Familiäre Beziehungen stehen im Mittelpunkt zweier starker und doch sehr unterschiedlicher Dramen, die in dieser Woche in den Leipziger Kinos starten. »Die unerschütterliche Liebe der Suzanne« zeigt in der Form des sozialen Realismus, der an die Filme der Gebrüder Dardenne gemahnt, eine verantwortungslose Mutter, die abhaut und ihr Kind zurücklässt. »No Turning Back« hingegen konzentriert sich auf einen Familienvater, der sein gewohntes Leben im Rückspiegel verschwinden sieht, während vor ihm die Geister der Vergangenheit liegen. Für uns sind das gute Aussichten auf mitreißende Kinoabende.
Film der Woche: Ivan Locke (Tom Hardy) ist ein Mann der Prinzipien – pflichtbewusst in seiner Tätigkeit als Vorarbeiter auf den Baustellen, treu in der bereits 15 Jahre andauernden Ehe zu seiner Frau, liebevoll zu seinen beiden Kindern. Eigentlich sollte er an diesem Abend mit ihnen vor dem heimischen Fernseher sitzen und Fußball schauen, deutsches Bier trinken und Würstchen essen. Stattdessen sitzt er im Auto auf der Schnellstraße nach London. Und das, obwohl am nächsten Morgen der wichtigste Arbeitseinsatz seiner Karriere ansteht. Doch anstatt das Fundament für ein riesiges Gebäude zu legen, muss er sich darum kümmern, sein eigenes Leben wieder ins Lot zu bringen, geradezustehen für seine Fehler und die Blutlinie zu durchbrechen. Ivan Locke sitzt am Steuer und hat sein Ziel vor Augen, davor liegen allerdings eine Vielzahl wichtiger Anrufe. Ivan Locke ist ein bemerkenswert gefestigter Charakter. Doch je mehr die Schicksalsschraube anzieht, desto vehementer entlädt sich die Frustration im Vakuum der Fahrgastzelle. Der Zuschauer sitzt auf dem Platz des Beifahrers, dem ungewissen Ausgang willenlos ergeben. Eine ausführliche Kritik gibt es im aktuellen kreuzer.
No Turning Back: ab 19.6., Passage Kinos
Über einen Zeitraum von 25 Jahren folgt »Suzanne« dem wechselhaften Lebensweg der Titelfigur, die gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Maria nach dem Tod der Mutter beim Vater aufwächst, der sich liebevoll um seine Töchter kümmert. Auch als Suzanne (Sara Forestier) mit 17 schwanger wird, bringt das die Stabilität der familiären Beziehungen nicht aus der Balance. Aber dann verliebt sich die junge Mutter Hals über Kopf in den Kleinkriminellen Julien, brennt mit ihm nach Marseille durch und lässt ihren kleinen Sohn zurück. Regisseur Katell Quillévéré weigert sich, die Figur zu psychologisieren, sondern definiert sie vornehmlich durch ihre Handlungen. Der Film blickt auf das wechselhafte Schicksal seiner unsteten Heldin mit einer Mischung aus Nüchternheit und Empathie, die vollkommen unangestrengt sozialen Realismus mit großem Liebesdrama verschmelzen lässt. Eine ausführliche Kritik gibt es im aktuellen kreuzer. (TEXT: MARTIN SCHWICKERT)
Die unerschütterliche Liebe der Suzanne: ab 19.6., Passage Kinos
Großbritannien, 1987: Bei den Juniormeisterschaften im Salsa liegt dem 13-jährigen Bruce die Welt zu Füßen. Das Tanzparkett ist seine Bühne, der Salsa seine Passion. 25 Jahre später: Bruce fristet ein trostloses Dasein als ebenso beleibter wie unauffälliger Angestellter. Als eine neue Chefin, die umwerfende Amerikanerin Julia, in sein Leben tritt, ist Bruce überwältigt. Doch wie soll er die Aufmerksamkeit einer derart schönen Frau auf sich lenken? Zu allem Überfluss wird sie auch von seinem aalglatten Kollegen Drew umgarnt, der keine Gelegenheit auslässt, Bruce lächerlich zu machen. Da helfen nur noch die pure Leidenschaft und viel »Corazón«. Sehr charmante, aber leider auch sehr vorhersehbare RomCom mit einem bemerkenswert agilen Auftritt von Nick Frost (»Hot Fuzz«).
Cuban Fury: ab 19.6., Cineplex
Paolo verbringt seinen Tag am liebsten in einer Taverne in einem kleinen Dorf nahe Goriza, wo jeder jeden kennt und Gerüchte sich schnell verbreiten. Paolo ist keiner, der Wein predigt und Wasser trinkt, ein 40 Jahre alter Außenseiter, zynisch und menschenfeindlich, ein professioneller Trinker und zwanghafter Lügner, der widerwillig in der Cafeteria eines Altersheims arbeitet und erfolglos dem Traum nachhängt, seine Ex-Frau Stefania zurückzugewinnen. Alles ändert sich, als Zoran auf der Bildfläche erscheint: ein 15 Jahre alter Junge mit dicken Brillengläsern, den Paolo von einer entfernten Verwandten »geerbt« hat, der sonderbar spricht und etwas zurückgeblieben wirkt. Plötzlich ist Paolo Onkel – und er empfindet das als große Last. Erst als er feststellt, dass Zoran ein begnadeter Darts-Spieler ist, ändert er seine Einstellung. Lakonische Komödie mit trockenem Witz und einem melancholischen Grundton, ganz so wie die Filme Aki Kaurismäkis, aber nicht ganz von deren Klasse.
