Da ist er nun und niemand regt sich auf. Vielleicht das vernichtendste Urteil zu Dietrich Brüggemanns »Heil!«, der es nicht einmal vermag, die Gemüter zu erhitzen. Bei ihm habe sich noch kein Rechter gemeldet, meinte der Autor und Regisseur im Interview. Irgendwie ist der Film auch ziemlich egal, trotz einiger guter Ideen und Ansätze. Am Ende auf jeden Fall die Erregung im Umfeld der Dreharbeiten zu »Sikumoya« (siehe kreuzer 06/15) nicht wert. Wir sind gespannt auf den Film der Gebrüder König und drücken weiterhin die Daumen, dass es mit einem Kinostart klappt. Derweil werfen wir einen Blick auf die lohnenderen Filme der Startwoche …
Film der Woche: Ihr ausgemergelter Körper ist schutzlos auf einem überlebensgroßen Plakat der Öffentlichkeit ausgeliefert. Darunter die Worte »No Anorexia«. Der italienische Modedesigner No.l.ita hatte sich 2007 für die französische Schauspielerin Isabell Caro als Repräsentantin für seine schockierende Kampagne gegen Bulimie und Anorexie im Modelgeschäft entschieden. Der Fotograf Oliviero Toscani setzte sie dafür effektvoll in Szene. Woran niemand dachte, war, dass sich unter dem zerbrechlichen Körper auch eine ebenso zerbrechliche Seele befand.
Die amerikanische Filmemacherin Kiki Allgeier lernte Isabell kennen, als der Medienrummel um ihre Person gerade einsetzte. Zunächst wollte sie einen Kurzfilm über Isabells Geschichte drehen und sie auf dem Weg durch das Rampenlicht mit der Kamera begleiten. Die damals 27-Jährige willigte ein und über die Jahre hinweg entstand ein enges Band zwischen den Frauen, aus dem dieser Film hervorging. Er ist eine Art Nachruf einer jungen Frau mit offenen psychischen Wunden aus ihrer Kindheit. Allgeier blickt tief in Isabells Seele und lässt Angehörige zu Wort kommen. Dabei ist ihr Blick nie voyeuristisch, sondern von Mitgefühl geprägt. Eine endgültige Wahrheit findet sich nicht unter den Geschichten, die Isabell in ihrem Kopf spinnt und ihr Vater, der sie Melody nannte, zurechtrückt. Ein zutiefst erschütterndes Dokument von Medienperversion und fehlgeleiteter Mutterliebe bleibt jedoch zurück, nachdem Isabell Caro am 17. November 2010 an den Folgen ihrer Krankheit verstarb. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Seht mich verschwinden«: ab 18.7., Cinémathèque in der naTo (am 19.7. mit anschließendem Gespräch mit Alena Thiem von der Initiative AnyBody Deutschland)
Eine öffentliche Hinrichtung im Blitzlichtgewitter: Gleich zwei Filme erzählen in diesem Monat auf erschreckende Weise vom Tod zweier zerbrechlicher Frauen im Scheinwerferlicht. Bar jeder Menschlichkeit ergötzte sich das Publikum an ihrem Untergang. Während »Seht mich verschwinden« den schleichenden Hungertod der Isabell Caro in sehr kunstvollen Bildern und intimen Aufzeichnungen verarbeitet, ist Asif Kapadias Dokumentarfilm über das viel zu kurze Leben von Amy Winehouse zunächst eine recht geradlinige Chronologie des Auf- und jähen Abstiegs der Jazz-Sängerin. Von der Leidenschaft fürs Singen in der Schule über erste Aufnahmen, dem ersten Plattenvertrag und ihrem gefeierten Debüt »Frank« 2003 zur persönlichen Krise, hin zu den Aufnahmen ihres internationalen Durchbruchs »Back to Black«, der Drogensucht und dem Tod im Alter von 27 Jahren. Kapadia verfügt über umfangreiches Archivmaterial, darunter private Aufnahmen aus der Kindheit und Aufzeichnungen der ersten Auftritte in meist mittelprächtiger Bildqualität, und unterlegt sie mit offenen Interviews mit Freunden, Partnern, Plattenbossen und Wegbegleitern. So entsteht ein facettenreiches Bild einer verletzlichen jungen Frau. Gemeinsam sind ihr mit Caro die traumatischen Kindheitserlebnisse und die Opferrolle in der Gier der Medien nach Skandalen. Die Geschichte von »Amy« entwirft ein hässliches Bild menschlicher Verhaltensweisen. Allerdings sind die Bilder, die Kapadia dafür nutzt, auf dieselbe verwerfliche Art und Weise entstanden, die er in seinem Dokumentarfilm eigentlich anprangert.
