Leipzig war die erste Station auf einer längeren Reise durch den Osten Deutschlands für den gebürtigen Bayern Daniel G. Schwarz, die die Grundlage für seinen ersten Langfilm »Vom Suchen« bildet und auch Schwarz' Entwicklung als Filmemacher dokumentiert. Über mehrere Jahre hinweg entstanden sieben Kurzfilme mit den Schauspielern Peter Pistivek als Bruno und Heidi Klein als Lisa – beide auf einer Sinnsuche – in Leipzig, Görlitz, Altenburg oder auch Boltenhagen. Diese Kurzfilme hat Schwarz, der in Paris und Hamburg studierte und erste Filmprojekte unter Anleitung von Regisseuren wie Wim Wenders realisierte, nun zu einem collagenhaften, dokumentarischen Spielfilm zusammengefügt.
kreuzer: Du sagst, der Film sei autobiografisch und stelle auch deine Entwicklung als Filmemacher zur Schau. Was heißt das?
DANIEL G. SCHWARZ: Als ich mit der ersten Episode anfing, war ich gerade in der Mitte meines Regiestudiums an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Nach meiner ersten Leipzig-Erfahrung beschloss ich, eine kleine Geschichte zu inszenieren, rund um einen jungen Mann, den ich beim Billardspielen kennengelernt hatte. Erst mit der ersten und der zweiten Episode ist ein Konzept für die weiteren Teile entstanden. Nach einigen Jahren hatte ich schließlich sieben 20-minütige Episoden, mit denen ich auch mein Diplom absolvierte.
kreuzer: Du lässt im Film einen Vater, der seinen Sohn sucht, und eine junge Frau, die sich von ihren Eltern lossagt, aufeinandertreffen und auf die Reise durch den Osten gehen. Inwieweit ist dein Film denn autobiografisch?
SCHWARZ: In beide Figuren sind Teile meiner wie auch der Geschichte der Hauptdarsteller eingeflossen. Wie Lisa komme ich aus einem bayerischen mittelständischen Familienhaus, wie Bruno fühlte ich mich damals als Reisender. Lisa versucht sich von festgelegten Zukunftsvorstellungen zu lösen und Bruno räumt mit seiner Vergangenheit auf. Anhand ihrer Begegnungen und Erlebnisse kommen sie sich selbst näher. Durch das Entdecken von Neuem werden sie mit sich selbst konfrontiert. Diese Vorgehensweise entspricht meiner eigenen Lebensart.
kreuzer: Warum genau musste es Ostdeutschland sein?
SCHWARZ: Es sind vor allem die Geschichten der Menschen hier, die mich reizen. Ich traf zum ersten Mal Generationen, die zwei oder sogar drei verschiedene politische Systeme erlebt hatten, Menschen, die sich in der Mitte ihres Lebens völlig neu orientieren mussten und dadurch mit essentiellen Fragen konfrontiert wurden. Das hat mich fasziniert. Gleichzeitig war ich empört, wie sich unsere Geschichtsschreibung von den persönlichen Erlebnissen unterschied.
kreuzer: Der Film heißt »Vom Suchen«. Wonach hast du denn gesucht?
SCHWARZ: Das Suchen an sich ist ein Zustand, in dem ich mich sehr wohl fühle. Es ist ein Zustand des bewussten Irrens, des Spiels mit einem Ziel. Diese Suche habe ich versucht, auch stilistisch in den Film einfließen zu lassen. Der Film spricht keine einheitliche Sprache, jede Episode benutzt Stilmittel, die ihr ganz eigen sind.
kreuzer: Statt Crowdfunding-Kampagne oder Filmförderung bist du, kann man das so sagen, unters Volk gegangen, um deinen Film zu finanzieren?
