Der Inszenierung des Dresdner Theater der Jungen Generation gelingt die originelle Auseinandersetzung über den Umgang mit Nazis und den gesellschaftlichen Zustand gleichermaßen, ohne belehrend zu tönen.
»Blut muss fließen« titelt eine Undercover-Doku über das Neonazimilieu. Blut fließt auch in »Cherryman jagt Mr. White«. Doch es sind die Nazis selbst, die hier schlussendlich leiden. In einer Uraufführung zeigte das Theater der Jungen Generation Dresden den viel diskutierten Roman von Jakob Arjouni im Frühjahr 2013. Nun ist das rasante Kopfkino mit schnellen Schnitten auf dem Sächsischen Theatertreffen in Leipzig zu sehen. Regisseurin Ania Michaelis fand eine auch ästhetisch überzeugende Antwort auf die Frage, wie man Nazitum jenseits ausgelatschter Pädagogik-Pfade darstellen kann.
Hauptfigur Rick ist schon da, als die Saaltür aufschwingt. Im leeren weißen Raum der offenen Bühne kauert er am Boden und zeichnet. Mit einem Projektor werden naturalistischen Comic-Skizzen ins Bühnenkarree transportiert. Rick berichtet von Einsamkeit, zeichnet den Apfelbaum, den ihm rechte Mitschüler zerstörten, erzählt von seiner Tante, bei der er seit dem Tod der Eltern lebt. Sofort ist man drin im trostlosen Leben dieses 18-Jährigen irgendwo in der Provinz. Als Hoffnungsschimmer kommt Rick das Angebot vom aalglatten Anzugnazi Pascal vor, in Berlin eine Lehre zu beginnen. Klar, dessen »Heimatschutz« ist kein koscherer Verein. Aber die Kleinstadtbewohner haben mit dem kein Problem, warum sollte er? Und er soll ja nur nebenbei einen jüdischen Kindergarten ausspionieren. Wer kennt schon Juden?
Harter Tobak umweht die Inszenierung. Aufklärungsstoff über frustrierte Rechte, mit denen man mal reden müsste, ist sie nicht. Natürlich erfährt man auch von der Gefährlichkeit anscheinend harmloser Ideen wie die Sorge um die Heimat. Aber die Frage, wie man mit Nazis umgehen soll, beantwortet hier die Kettensäge – und das im Jugendtheater ab 14. Die Regisseurin hat eine kluge Übersetzung des Romans gefunden. Rick spricht das Publikum direkt an, alles, was auf der Bühne zu sehen ist, geschieht eigentlich in seinem Kopf und Comics. Die weiße Bühne ist selbst so ein Bildrahmen, in dem Projektionen die Handlung illustrieren, Leerstellen füllen. Immer wieder unterbricht Rick Szenen mit Erläuterungen und Introspektion. Die Nazidarstellung fällt realistisch aus und wird doch auf Halbdistanz gehalten. Aber nicht weggeschoben. »Cherryman jagt Mr. White« wird zur originellen Auseinandersetzung über den Umgang mit Nazis und den gesellschaftlichen Zustand gleichermaßen, ohne belehrend zu tönen. Nicht jedem wird diese Lösung schmecken, manchem ist die Darstellung Ohrfeigen austeilender Nazis oder einer Kopfschusszeichnung sicherlich zu intensiv.
Vielleicht aber hat Rick noch gar nicht zur Motorsäge gegriffen, ist das nur ein Gedankenspiel? Das hat der Zuschauer zu entscheiden, was nach der dichten, emotional packenden Darstellung so leicht nicht ist. Es fällt jedenfalls schwer, den »Theaternazis« zuzuklatschen, als die Schauspieler sich ihren Applaus abholen.