»Amy«: ab 16.7., Passage Kinos, CineStar
Die Flimmerzeit im Juli
Weitere Filmtermine der Woche
Der Unfertige
Der junge Chemnitzer Filmemacher Jan Soldat lotet in seinen kurzen Filmen immer wieder die menschliche Natur aus, zeigt BDSM-Praktiken und Rollenspiele, vornehmlich mit älteren Protagonisten. Zu sehen sind seine beiden aktuellen Arbeiten »Der Unfertige« und »Haftanlage 4614«, der seine Premiere im Panorama der diesjährigen Berlinale feierte. Im Anschluss gibt es ein Filmgespräch mit Regisseur Jan Soldat. Im Rahmen des CSD.
17.7., 20 Uhr, Cinémathèque in der naTo
The Big Lebowski
Jeffrey Lebowski ist ein ewiger Hippie, dessen einzige Beschäftigung das Bowlingspielen ist. Als er eines Tages durch eine Verwechslung mit einem Multimillionär gleichen Namens Bekanntschaft mit ein paar unflätigen Kriminellen macht, wird der Dude sauer. Schließlich wurde unter anderem auf seinen Lieblingsteppich uriniert. Also fordert er von dem Multimillionär für das ihm angetane Unrecht eine Ersatzleistung. Kultfilm der Gebrüder Coen
17.7., 22 Uhr, Open-Air-Kino in der Spinnerei
Häxan
Mit wechselnden Techniken des Spiel- und Dokumentarfilms erzählt, gilt dieser Stummfilm als künstlerisches Meisterwerk und wirkt auch heute noch außerordentlich bizarr und atmosphärisch. Zu seiner Zeit war der Film, der die paranoide Hexenangst des Mittelalters spürbar werden lässt, fast überall zensiert oder verboten. Erst 1968 hatte der Film in einer überarbeiteten Version als »Witchcraft Through The Ages«, von William S. Burroughs kommentiert, in die Kinos zurückgefunden. Stummfilm mit Live-Vertonung mit dem Ensemble Alcantara.
18.7., 21.30 Uhr, Arena am Asisi Panometer
Heißer Sommer
Erfrischender Musikfilm aus der DDR, der eine Gruppe von jungen Menschen auf dem Weg an die Ostsee und ebenso dort begleitet. Streiche werden gespielt, es wird geflirtet und viel gesungen. Der Film war einer der erfolgreichen Filme der DDR.
18.7., 22 Uhr, Open-Air-Kino in der Spinnerei
Splinters
Der Film dokumentiert die Entwicklung des Surfsports in Papua-Neuguinea. In den 1980ern hinterließ ein abenteuerlustiger australischer Pilot sein Surfboard in Lido, einem kleinen Dorf am Meer. 20 Jahre später ist Surfen nicht nur ein fester Bestandteil des Dorflebens, sondern auch eine Frage des Prestiges. Nouvague pres. Blue Surf film Nacht Leipzig
19.7., 21.15 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Wachstum, was nun?
»Mehr Wachstum!«, fordert man in Zeiten von Wirtschafts-, Umwelt- und Finanzkrisen. Doch wie zeitgemäß ist das angesichts der weltweiten Knappheit von Ressourcen? Französische Dokumentation im Rahmen des Flimmergartens.
19.7., 20 Uhr, Offener Garten Querbeet
Die Bio-Illusion
Bioprodukte finden reißenden Absatz. Jahr für Jahr steigen die Umsatzzahlen. Aus den einstigen Bio-Idealen einer regionalen ressourcenschonenden Landwirtschaft ist längst eine globale Massenproduktion geworden. Autor Christian Jentzsch hat in mehreren Ländern hinter die Kulissen geschaut. Sein Film zeigt, wie widersprüchlich und fragwürdig moderne Bioprodukte mittlerweile sind. Im Rahmen des Flimmergartens.
20.7., 20 Uhr, Offener Garten Querbeet
Sand Wars
Sand ist eine der natürlichen Ressourcen, die unendlich erscheinen. Der französische Journalist Denis Delestrac beschäftigte sich näher mit dem Thema und förderte Fakten zutage, die den Titel »Sand – die neue Umweltkatastrophe« rechtfertigen. Frankokanadische Produktion von 2013 im Rahmen des Flimmergartens.
21.7., 20 Uhr, Offener Garten Querbeet
Vio.Me, Viva a Alternativa, The Chikukwa Project
Das Chikukwa Permaculture Project ist eine einzigartige Ernährungsinitiative in Zimbabwe. »Viva a Alternativa!« zeigt solidarische Ökonomie in Deutschland und »Vio.Me« die Situation bei der Baustofffabrik Vio.Me drei Wochen vor der Wiederaufnahme der Produktion unter Arbeiterkontrolle. Im Rahmen des Flimmergartens.
22.7., 20 Uhr, Offener Garten Querbeet
Seed Warriors
Im »Doomsday Vault« sollen Samen, die überall in der Welt gesammelt wurden, konserviert werden. Eine Utopie oder ein realistischer Schritt zur Erhaltung der Biodiversität? – Schweizer Dokumentarfilm von 2010 im Rahmen des Flimmergartens.
23.7., 20 Uhr, Offener Garten Querbeet
Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt
Recht spannende, aber auch wenig authentische Verfilmung des Aufstiegs und Falls der Internet-Enthüllungsplattform WikiLeaks.
21.7., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum