Etwa 35.000 Menschen waren gestern in der Stadt unterwegs, um gegen Rassismus und für Toleranz und Weltoffenheit zu demonstrieren. Die circa 5.000 Legida-Anhänger haben davon kaum etwas gesehen.
Es herrscht gute Stimmung. Am Westplatz hallen dumpfe Beats. Kleine und größere Gruppen schlendern entlang mit Schildern, Plänen, Bier in der Hand. Und liegt da nicht ein Hauch von Cannabis in der Luft? Es ist später Nachmittag, schon fast dunkel und unter denen, die etwas gegen Legida haben, macht sich gute Laune breit. Viele haben ihre Kinder mitgebracht. Eine kurze Inszenierung von Festivallaune. Es ist eng und voll, auf den Straßen zum Waldplatz kein Durchkommen. Die Zahl der Gegendemonstranten ist die höchste in Deutschland an diesem Abend. Doch nur die wenigsten dringen bis zur Legida-Demo vor, die von der Polizei massiv abgeschirmt wird.
19 Uhr will Legida aufmarschieren und ihre Anhänger machen sich pünktlich dorthin auf den Weg, doch spätestens auf der Friedrich-Ebert-Straße wird es für einige kompliziert. Hier hat nicht die bürgerliche Mitte Aufstellung genommen, sondern, gut erkennbar, die Refugees-Welcome-Demo und solche, die dem Rassismus noch aktiver entgegentreten. Für ein paar ältere Ehepaare in beigen Rentnerjacken ist hier Schluss. Junge Familien werden beim Durchlaufen schnell und richtig als Legida-Sympathisanten enttarnt und mit Rufen zum Umkehren bewogen. Erst hinter der Polizeiabsperrung wären die Mitläufer in der blinden Masse untergegangen. Vorher bleiben sie Einzelpersonen, in der eigenen Überzeugung labil. Ihnen wird der Weg zugestellt.
Doch etwa 5.000 Legida-Demonstranten haben es zum Stadionplatz geschafft. Und hier herrscht kein buntes Treiben, sondern aggressive Wir-zeigens-euch-Stimmung. Deutschlandfahnen werden geschwenkt und sind so ziemlich der einzige Farbtupfer in dieser Gruppe, die mit tausenden tiefen, düsteren Stimmen »Wir sind das Volk« skandiert, so dass man sofort Angst bekommt vor diesem selbsternannten Volk. Auf einer kleinen Bühne werden Merkel, Jung, der gerade vor Zehntausenden am Waldplatz spricht, und vor allem Juliane Nagel erwähnt, worauf das Publikum nicht nur mit Buh-Rufen, sondern mit ekelhaften Beleidigungen reagiert. Und dann wird losspaziert. Die Route wurde verkürzt, also einmal direkt zum Waldplatz und zurück.
Doch diese kurze Strecke ist frei. Aus einigen Fenstern klingt Beethoven, wie im Voraus vom Bürgerverein Waldstraßenviertel vorgeschlagen, was dem ganzen Aufmarsch aber ungewollt etwas Feierliches verleiht. (Nächstes Mal vielleicht lieber »Beate Zschäpe hört U2« auflegen.) Von der Gegendemo ist hier nichts zu vernehmen, nur aus einigen Seitenstraßen tönen »Refugees are welcome here«-Rufe. Die Legidisten winken selbstgefällig zurück, schreien erneut, dass sie hier das Volk sind. Und sind davon sichtlich überzeugt. Menschen, die sonst das Gefühl haben, dass ihnen niemand zuhört, fühlen sich stark. Drei Frauen auf einem Balkon rufen ihnen entgegen: »Liebe statt Hass!« Die Antwort der Legidisten: Mittelfinger, »Schlampen«-Rufe und die Aufforderung, sich vom Balkon zu stürzen.
Am Straßenrand stehen etwa zehn Leute, halten Kerzen in der Hand und schweigen. Mindestens genauso viele Polizisten stehen um sie rum. Erst mit dem Gesicht zu den Kerzenträgern, doch bald drehen sie sich um, weil klar ist, dass die Aggression von Legida ausgeht, die sich sofort provoziert fühlen. Laut Zeugenaussagen zeigt jemand den Hitlergruß.
Dass sie keine Neonazis sind, wird immer wieder betont. »Bloß weil wir unser Positonspapier auf Deutsch schreiben?«, fragt der »Pressesprecher der Bewegung«, wie der alte Mann auf der Bühne sich vorstellt. Nein, weil hier lauter Neonazis stehen. Aber die will keiner sehen. Zum Schluss dann die Nationalhymne. Viele legen die Hand aufs Herz. So ganz textsicher sind aber die wenigsten.
Auf ihrem Nachhauseweg bleibt es nicht immer friedlich. Einige Legida-Demonstranten setzen sich von der losen Polizeibegleitung ab und ziehen weiter durch Leipzig. Jürgen Kasek von den Grünen berichtet von Angriffen auf Gegendemonstranten und Hitlergrüßen. Auch die Polizei wird angegriffen. Die meisten Polizisten erleben aber einen unkomplizierten Einsatz. Einer berichtet von »kurzen und intensiven« Auseinandersetzungen, als Antifas eine Absperrung durchbrechen. Eine Beamtin flachst mit Gegendemonstranten, von denen nur die wenigsten auf Auseinandersetzung zielen. Abgesehen von zwei Zwischenfällen, als Jugendliche auf der Friedrich-Ebert-Straße eine Deutschlandfahne zeigen, Böller zünden und mit einer Gruppe Linker kollidieren. Hier schreitet die Polizei sofort und brachial mit Pfefferspray ein.
Dass Tausende Legida-Anhänger aber zuhause die Medienberichte von der Gegendemonstration einfach unter »Lügenpresse« abhaken, weil sie selbst ja kaum jemanden gesehen haben, bleibt zu befürchten. Und dass sich ihr Sprechchor bewahrheitet: »Wir kommen wieder.«