Eine komödiantische One-Man-Show von der Bühne auf die Leinwand zu hieven, klingt nach einem nicht ganz leichten Unterfangen. Doch dem französischen Komiker Guillaume Gallienne ist das auf vortrefflichste Weise gelungen. Anders kann man es einfach nicht sagen. Die gleichnamige filmische Adaption seiner in Frankreich überaus erfolgreichen Solo-Bühnenshow »Les garçons et Guillaume, à table!« sorgte in Cannes für Standing Ovations und ist wohl das Zuckerstück im Programm der 19. Französischen Filmtage.
Erzählt wird die Geschichte des kleinen Guillaume – von ihm in Erwachsenenformat selbst. Der Junge muss sich gegen seine neurotische Mutter behaupten und deren Annahme, die im Übrigen von allen in Guillaumes Umfeld geteilt wird, dass er schwul sei. Gallienne hat nicht nur die Regie des mit biografischen Zügen versehenen Streifens übernommen, sondern mimt gleich noch Guillaume und dessen Mutter.
Galliennes unterhaltsames Regiedebüt gehört zu insgesamt 14 Produktionen, die in der kommenden Kinosaison anlaufen und in der Reihe »Neue Filme« präsentiert werden. Auf der Flucht vor dem Scherbenhaufen, der sich einst ihr Leben nannte, trifft die temperamentvolle 60-jährige Bettie bei der Suche nach Zigaretten auf unterschiedliche Männer und unerwarteterweise auf ihren Enkel. »Elle s’en va« von Emmanuelle Bercot, die die Rolle der Bettie extra für Catherine Deneuve geschrieben hat, läuft nicht nur in der Reihe »Neue Filme«. In einem Spezial widmen sich die Filmtage Diven, wie sie einst François Ozon in »8 Frauen« versammelte. Diese erfolgreiche Komödie bildet den Ausgangspunkt für »Les grandes dames«, das eine filmische Reise mit den Hauptdarstellerinnen und weiteren französischen Leinwandgrößen wagt. Neben Catherine Deneuve stehen etwa Fanny Ardant (»Les Beaux Jours«/»Die schönen Tage«), Emmanuelle Seigner (»La Vénus à la Fourrure«/»Venus im Pelz«, Kritik siehe aktuelle Ausgabe des kreuzer), aber auch jüngere Schauspielerinnen wie Cécile de France (»Chanson d’amour«) und Marion Cotillard (»La vie en rose«) im Fokus.
Insgesamt 33 Filme flimmern vom 20. bis 27. November durch die Passage Kinos und die Schaubühne Lindenfels. Die Schaubühne Lindenfels will mit ihrem Programm zu den Franztagen einen Bogen zwischen Gegenwartskino und Filmgeschichte spannen. Mit einer fragmentarischen Filmauswahl nähert sie sich in der Reihe »Perspective Rétro: Extraordinaire« den Filmkünstlern Jean Cocteau (1889 – 1963), Georges Franju (1912 – 1987) und Chris Marker (1921 – 2012) und wirft Schlaglichter auf ganz unterschiedliche Jahrzehnte, Stile und Genres des französischen Films. Eröffnet wird die historische Reise mit dem intensiven Kammerspiel »Les parents terribles« (»Die schrecklichen Eltern«, 1948) von Jean Cocteau (1889 – 1963). Cocteaus Debütfilm basiert auf einem Theaterstück des französischen Künstlers. »Ich bin kein Filmemacher«, sagte Jean Cocteau, der in den unterschiedlichsten Künsten zuhause war. »Ich bin ein Dichter, der die Kamera als Vehikel benutzt, das es allen ermöglicht, gemeinsam ein und denselben Traum zu träumen.« Gleich sein erster Film »Le sang d'un poète« (»Das Blut eines Dichters« 1930) wurde zu einem der prägendsten Filme des Surrealismus – und war zugleich die erste filmische Auseinandersetzung Cocteaus mit dem Orpheus-Mythos. Zwei weitere folgten: »Orphée« (1950) und »Le testament d'Orphée, ou ne me demandez pas pourquoi!« (»Das Testament des Orpheus« 1960). Die Schaubühne zeigt alle drei Cocteauschen Bearbeitungen des antiken Stoffs im ursprünglichen 35mm-Format. Mit Georges Franjus (»Der Mann ohne Gesicht« 1974) folgt die Schaubühne den surrealen Spuren in der französischen Filmgeschichte: Der französische Regisseur fühlte sich eng verbunden mit den Surrealisten. 1935 gründete er zusammen mit dem französischen Filmarchivar Henri Langlois in Paris die Cinémathèque française und trug damit wesentlich zum Verständnis von Kino als Kunst bei. Die Schaubühne zeigt zwei seiner kürzeren Arbeiten: Einer der einprägsamsten Dokumentarfilme von Franju ist der Kurzfilm »Hôtel des Invalides« (»Der Invalidendom« 1951) über das Pariser Militärmuseum, ein »überzeugendes Pamphlet gegen den Militarismus und jeden übersteigerten Nationalismus«. In »Les grand Méliès« (»Der große Méliès« 1952) porträtiert Franju den großen Magier des frühen Kinos. Zur nächsten Generation des französischen Kinos gehört der letztes Jahr verstorbene Chris Marker, der sich in seine Arbeiten immer wieder mit den Themen Krieg und Widerstand auseinandersetzte. Die Schaubühne zeigt »Loin du Vietnam« (»Fern von Vietnam« 1967) und »Une journée d'Andreï Arsenevitch« (»Ein Tag im Leben des Andrei Arsenevitch« 1999).
Eröffnet werden die 19. Französischen Filmtage heute Abend mit François Ozons neuem Film, dem Coming-of-Age-Drama »Jeune Et Jolie« (»Jung und schön«, Kritik siehe aktuelle Ausgabe des kreuzer), das bereits seit letzter Woche im deutschen Kino läuft und ab heute auch in Leipzig zu sehen sein wird.