebt. Unser Autor Martin Schwickert hat sich für uns die melancholisch-schöne Komödie »Alles eine Frage der Zeit« angesehen.
Filmfutter fernab der Neustarts:
Fein.KOst – Tschechisch-Deutsche Kurzfilmnacht
70 Minuten knackige tschechische Filmkost. Erzählt werden Geschichten von einer Frau, die scheinbar ihr Gedächtnis verloren hat, vom Verfall eines Theaters, von der Lausitz oder auch der Todeszone des Fast Foods. Mit Filmgespräch und Gästen.
20.10., Cinémathèque in der naTo
Horror-Doppel mit DONIS
»Eine Abfolge der Scheußlichkeiten« heißt es im Lexikon des internationalen Films über den Horrorsplatter »Großangriff der Zombies« (1980) von Umberto Lenzi, der einen Teil des Zombie-Doppels bildet. »Ein Zombie hing am Glockenseil« aus dem gleichen Jahr von Horrorfilmer Lucio Fulci hatte es auch nicht unbedingt leicht bei den Kritikern. Mal sehen, was Donis dazu weiß.
23.10., LURU-Kino in der Spinnerei
Weitere Filmbesprechungen und -tipps finden Sie hier und in unserer Printausgabe. Gute Unterhaltung im Kinosessel!