Nun beginnt also der Filmfestival-Reigen im November, der Leipzig diesmal mit voller Wucht heimsucht. Die 5. Lateinamerikanischen Tage (13.-25. 11.) und die Nordischen Filmtage (13.-19.11.) beginnen bereits in dieser Woche, die 20. Französischen Filmtage (19.-26.11.) folgen in der nächsten. Optimisten sagen vielleicht: »Da ist für jeden was dabei!« Aber ist es wirklich sinnvoll, sich das Publikum gegenseitig streitig zu machen? Sind dabei nicht alle die Verlierer? Die Freunde der Filmkunst, die sich dieser Tage dreiteilen müssen und die Initiatoren der Festivals, die für ihre Filmauswahl nicht die volle Aufmerksamkeit erhalten. Schuld ist daran auch die Kulturförderpolitik, wie das Schicksal der Argentinischen Filmtage zeigte. Da es die nötigen Zuschüsse nur im Herbst/Winter gibt, hatten sie damals auf Förderung verzichtet und das Festival ins Frühjahr gehoben. Jene Ausgabe war dann leider auch die letzte. Nun denn, feiern wir die Vielfalt und räumen den Terminplan für spannende Kinostunden jenseits der Multiplexe.
Film der Woche: Der Tagelöhner Lou Bloom geht in Pfandhäusern ein und aus und verscherbelt Diebesgut auf dem Schrottplatz. Bis er eines Nachts einen Nightcrawler bei der Arbeit beobachtet. Die schillernde Spezies ernährt sich von dem Leid derer, die es vor seine Kamera bekommt. Nacht für Nacht suchen sie tödliche Unfälle, Mordopfer und ihresgleichen – je blutiger, desto besser wird bezahlt. Lou entdeckt die Faszination dieser Profession und hat Talent, das die Chefin der Newsredaktion eines kleinen Lokalsenders entdeckt. Sie motiviert ihn dazu, weiter zu machen, allerdings ahnt sie ebenso wenig wie Lous Assistent Rick wie weit Lou bereit ist zu gehen, um seine Ziele zu erreichen.
In Optik und Atmosphäre der Achtziger, als VHS die Welt beherrschte und alles möglich schien, inszenierte Dan Gilroy sein Debüt. Das erinnert gelegentlich an »Drive«, besonders in den Eruptionen der Gewalt und wenn Lou mit seiner blutroten Corvette über die nächtlichen Straßen L.A.’s heizt. Gilroy ist aber eher an einem Psychogramm seines Protagonisten gelegen und Gyllenhaal nimmt die Herausforderung dankbar an. Seinen stechenden Blick wird man nicht los, wenn längst der Morgen graut. Ausführliche Kritik im aktuellen Heft.
»Nightcrawler«: ab 13.11., Regina, Cineplex
Paul (Daniel Auteuil) ist ein erfolgreicher Arzt, ein Fachmann auf seinem Gebiet. Privat ist er seit über 30 Jahren glücklich mit Lucie (Kristin Scott Thomas) verheiratet. Doch dann trifft er zufällig auf die junge, geheimnisvoll attraktive Lou (Leila Bekthi). Sie ist Studentin, unangepaßt und frei. Pauls Leben gerät aus den eingespielten Bahnen. Blumensträuße, immer rote Rosen, tauchen auf. Zuerst bei der Arbeit, dann auch zu Hause, ohne daß irgendjemand weiß, woher sie kommen. Und nach einem Zusammenbruch bei einer Operation wird er gegen seinen Willen beurlaubt. Auch seine Frau und der gemeinsame, erwachsene Sohn sind ihm fremd geworden. Aber in der Gegenwart von Lou taut Paul zusehends auf, obwohl er ihr anfangs eher ablehnend gegenüberstand. Durch die Begegnung mit ihr fragt er sich, ob er in seinem Leben immer die richtigen Entscheidungen traf. Doch Lou umgibt ein Geheimnis. Auch Gérard (Richard Berry), sein angeblich bester Freund, wird immer mehr zum Rivalen. Er ist nicht nur seit Jahren in Pauls Frau Lucie verliebt, sondern behandelt als Psychiater plötzlich auch Lou. Bevor der Winter kommt, lebt Paul noch einmal auf. Dann fallen die Masken der bürgerlichen Idylle. Geheimnisse werden entlarvt. Es kommt zu einem Todesfall. Paul wird von der Polizei verhört. Nichts ist mehr so, wie es war. Philippe Claudel (»So viele Jahre liebe ich dich«) inszeniert ein stilles Drama mit einem herausragenden Hauptdarsteller. Auteuil trägt den Film allein. Kristin Scott Thomas glänzt als frustrierte Gattin. Dazwischen nimmt sich Claudel viel Zeit für Atmosphäre.