Zoran – Mein Neffe der Idiot: ab 19.6. Schauburg
Die deutschen Rucksacktouristen Katarina und Rutger wollen das »echte« Australien kennenlernen und campen im einsamen Wolf Creek National Park. Unglücklicherweise ist dies auch das Jagdgebiet von Mick Taylor (John Jarratt), einem psychopathischen Serienmörder, der schon zahlreiche Backpacker auf dem Gewissen hat. Auch Surfer Paul (Ryan Corr) gerät ins Visier des Killers. Er macht Bekanntschaft mit Micks Folterkeller und ist dort dessen sadistischen Spielchen ausgeliefert. Während Teil 1 die Story klassisch aus der Sicht der Jugendlichen zeigte, ist Teil 2 die große Psychopathen-Show, dabei aber nie ein zusammenhängender Film. Vielmehr wirkt er wie drei zusammengetackerte Kurzfilme: ein Drittel Thriller, ein Drittel Backwood-Slasher und ein Drittel Torture-Porn.
Wolf Creek 2: ab 19.6. CineStar
Die Filmtermine der Woche
Jalda und Anna – Erste Generation danach
»Es darf Spaß machen, jüdisch zu sein.« Die Künstlerinnen Jalda Rebling und Anna Adam leben zusammen in Berlin. Sie sind Jüdinnen der »ersten Generation« nach der Shoah.
19.6., 19 Uhr, Frauenkultur
Eine Chinesin mit Bach
Die Dokumentation von Michel Mollard begleitet die Pianistin Zhu Xiao-Mei auf ihrer philosophischen Reise zur Musik eines der ihr wichtigsten Komponisten: J. S. Bach. – In Anwesenheit der Künstlerin Zhu Xiao-Mei, mit einführenden Worten und Gespräch nach dem Film.
20.6., 19 Uhr, Passage Kinos
Die Raute im Herzen
Woche für Woche pilgern zigtausende Fußballverrückte in Deutschlands Stadien. Den meisten geht es um 90 Minuten Fußball, ein bisschen Spaß mit Freunden oder einfach nur das Feeling von Atmosphäre, Bratwurst und Bier. Doch für manche geht es noch weiter. Die Dokumentation schaut hinter die Kulissen, wenn aus bloßer Sympathie bedingungslose Liebe wird. Was passiert außerhalb des Spieltags eines solchen Fans? – In Anwesenheit des Regisseurs Nils Bongartz.
21.6., 17.30 Uhr, Cinémathèque in der naTo
Baal
Verfilmung von Bertolt Brechts erstem Theaterstück (1918) von der deutschen Regiegröße Volker Schlöndorff, deren Aufführung von Brechts Witwe Helene Weigel lange Zeit verboten wurde. Der für BR und HR produzierte Film lebt von der darstellerischen Ausnahmeleistung (und den Parallelen zum Leben) von Rainer Werner Fassbinder, der Baal als Kraftprotz mit verlorener Seele spielt. Schlöndorff erlaubte sich Freiheiten und siedelte ihn 1968 in der Zeit der studentischen Revolte und sexuellen Befreiung an.
22.6., 18 Uhr, 23., 25.6. 20 Uhr, Cinémathèque in der naTo
Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Im Takt der elektronischen Kommunikationsmittel hetzen wir von einem Termin zum anderen. Doch für die wirklich wichtigen Dinge, wie Freunde und Familie, scheint die Zeit nicht mehr zu reichen. Wer oder was treibt diese Beschleunigung eigentlich an? Ist sie ein gesellschaftliches Phänomen oder liegt alles nur am mangelhaften Zeitmanagement des Einzelnen? – Gast: Florian Opitz
24.6., 19 Uhr, Cinémathèque in der naTo
Queerblick: Beautiful Love (OmU)
In den neunziger Jahren angesiedelte Highschool-Romanze. Der australische Film wurde mit einem winzigen Budget realisiert und weckt wohlige Erinnerungen an die allumfassende Macht der ersten Liebe. »Beautiful Thing« trifft »Romeo and Juliet«. – Queerblick
25.6., 19.30 Uhr, Passage Kinos
In-Laws New Year (OmeU)
Die jungen Eheleute Zhang Xuelun (Wen Zhang) und Zheng Dandan (Liu Yun) genießen das Leben in Beijing. Doch da kündigen die Eltern einen Besuch für das Neujahrsfest an. Keine gute Aussicht, denn um die Finanzen aufzubessern, hat Dandan das Apartment verkauft, für das Dandans Mutter Geld vorgeschossen hat – ohne deren Wissen. Nun tun Xuelun und Dandan alles, um dies vor den Eltern zu verbergen und ihre kleine Wohnung als Luxusapartment darzustellen.
25.6., 19 Uhr, Konfuzius-Institut Leipzig