Der Kinderfilm ist hierzulande ein schwieriges Thema. Erfolge werden vornehmlich mit Filmen gemacht, die bereits als Buch(serie) erfolgreich waren. Neue, originelle Stoffe gibt es nicht. Das Schema ist immer gleich: Man hält sich weitestgehend eng an die Vorlage und die Erwachsenenrollen werden mit etablierten Schauspielern besetzt. Wenn das Ergebnis erfolgreich ist, wird fortgesetzt. Die Regale sorgen ja meist für ausreichenden Nachschub. Kommende Woche gastiert nun das Chemnitzer Kinderfilmfestival Schlingel in Leipzig und bietet einen Querschnitt der 20. Auflage. Mit dabei sind eine tschechische Neuauflage des Märchenklassikers »Die sieben Raben« und die TV-Produktion »Meine Tochter Anne Frank«, tatsächlich die erste deutsche Verfilmung des Tagebuchs. Mit Produktionen aus Belgien, Großbritannien und Kanada kann man sich mal anschauen, wie Kinder- und Jugendfilm anderswo geht. Vielleicht klappt es so ja auch mal mit dem Blick über die heimischen Leinwände hinaus.
Film der Woche: Die Filme von Pixar überraschen immer wieder durch ihre Fantasie und ihren Ideenreichtum. Mal kindisch verspielt (»Toy Story«), mal erwachsen ernst (»Oben«) beherrschen sie die Gefühlsklaviatur meisterhaft. Aber ob nun im Kinderzimmer, in der Küche oder in einer schottischen Sagenwelt: Das Setting war stets realitätsnah – selbst wenn sie uns in eine Monsterfabrik für Kindergeschrei entführten. Der geniale Kopf der »Monster AG«, Pete Docter, und die Pixars haben nun eine völlig andere Welt erdacht und laufen mit ihren Ideen Amok. Im Kopf von Riley herrscht Chaos: Freude und Kummer wurden aus der Kommandozentrale gekegelt, nun sind Wut, Angst und Ekel an den Reglern. Freude versucht trotzdem, die Kontrolle zu behalten und sich und ihren Counterpart sicher zurück ins Hauptquartier zu bringen. Dabei sollten möglichst nicht die falschen Erinnerungen ins Langzeitgedächtnis wandern. Riley versucht sich derweil in San Francisco zurecht zu finden, wohin ihre Familie ziehen musste. Ihr Vater ist vollkommen in die neue Arbeit vertieft, der Umzugswagen verspätet sich und in der Pizzeria um die Ecke gibt es nur Broccoli-Pizza. Kein Wunder, dass Ekel, Wut und Angst die Kontrolle übernehmen. Mit wundervollen Metaphern beschreibt »Alles steht Kopf« das Gefühlschaos einer Heranwachsenden. Die preisgekrönte Animationsschmiede wächst dabei über sich selbst hinaus, ebenso wie es Riley tun muss. Ein witziges, berührendes und stets überraschendes Meisterwerk der Animationskunst. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Alles steht Kopf«: ab 1.10., Passage Kinos (2-D, auch OmU), Cineplex, CineStar, Regina Palast (3-D, auch OmU)
Im Kreuzfeuer der Kriminalität beweist FBI-Agentin Kate Macer Durchsetzungsvermögen. Doch die Gewalt geht nicht spurlos an ihr vorbei. Als sie einen grauenhaften Fund in einem Geheimversteck der mexikanischen Drogenmafia macht, bietet man ihr an, Teil einer inoffiziellen Task-Force zu werden, um die Drahtzieher zur Strecke zu bringen. Sie meldet sich freiwillig, muss allerdings bald feststellen, dass der verantwortliche Agent Matt und seine Einheit Gesetz und Moral überschreiten, um ans Ziel zu kommen.