»Bevor der Winter kommt«: ab 13.11., Passage Kinos
Nichts in ihrer Umgebung ist ihr vertraut: Christine Lucas (Nicole Kidman) erwacht jeden Tag verängstigt und verwirrt. Sie schläft neben einem Mann, der sagt, er sei ihr Ehemann, in einem Haus, von dem er sagt, es gehöre ihnen. Sie hält sich für eine alleinstehende Frau Mitte zwanzig, doch in Wirklichkeit ist sie verheiratet und vierzig Jahre alt. Christine leidet an psychogener Amnesie, bedingt durch einen traumatischen Unfall. Sie erinnert sich an nichts aus ihrer näheren Vergangenheit – auch nicht an den Unfall selbst oder ihre Ehe mit Ben (Colin Firth). Ben muss ihr jeden Tag wieder sagen, wer er ist, und von ihrem gemeinsamen Leben erzählen. Er klärt sie über den Autounfall Jahre zuvor auf und dass sie deshalb ihr Gedächtnis verloren hat. Sie kann sich an die Informationen des jeweiligen Tages erinnern, doch jede Nacht, wenn sie schläft, ist alles, was sie über sich selbst, ihr Leben und über die Ursache ihres Zustands gelernt hat, wieder verschwunden. Wem kann sie trauen? Wer sagt die Wahrheit? Rowan Joffes (»Brighton Rock«) Thriller behandelt diese Fragen über weite Strecken spannend. Die Darsteller überzeugen, allen voran Nicole Kidman, die den schwierigen Part gut bewältigt. Am Ende ist die Verfilmung des Romans von S.J. Watson allerdings allzu verkitscht, was man gerne verzeiht, schließlich bietet der Rest gelungene Thrillerunterhaltung.
»Ich. Darf. Nicht. Schlafen.«: ab 13.11., Schauburg, CineStar
Der kreuzer verlost 3 Pakete mit Freikarten, Soundtrack und »Fettnäpfchenführer Irland« (Conbook Medien Verlag) zum großartigen, schwarzhumorigen Kleinstadtthriller »Am Sonntag bist du tot«, der derzeit in den Leipziger Kinos läuft. eMail mit Betreff »Totensonntag« an film@kreuzer-leipzig.de
Die Filmtermine der Woche
5. Lateinamerikanischen Tage
Zum fünften Mal bereits gewähren die Lateinamerikanischen Tage einen Einblick in die Kinematografien des südamerikanischen Kontinents
13.-25. 11., Schaubühne Lindenfels, Cinémathèque in der naTo, Cineding, GWZ, http://lateinamerikanische-tage.de
Nordische Filmtage
Die Kinobar Prager Frühling und das UT Connewitz bieten wie in jedem Jahr, wenn es kalt wird, auch heuer wieder einen Einblick ins nordische Filmschaffen. Diesmal widmet man dem Autor, Regisseur und Produzenten Anders Thomas Jensen eine Werkschau. Mit dem Lawinendrama »Höhere Gewalt« und der schwarzhumorigen Moritat »Einer nach dem Anderen« von Hans-Petter Moland gibt es zudem zwei skandinavische Co-Produktionen noch vor dem Kinostart zu sehen.
13.–19.11., Kinobar Prager Frühling, UT Connewitz
Klangkino
Film mit Livemusikbegleitung. Die Band C.U.B.E. vertont die Dokumentation über das legendäre Studio »Sound City« (USA 2013).
15.11., 19 Uhr, Cineding
Außer Atem
Godards Erstlingsfilm von 1960 und Nouvelle-Vague-Klassiker über einen kleinen Ganoven, der von seiner Freundin an die Polizei verraten wird. Eine Huldigung an Humphrey Bogart und die B-Filme Hollywoods. Im Rahmen der Klassik-Filmreihe im Regina (OmU).
16.11., 17.15 Uhr, Regina Palast
Das Filmriss Filmquiz
Der Vorhang hebt sich, die Titelmusik beginnt, ein Geistesblitz und ihr seid um ein T-Shirt reicher. Ein Auto fährt vor, Bruce Willis steigt aus, ihr wisst bescheid und die DVD gehört euch. Ihr singt die Bond-Songs unter der Dusche und werft eurem Spiegelbild nen Schwarzenegger-Spruch entgegen, wenn keiner hinhört? Dann seid ihr hier genau richtig! Talent wird mit Bergen voll Goodies, Merch und Krempel aktueller Kinoproduktionen belohnt. Hier wird der Film gefeiert und in Erinnerung an unvergessliche Szenen, Sets und Zeilen geschwelgt. Auf der großen Leinwand, in Technicolor und Dolby Stereoton. Der Autor dieser Zeilen und André Thätz fragen sich quer durch die Filmgeschichte. Denn sie quizzen nicht, was sie tun.
18.11., 20.30 Uhr, Conne Island
Die Völkerverständigung klappt doch ganz gut ...
Die Tour International Danubien führt über 2.500 Kilometer die Donau entlang. Der Leipziger Historiker Daniel Weißbrodt ist mitgefahren und hat einen Dokumentarfilm daraus gemacht. Premiere mit anschl. Publikumsgespräch. Mehr Informationen zum Film gibt’s im aktuellen Heft.
18.11., 20 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Frauenträume
Die Leiterin einer Modeboutique begleitet ihr junges Model Doris zu Fotoaufnahmen nach Göteborg. Dort sucht sie sehnsüchtig ihren vermissten Liebhaber auf, und Doris lässt sich auf ein Techtelmechtel mit einem älteren Mann ein, der sie auf der Straße anspricht. Beide Männer entpuppen sich jedoch letztendlich als herbe Enttäuschungen. Frühwerk von Ingmar Bergman aus dem Jahre 1955. In OmU.
18.11., 21 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Unikino: Herzensbrecher
Francis und Mary sind beste Freunde. Beide verlieben sich in Nicolas und geraten prompt in ein Liebesduell. Jungtalent Xavier Dolan schöpft erneut aus dem ästhetischen Wundertopf und erzählt in brillant-schönen Bildern eine amouröse Dreiecksgeschichte voller unterdrückter Sehnsucht und vergeblichem Begehren.
19.11., 19 Uhr, Campus Augustusplatz