Die DOK-Woche liegt hinter uns und vielen wohl noch in den Knochen. Ein schönes, spannendes und bewegendes Festival war das, wie man auch dem dok-blog entnehmen kann. Nun nimmt Claas Danielsen seinen Hut (und Schal) und wir fiebern dem 58. Jahrgang entgegen und sind gespannt, was Leena Pasanen für ihr Debüt bereithält. Vorher werden aber hoffentlich noch viele der beeindruckenden Dokumentarfilme, die in der letzten Woche für volle Leipziger Kinos gesorgt haben, ihren Weg in die Welt hinaus und auch auf deutsche Leinwände finden. So wie »Citizenfour«, der Grand Coup des Festivals, der schon Wochen zuvor die Medien erhitzte und sicher noch lange diskutiert wird. Wer nicht so glücklich war, für eine der ausverkauften Vorstellungen beim DOK Leipzig Karten ergattert zu haben, hat nun die Möglichkeit ihn in gleich zwei Leipziger Kinos nachzuholen. Gespräche mit der Regisseurin gibt es zwar im Anschluss nicht, aber dafür hat man ja Nebenmann und -frau.
Film der Woche: Alles auf der Welt hat seinen Preis. Diese Regel gilt auch für Tansania, Spielort des fesselnden Coming-of-Age-Dramas »White Shadow«: Menschen bezahlen dort auf den Straßen ganz normal für ihre CDs, Sonnenbrillen und ihr Fleisch zum Abendessen. Andere werden dafür bezahlt, dass sie bei der Beerdigung Fremder weinend mitlaufen. Der europäische Elektroschrott wird von Halden zusammengesammelt und weiterverscherbelt. In dieser Welt bringen auch Albinos Geld ein, da Schamanismus und Aberglaube bei ihnen Zauberkräfte vermuten. Allerdings unter einer Bedingung: Sie müssen tot sein. Für ein Herz gibt es 5.000 Dollar, wer im Besitz einer Hand ist, dem winkt beruflicher Erfolg und, ist er ein Mann, Potenzsteigerung bis zur Glückseligkeit. Oftmals sind Gewalt und Verbrechen notwendige Bedingungen einer organisierten Existenz. Vor solch einem Hintergrund bewegt sich der Albinojunge Alias (Hamisi Bazili) durch sein Leben und ist aufgrund seiner Hautfarbe ständiger Beobachtung und Lebensgefahr ausgesetzt. Formal kreiert Regisseur Noaz Deshe in seinem Erstlingswerk (!) mithilfe aller filmischen Mittel einen sogartigen Ausnahmezustand: Der impressionistische Bilderreigen ist unterbrochen durch schnelle, wüste Schnitte, zu hören sind poetische Stimmfragmente aus dem Off und düstere Geräuschsymphonien. Eine explosive Studie über Mythen, Eskalation und Gerechtigkeit, bewundernswert und kompromisslos. Ausführliche Kritik von Stephan Langer im aktuellen kreuzer.
»White Shadow«: ab 6.11., Kinobar, ab 18.11., Cineding, ab 27.11., Schaubühne Lindenfels
»Citizenfour« ist einer jener Dokumentarfilme, bei denen man sich ein wenig schwer tut, ihn mit herkömmlichen Kategorien zu rezensieren – wegen seines aktuellen Themas, den Umständen seiner Entstehung und der Tatsache, dass er versucht, sich einem Mythos zu nähern, der seit letztem Jahr als »Edward Snowden« durch die Informationskanäle geistert. Bereits Anfang 2013 meldete sich der ehemalige US-Geheimdienst-Mitarbeiter bei der Filmemacherin Laura Poitras. Sie war die Erste, der sich Snowden anvertraute, auch weil sie mit ihrer bisherigen Filmarbeit selten einen bequemen Weg einschlug und das technische Know-how für einen verschlüsselten Kontakt besaß. In ihrem Dokumentarthriller schildert sie nun, wie Snowden zum berühmtesten Whistleblower wurde. Zusammen mit dem Journalisten Glenn Greenwald trifft sich Poitras mit dem Unbekannten in einem Hongkonger Hotel. Die Tage streichen vorüber, brisante Informationen kommen zum Vorschein und auch die Paranoia bei den Beteiligten wächst. »Citizenfour« ist weder Snowden-Porträt, noch will er weitere pikante Details im Überwachungsskandal aufdecken. Poitras’ Augenmerk liegt darauf, wie sich die Ereignisse seit der ersten Kontaktaufnahme Snowdens Anfang 2013 auch fernab des Medienrummels entwickelten – wie in einem Thriller für die große Leinwand, nur dass das hier tatsächlich geschehen ist. Ausführliche Kritik von Eileen Reukauf im Dok-Blog.
»Citizenfour«: ab 6.11., Kinobar Prager Frühling, ab 9.11., Passage Kinos
Satte 170 Minuten im Astronautensitz, während Hans Zimmers von Philip Glass inspirierter Score dröhnt und die Schwerkraft einen förmlich zu Boden drückt. Am Ende von »Interstellar« ist man entsprechend gerädert. Aber was für ein Trip ist Nolans Neuer geworden! Visuell überwältigend, fulminant aufgespielt von McConaughey in der Hauptrolle, intelligent erzählt auf einer philosophischen, zutiefst humanistischen Ebene. In allen Belangen hält Christopher Nolans erster Film nach dem Ende der Batman-Trilogie weit mehr als der herkömmliche Blockbuster bereit. Auch wenn die Story nicht ganz so clever verschachtelt ist wie in seinem Hirnverdreher »Inception« und trotz einer deutlich überhasteten Prämisse und einer unbefriedigenden Konklusion ist »Interstellar« pures Kintopp vom Feinsten. Wenn der Film bereits nach 45 Minuten ins All startet, gibt es kein Halten mehr – sofern man bereit ist, sich treiben zu lassen. Dann erwartet einen eine Hommage an die Siebziger, der goldenen Ära des Science Fiction, gepaart mit der technischen Raffinesse von »Gravity« und der fortwährenden Suche nach dem Sinn des Lebens.
»Interstellar«: ab 6.11., Regina Palast, CineStar, Cineplex
»Dieses Land will Zuckerguss, das will die Wahrheit nicht wissen«, wird dem jungen Staatsanwalt Johann Radmann entgegnet, als er Ende der fünfziger Jahre geradezu unbedarft die Ermittlungen zu den Verbrechen in Auschwitz aufnimmt. Im Zeichen des Wiederaufbaus sind die Nazi-Greueltaten mit einem Schleier des Stillschweigens überzogen worden. Giulio Ricciarellis Film beginnt fünf Jahre vor dem Prozessauftakt, im Jahr 1958, als ein Freund des Journalisten Thomas Gnielka einen Grundschullehrer als ehemaligen KZ-Aufseher enttarnt. Im Gewand eines Thrillers setzt Ricciarelli akribisch die Bausteine der Ereignisse zusammen und nimmt sich dennoch die künstlerische Freiheit, seine Geschichte mit fiktiven Elementen dramatisch voranzutreiben. So stellt er seinen Protagonisten Radmann auch eine etwas halbseidene Liebesbeziehung zur Seite. Je mehr der junge Staatsanwalt in die Vergangenheit eintaucht, desto mehr verdichtet sich die Inszenierung und er droht sich in einem undurchschaubaren Geflecht an Fakten und schweigenden Mitwissern zu verirren. Ricciarelli inszeniert die damaligen Ereignisse nicht als klassische Geschichtsstunde. Vielmehr bereitet der Italiener mit einem starken Ensemble ein Stück deutsche Geschichte überzeugend für die große Leinwand auf. Ausführliche Kritik von Eileen Reukauf im aktuellen kreuzer.
»Im Labyrinth des Schweigens«: ab 6.11., Passage Kinos
Die Filmtermine der Woche
Augen ohne Gesicht – Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff
Eine Villa am Stadtrand von Paris: Hier leben der bekannte Pariser Chirurg Dr. Génessier, seine Tochter Christiane und seine Assistentin Louise. Christiane bewegt sich wie ein einsamer Geist durch das Anwesen, in dem alle Spiegel verhängt sind. Italienischer Klassiker des europäischen Horrorkinos von Georges Franju aus dem Jahr 1960.
8.11., 20 Uhr, 10./11.11., 22 Uhr, Cinémathèque in der naTo (OmU)
Vom Grand Café zu Griffith
Kurzfilmprogramm mit Filmen aus der Ära der Weimarer Republik. Kinoorgel live mit einer Einführung von Claudia Cornelius und Veit Heller.
8.11., 16 Uhr, Grassi-Museum Leipzig
Das siebente Siegel
Ein Kreuzritter kehrt in seine von der Pest verwüstete Heimatstadt zurück und fordert den Tod zu einem Schachspiel heraus, das letztlich nur um eine Frage kreist: die Frage nach der Existenz Gottes. Bergman vom Feinsten: kontrastreiche schwarzweiße Bilder, einzigartig stimmungsvolle Szenerien, grandiose Schauspieler und ein Weltpanoptikum, in dem Alltagsbeobachtungen neben philosophischen Fragen stehen.
9.11., 17.15 Uhr, Regina Palast
Der Dachdecker von Birkenau
Mordechai Ciechanower überlebte im Zweiten Weltkrieg das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo er im Dachdeckerkommando arbeitete. Dokumentarfilm von Johannes Kuhn.
9.11., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Kinotour Goldener Spatz
Das Kinderfilmfestival in Erfurt auf Tour mit einem Kurzfilmprogramm.
9.11., 15 Uhr, Passage Kinos
Das Ding am Deich – Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk
Dokumentation über den Kampf gegen und das Leben mit einem AKW vor der Haustür. Die Filmemacherin Antje Hubert ist ein Jahr lang in die Erinnerungen der widerständigen Anwohnerinnen und Anwohner eingetaucht und hat die Interviews mit Archivmaterial kombiniert. Sie zeigt ein Stück Geschichte und wie der Widerstand Menschen verändert hat. Hat sich all das gelohnt?
10.11., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum
Best of 2014 OderKurz-Filmspektakel
Eine Auswahl des 4. Kurzfilmfestivals im Oderbruch.
12.11., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Ferner schöner Schein
Wilhelm Sasnal ist in der Kunstwelt schon lange kein Geheimtipp mehr. Als Maler der jüngeren Generation stellt er weltweit aus und erzielt Spitzenpreise. Nun wagte er sich gemeinsam mit seiner Frau erstmals an einen Spielfilm und überraschte Kunst- und Kinofreunde mit einem atmosphärisch dichten, düsteren Provinz-Drama in origineller Ausgestaltung. In Zusammenarbeit mit dem Polnischen Institut.
12.11., 20 Uhr, Cinémathèque in der naTo (OmU)
Human Scale
Dokumentation von Andreas Dalsgaard über die weltweit voranschreitende Verstädterung und den Versuch, diese mit Architektur positiv zu gestalten. In Zusammenarbeit mit Ökolöwe e.V.
6./7.11., 17 Uhr, 12.11., 16.30 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Postmen in the mountains
Als der Vater in Rente geht, übernimmt sein Sohn den gefährlichen Job als Postbote in den Bergen Hunans. Chinesischer Spielfilm von 1999.
12.11., 19 Uhr, Konfuzius-Institut Leipzig (OmeU)