Die irrsinnig spannende Eröffnungssequenz setzt die Beklemmung für zwei nicht weniger packende Stunden Kino. Denis Villeneuve bildet in seiner dritten US-Regiearbeit den aussichtslosen Kampf der Amerikaner gegen die Macht der Drogenkartelle ab. Ein vielschichtiger Drogenkrimi, bei dem die Fronten verschwimmen. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Sicario«: ab 1.10., CineStar, Regina Palast
Er war Hippie, Millionär und angehender Schachweltmeister, stinkreich und obdachlos und er saß sogar einmal im Knast, als selbsternannt größter Marihuanadealer in Regensburg. Heute ist Chaim Lubelski Kiffer im Ruhestand. Er selbst bezeichnet sich als »guten Menschen im negativen Sinne«. Seine Kommentare garniert er immer mit einem Augenzwinkern, oftmals abgerundet mit seinem typischen Singsang. Der Zustand seiner Mutter hatte sich verschlechtert. Er zog zu ihr nach Antwerpen. Als wir ihn kennen lernen, kümmert er sich aufopferungsvoll um sie. Sein Cousin Elkan Spiller begleitet ihn dabei mit der Kamera. Aus dem Dunst seiner Joints heraus ist Chaim ein Quell von Geschichten, die Bücher füllen könnten. Sein bewegtes Leben ist die hoffnungsvolle Prämisse dieses Films. Aber man weiß nicht so recht, ob Spiller der Geschichten überdrüssig geworden ist oder ob es ihm einfach um etwas ganz anderes ging: »L’Chaim – Auf das Leben!« ist nicht der Film, den man hinter der Figur erwarten würde. Spiller fokussiert viel mehr auf die Beziehung des – wie seine Mama ihn nennt – »schwierigen Sohnes« zu seiner Mutter in diesen letzten Monaten ihres Lebens. Die Vergangenheit kehrt zurück, der Schrecken des Konzentrationslagers. Unvorstellbar Grauenhaftes mischt sich mit jiddischem Galgenhumor. Ein Hoch auf das Leben in all seinen Höhen und Tiefen und ein sensibler Blick in die jüdische Seele. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»L’Chaim – Auf das Leben!«: ab 1.10., Cinémathèque in der naTo
Die Flimmerzeit im September
mit 45 YEARS, EVEREST, LIFE und einem DVD-Tipp zum Gewinnen.
Weitere Filmtermine der Woche
Freistatt
Rebellischer Jugendlicher durchleidet in den Sechzigern die unmenschlichen Bedingungen in einem Kinderheim.
2.10., 17 Uhr, Medienpavillon auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz
Neuland
Sie sind weit gereist – per Flugzeug, Zug, Bus oder Boot. Jetzt finden sie sich in der Integrationsklasse von Lehrer Christian Zingg in Basel wieder, wo Jugendliche aus aller Welt innerhalb von zwei Jahren Sprache und Kultur unseres Landes kennen lernen. Der Schweizer Dokumentarfilm begleitet sie dabei. Unter ihnen der 19-jährige Ehsanullah aus Afghanistan, der das Meer in einem Schlauchboot und die Berge zu Fuß überquert hat. Oder die albanischen Geschwister Nazlije und Ismail, die ihre Heimat aus familiären Gründen verlassen haben und nun beim Vater und seiner neuen Frau untergekommen sind. Im Anschluss Gespräch mit der Initiative Engagiert für Flüchtlinge.
2.10., 14.30 Uhr, Grassi-Museum für Völkerkunde
Jazzclub – Der frühe Vogel fängt den Wurm
Vierter Film von Helge Schneider, der hier einen Gigolo, Zeitungsausträger, Fischverkäufer und Jazzmusiker gibt. – 39. Leipziger Jazztage
3.10., 15 Uhr, Passage Kinos
Lange Filmnacht im ehemaligen Stasi-Kinosaal
Dokumentarfilme rund um die Ereignisse im Herbst ’89.
