Traditionell eröffnet das Immergut-Festival in Neustrelitz die Festivalsaison. Zwei Tage mit geklauten Kippen, gefühlten null Grad, Heititei, Schnaps im Trolley und Beautiful Noise.
Wie ekelhaft ist eigentlich Wurstgulasch? Bevor alles losgeht, stehen wir an der Imbissbude und halten Wurstgulasch für eine gute Idee. Ist es aber nicht. Dann mit einem Trolley Schnaps kaufen gehen. Umweltfreundlicher (und unpraktischer) als Auto. Hallo Festivalwochenende, hallo Immergut.
Da sind wir also wieder. Mela war vor zehn Jahren das letzte Mal hier und muss feststellen: Alles wie gehabt. Und wie immer gut (Wortwitz gleich am Anfang – haben wir den auch weg). Neu ist der Typ auf dem Zeltplatz, der einen Wagen hat, in den man eine Flasche oder Dose 60 Sekunden reinstecken kann, danach ist das Getränk eisgekühlt. 50 Cent. Genial. Wir wollen das später ausprobieren und vergessen es sofort.
Auf dem Festivalgelände liest Intro-Redakteur Linus Volkmann schon vor. Und lacht dabei die ganze Zeit. Vorher schon und über seine eigenen Anekdoten, die von einem jungen Mann und einer alten Frau erzählen. Wie einfach ist es eigentlich, als Musikjournalist Bücher herauszubringen? (Verlagsangebote gerne an just@kreuzer-leipzig.de)
Wirklich lustig sind Francesco Wilking und Moritz Krämer, obwohl sie so traurige Dinge singen. Wir wechseln zwischen Weinen (echt, mit Tränen) und Lachen (auch mit Tränen) und dem Versuch, sich jede Textzeile zu merken. Die beiden, die ohne ihre Band Die Höchste Eisenbahn hier aufspielen, erzählen singend von Gerichtsvollziehern, von Menschen, die auf reservierten Plätzen einschlafen und Leuten, die dich anstarren.
Ich verliere mein Geld an der Bar. Portemonnaie weg (grün, rund, aus Leder, Hinweise an s.o.), der Barmann gibt Schnaps aus. »Was machst du dann?« Wir machen weiter. Trümmer spielen im Zelt. Und schaffen einen dieser Immergut-Momente, weswegen man immer wieder herkommt. Alle springen, liegen sich in den Armen, der Holzboden bebt. »Ja, ich weiß, alles wird zugrunde gehen. Nein, ich habe damit gar kein Problem.« Die Hamburger fragen, wo die Euphorie ist. Hier. Hallo. Jetzt oder nie. »Du bist viel zu schön, um jetzt schon schlafen zu gehen.«
Direkt danach Element Of Crime. Wieder Weinen. Lieblingsband halt. Zu Beginn »Damals hinterm Mond«, zum Schluss »Delmenhorst«. Zwischendrin lässt Sven Regener die inoffizielle Festivalregel, hauptsächlich Hits zu spielen, mal schön irgendwo liegen und spielt hauptsächlich neue Songs. Hinter den Bäumen geht die Sonne unter.
Sieht der Sänger von The/Das so aus wie der von Bilderbuch? Wir stehen zu weit hinten und sehen nichts. Vorne wird getanzt.
Der Tabak ist im Stoffbeutel ausgekippt. Verdammt. Wir klauen Kippen beim Zigarettenwerbungsstand. Obwohl das ja da kein Klauen ist, sondern Sponsoring. Auf dem Zeltplatz ist es dunkel und voller Zeltschnüre. Ich falle. Loch in der Hose. Macht nichts, trägt man jetzt wieder, bestätigt ein modisch bewusster Junge.
Irgendwann nachts spielen Zentralheizung Of Death. Was für ein wundervoller Krach. Wir hören ihn vom Zelt aus. Und müssen Trümmer Lügen strafen. So schön wir auch sind – dennoch eingeschlafen. Später dringt durch die Ohrstöpsel noch der Chor der Indiediskotänzer, die Oasis mitbrüllen. Auch so eine Tradition hier.
Die meisten hier sehen sowieso so aus, als wären auch sie schon zu Oasis’ Hochzeiten hiergewesen. Das Publikum altert mit, was insofern ganz angenehm ist, dass man sich immer noch so jung vorkommt. Immerhin ist unser Zeltnachbar erst 19 und trinkt schon wieder Bier, bevor wir überhaupt aufgestanden sind. Später begleiten wir ihn zum Dixieklo und warten. Er kommt nicht mehr raus. Auch nach 20 Minuten nicht. Wir klopfen an Dixietüren und brüllen seinen Namen. Hinter einer Tür ist Stille. Wir knacken das Schloss. Keiner drin. Der Junge ruft an. Er steht schon auf dem Festivalgelände und trinkt eine Limo. »Wo seid ihr?«
Auf der kleinen Bühne lesen Gereon Klug und Maurice Summen aus ihren Newslettern vor. Also ein bisschen. Maurice Summen kommt eher ins Quatschen mit Leuten, die ihre Luftmatratze mitgebracht haben, über Prenzlauer Berg und Wedding. Und Klug erzählt verachtende Geschichten über die Böhsen Onkelz, was zumindest den Security-Mann neben der Bühne nicht zum Lachen bringt.
Alle zum Lachen bringt Fil. Dabei macht er sich über alle lustig. Pärchen, junge Leute, Hiphopper, sich selbst, Marie Antoinette, Männer mit Dutt und das Wetter. »Oh ein Regenbogen«, zeigt er der im Regen sitzenden Menge. »Hippiescheiß.«
Bei Von Spar regnets dann richtig. Keine Regenbögen mehr. Und leider klingt ihre Musik auf Platte um einiges abwechslungsreicher und besser als hier. Als kurzfristige Programmänderung treten dann die Leipziger Warm Graves auf. Mit ihren sphärischen Gitarrensounds, die in einem dunklen Keller besser aufgehoben wären. Ein Mädchen hat die Änderung scheinbar nicht mitbekommen und schaut etwas verwirrt ins Programmheft, wo als Beschreibung »Gute Laune« steht.
Gute Laune ist auch das Motto von Erlend Øye, der tatsächlich mit The Rainbows auftritt und hier hinpasst wie Arsch auf Eimer. Heititei-Musik, bei der alle mit ihrem Glitzer im Gesicht und Blumen im Haar so richtig fröhlich vor sich hintanzen können. Hinter uns ein Einhorn.
Auf dem Zeltplatz hat sich dagegen jemand als Bierglas verkleidet, andere tanzen zu 80er-Hits aus den Autoboxen. »Don’t stop me now.« Auf keinen Fall.
Dass Die Nerven hier quasi als zweiter Headliner auftreten, ist mutig. So unpartytauglich ist ihr Geschrammel. Aber toll. »In meinem Kopf spielen sich Dinge ab, die keiner verstehen will.« Und dann Battles. Vorrangig mit Schlagzeug erzeugen sie Beats. Auch sie sind keine Popband. Dennoch muss man tanzen. Die einen, weil Battles so einen Rausch erzeugen. Die anderen, weil es kalt ist. Wir können seit Stunden unseren Atem sehen und schließen daraus, dass es höchstens null Grad sein kann.
Zum Schluss dann wieder Indiedisko. Es gibt ja Leute, die kommen überhaupt nur hierher wegen der Best-of Greatest Indiesmashhits, die sowohl vom detektor.fm-DJ-Team als auch vom Karreraklub abgefeuert werden. Diesmal schlafen wir erst, als es schon hell ist. Kein Gulasch auf dem Rückweg.