SCHWARZ: Ich habe jede Episode einzeln finanziert. Natürlich war es weiterhin ein Studenten- und somit No-Budget-Projekt, aber dennoch brauchten wir einen gewissen Grundstock. Insgesamt habe ich circa 90.000 Euro gesammelt im Laufe der sieben Jahre. Diese wurden mir zum größten Teil direkt in den Orten überreicht. Bürgermeister, große Unternehmen, Vereine und viele Privatpersonen haben mit finanziellen Mitteln und Sachmitteln den Film ermöglicht.
kreuzer: Einige dieser Menschen treten auch vor der Kamera auf.
SCHWARZ: Bevor ich eine Episode gedreht habe, verbrachte ich circa zwei Monate in diesem Ort, um zu recherchieren. Ich traf viele Menschen, die mir ihre Geschichte und die des Ortes erzählten. Einige davon fragte ich anschließend, ob sie nicht Lust hätten, ihre eigene Rolle im Film zu spielen, also sich selbst. Meine zwei Hauptfiguren sind Schauspieler. Mein Ansatz war immer, die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion verschwimmen zu lassen. Manchmal habe ich sie einfach nur mit bestimmten Situationen konfrontiert. Oder anders herum habe ich ihnen Anweisungen gegeben, die die Laiendarsteller nicht kannten.
kreuzer: Die Grenzen verwischst du auch, wenn du die Orte zeigst.
SCHWARZ: Mein Anspruch war es, mit den fiktiven oder besser gesagt essayistischen Episoden subjektive Portraits eines Ortes zu schaffen. Die Inszenierung an sich wollte ich zu einem gewissen Maße durchschaubar gestalten, deswegen auch die immer wieder anderen Stilmittel, das Experimentieren mit Filmsprache. Der Betrachter sollte sich immer eine gewisse Distanz zum Geschehen bewahren.
kreuzer: Wie haben sich die Dreharbeiten über so einen langen Zeitraum gestaltet?
SCHWARZ: Jede Episode war wie ein komplett neuer Film. Das war das Schöne und vielleicht auch der Grund, warum ich so lange durchgehalten habe. Im Rahmen des Konzepts hatte ich eine Art Verpflichtung zum Entdecken, zum Suchen, zum Erleben. Die Mischung aus festem Rahmen und völliger Freiheit hat mir sehr gefallen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mit Heidi und Peter zwei Darsteller gefunden habe, die all die Jahre mitgezogen haben. Ohne sie wäre das natürlich nicht möglich gewesen. Die Teams musste ich immer wieder neu zusammenwürfeln. Das war auf der einen Seite anstrengend, auf der anderen Seite konnte ich viele interessante Filmleute kennenlernen, die mich auch weiterhin in meinen Projekten begleiten.
kreuzer: Musik spielt eine wichtige Rolle, sie gliedert die einzelnen Kapitel. Wie bist du auf die Bands gestoßen?
SCHWARZ: Ja, die Musik gehörte zu meinem festen Konzept. Ich wollte keine typische Filmmusik benutzen, sondern Bands vor Ort suchen, die mir einen Song schrieben oder zur Verfügung stellten. Das ergab einen weiteren authentischen Baustein im Porträt der Orte. Die Musiker kommen fast alle im Film vor. Die Stilrichtungen sind ein kunterbunter Mix und machen aus dem Film eine kleine musikalische Reise, von Deutsch-Rap in Eisenhüttenstadt bis Lagerfeuer-Gitarrenmusik in Boltenhagen.
kreuzer: Zum Ende hin entwickelt der Film eine Sogwirkung und die Geschichte wird als Gesamtheit erkennbar. Woran liegt das?
SCHWARZ: Diese »Sogwirkung« ist ein großes Ziel meiner filmischen Arbeiten. Ich nenne sie manchmal Dramaturgie des Entdeckens. Sie beruht darauf, dass der Betrachter irgendwann aufhört, nach dem einen roten Faden zu suchen, sondern sich hingibt in eine Mischung aus Erleben und Selbstreflektion. Er schwimmt von einer Szene in die nächste, lässt sich überraschen.
777 to Point Zero - a film by Daniel Guenter Schwarz (Trailer, english subtitles) from DGS Filmproduktion on Vimeo.