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Kultur

Pippi, Kacka, Kopfabschneiden

Rein oder nicht rein?: »Hamlet« geht in Blut, »Buh«s und Tränen unter

  Pippi, Kacka, Kopfabschneiden | Rein oder nicht rein?: »Hamlet« geht in Blut, »Buh«s und Tränen unter

So, nun hat Leipzig mal wieder einen kleinen Theaterskandal. Statt sich auf Stück-Konzeption und Figurengestaltung zu konzentrieren, legte Thomas Dannemann für »Hamlet. Prinz von Dänemark« alle Energie in die Produktion eines Splatter-Video-Clips. Viel Zeit für anderes – zum Beispiel Proben – scheint der Regisseur da nicht mehr gehabt zu haben. Das zumindest schreit laut heraus aus diesem zusammen geklöppelten Abend Irgendwas, der mit einer kleinen Gewaltporno-Provokation die neue Schauspielspielzeit eröffnete.

»Mach Schluss mit dem Gehampel!«: Die an Hamlet gerichtete Aufforderung erntet leisen Zwischenapplaus. Der mag aber lieber noch eine Weile Stück im Stück spielen, bevor er 60 Minuten später sein Ende auf der Fleischbank findet – unter allgemeinen »Buh«-Rufen des Publikums. Denn nach fast dreieinhalb Stunden Langeweile fühlten sich viele Zuschauer vom abschließenden Horror-Filmchen überfordert, verhöhnt oder angewidert. Klar, am Schluss sind die Figuren (fast) alle tot bei Shakespeare. Warum sie in Dannemanns – zeichnete auch fürs Bühnenbild verantwortlich – Bearbeitung in einer bluttriefend-oppulenten Selbstzerfleischung untergehen sollen, erschließt sich nicht. Zumal der Regisseur unbedingt, und hieran entzündete sich die Publikumschelte, unbedingt eine Enthauptungsszene à la Islamischer Staat unterbringen musste.

Nachdem gerade die Klassikerinszenierungen der vergangenen Spielzeit brav und gefällig ausfielen, wollte das Schauspiel nun wohl mit einer bewussten Provokation auf Nummer Sicher gehen – was misslang. Es geht hierbei nicht darum, ob man Blut und Nacktheit seinem Publikum zumuten kann oder gar muss. Das ist eindeutig mit »Ja« zu beantworten, wenn es sich inhaltlich-dramaturgisch fügt. Das trifft auf diesen »Hamlet« aber nicht zu, und das schlussendliche Kunstblutgepansche als geschmacklos zu bewerten, hat mit Prüderie oder Jugendschutz nichts zu tun. Denn wenn nach einem schlecht zusammengestoppelten komatösen Mosaik die Jigsaw-Puppe aus der »Saw«-Horrorfilm-Reihe im Dreirad vorfährt, um den finalen Aderlass einzuleiten, ist der gewollte Tabubruch einfach abzusehen. Gewiss, nicht jeder Zuschauer verfügt über Splatter-Sehgewohnheiten, was schon einiges über die Berechenbarkeit dieses Ansatzes aussagt. Därme windende Schauspieler, die in einer ausgedehnten Gewaltorgie ausbluten, mögen Wohlmeinende als »polarisierend« abbügeln, es ist aber nichts anderes als platt. Denn was das alles soll, kann die Inszenierung nicht beantworten.

»Hamlet« ist so häufig interpretiert worden, dass man sich hier offenbar nicht anders zu helfen wusste, als dem Stoff mit billigsten Aktualisierungsversuchen und plumpen Regieeinfällen einen eigenen Dreh zu geben. Dabei schimmert mal die »Hamletmaschine« (Heiner Müller) durch, werden Comedian Kurt Krömer wie die Comedian Harmonists heranzitiert. Dann wieder sucht Deutschland seinen Superstar. Wenn von eingeschifftem Reisegut und günstigen Winde gesprochen wird, muss natürlich eine bepisste Hose gezeigt und mit nacktem Arsch gefurzt werden. Der Geist von Hamlets Vater schmeißt ein bisschen mit Scheiße aus seiner Greisen-Windel, wenn er nicht als Skelett herumgeistert. »Ehrlicher ist ein ehrlicher«: So klingt modernisierter Text anno 2014 als Leipzig-»Tatort«-Anspielung.

Dabei fällt die Grundkonzeption der Inszenierung erst einmal positiv auf. Der Bühnenraum ist bis auf ein Gehäuse aus Holz und Plexiglas leer. Das mutet über den Abend mal wie eine jener mondänen Villen an, in denen im öffentlich-rechtlichen Krimi immer die angeblich normalen Menschen wohnen. Mal ist es Burg, dann Klosett, Abdeckerei. Daraus ergibt sich allerdings das Problem, dass viele Szenen hinterm Plexiglas stattfinden, weshalb die Schauspieler mit Funkmikrophonen ausgestattet sind. Über blecherne Megafon-Lautsprecher am Bühnenrand – wohl als Reminiszenz an die revolutionären Momente 1989 gedacht – spult sich folglich das verbale Geschehen ebenso blechern ab. Vielleicht soll die maschinelle Unterstützung auch die schlechten Leistungen der meisten Mimen kaschieren? Möglicherweise kommen deshalb auch so viele Videoprojektionen zum Einsatz, wird im Gewaltporno ganz auf Filmästhetik gesetzt? Jedenfalls erlebt das Schauspiel im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit auf dieser Bühne keinen Gewinn.

Wenn Ophelia ins Wasser geht, erscheint ihr Kopf mit Schnorchel in einem Aquarium. Was sie sagt, ist unverständlich, aber das Publikum wird doch wohl textsicher sein? Dass nicht jeder die stellenweise im Hintergrund laufenden Videoprojektionen sehen kann, macht da auch nichts. Es erschließt sich ohnehin nicht, was Havel, Ceaușescu und Erdogan hier konkret zu suchen haben – ebenso wie unmotivierte Salafisten-Anspielungen und ein bisschen Revolutionskitsch marschierender 89-Demos. Das ist wohl ein Zugeständnis ans Spielzeitmotto »Zeiten des Aufruhrs«. Lenkt Dannemann den Blick vom Individuum Hamlet ein Stück weit weg und nimmt die ganze Clique als Gesellschaft in den Blick, ist das konsequent. Daher mag er seine Hamlet-Figur auch dermaßen schwach ausgestaltet haben. In ein, zwei starken Momenten wirkt dieser auch wie ein wandernder Exilant, der sich von einer existenzialistischen Situation in die nächste Krise, den nächsten Panikraum schleppt. Während der Rest nur blafft und gafft. Doch dieser Ansatz gerät alsbald aus den Fugen, wenn sich neben der Misere der schauspielerischen Qualitäten noch die Tristesse eilfertiger Regieeinfälle gesellt. Beim Meditieren übers Sein und das Nichts dominiert hier eindeutig zweites.


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