3.10., 19 Uhr, Museum in der »Runden Ecke«
Matj – Die Mutter
Pudowkins Stummfilmadaption des Gorki-Romans von 1926 bedient sich auf geniale Weise dramatischer, lyrischer und agitatorischer Ausdrucksmittel. Kinoorgel live mit Daniel Beilschmidt – Einführungen: Philipp Hosbach und Claudia Cornelius
3.10., 18 Uhr, Grassi-Museum Leipzig
Whiplash
Mitreißendes, unglaublich intensiv gespieltes Musikerdrama von Damien Chazelle, dessen Schnittrhythmus eine fast schon körperlich spürbare Einheit mit dem musikalischen Inhalt des Films eingeht. Großer Oscargewinner 2015. – 39. Leipziger Jazztage
3.10., 17 Uhr, Passage Kinos
Leipzig Zyklen
Im Oktober 1989 entstandene Dokumentation über die Massendemonstrationen in Leipzig, die von den Stimmungen und Hoffnungen der friedlichen Revolution erzählt und verschiedenste Personengruppen zu Wort kommen lässt. Im Doppel mit »Kehraus«. In der Reihe Leipzig Zyklen in Zusammenarbeit mit dem DOK Leipzig.
4.10., 11.30 Uhr, Passage Kinos
Moritz aus der Litfasssäule (DDR 1983), Die Mauerbrockenbande (D 1990)
Moritz traut sich nach einer verhauenen Mathe-Arbeit nicht mehr nach Hause und versteckt sich in der Litfaßsäule. Immer wieder wunderbarer Klassiker des DDR-Kinderfilms. Plus »Die Mauerbrockenbande«
4.10., 10 Uhr, Medienpavillon auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz
Voin – Der Krieger
Im Mittelpunkt stehen zwei Brüder, die beide als Profi-Kämpfer ihren Unterhalt bestreiten. Die Geschichte erzählt von einer Familie und den Menschen, die viele Jahre lang Narben in ihren Herzen tragen, und schließlich auch von Vergebung. Russische Filmreihe im Original.
4.10., 20 Uhr, Cineplex (OF)
Berlin um die Ecke
DEFA-Spielfilm von 1966, der sich kritisch mit dem Sozialismus auseinandersetzt. Vorfilm: »Es genügt nicht, 18 zu sein« – Filmreihe: Dekadent. Jugendgefährdend. Staatsfeindlich – DEFA-Verbotsfilme 1965/1966
5.10., 20 Uhr, UT Connewitz
Die Mörder sind unter uns
Erster deutscher Trümmerfilm, in dem Hildegard Knef und Ernst Wilhelm Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg über ihre traumatischen Erlebnisse hinwegkommen müssen.
5.10., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum
Chaos im Kopf
Dokumentarfilm über ADHS im Erwachsenenalter. Das Erleben und die Wahrnehmung der Betroffenen. Ein Mosaik aus Eindrücken, die erahnen lassen, welche Folgen ADHS haben kann. – Moritzkino spezial
6.10., 20 Uhr, Moritzbastei
Citizenfour
Hongkong, Juni 2013: Von hier aus sollte ein Sturm über die westliche Welt fegen, der unser Gefühl von Sicherheit in den Grundfesten erschütterte. Unter dem Decknamen »Citizenfour« meldete sich Edward Snowden bei Filmemacherin Laura Poitras und arrangierte das Treffen. Die beunruhigende Chronik einer Enthüllung.
6.10., 20.30 Uhr, Medienpavillon auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz
Hedi Schneider steckt fest
Die optimistische Hedi Schneider hat ein gutes Leben, das unsanft aus der Bahn geworfen wird, als sie plötzlich unter Angstzuständen leidet. Regisseurin und Autorin Sonja Heiss erzählt das ernste Thema mit Leichtigkeit und einem starken Darstellergespann. Eine Veranstaltung des Sozialpsychiatrischen Zentrums das BOOT gGmbH Leipzig. Eintritt: 1,50 Euro. Anschließend Filmgespräch und Diskussion mit Fachleuten aus der (sozial-)psychiatrischen Arbeit.
6.10., 16.30 Uhr, Cinémathèque in der naTo
Man With A Movie Camera
Dziga Vertovs »Man with a Movie Camera« ist ein wegweisendes Experiment und eines der erstaunlichsten Filmdokumente seiner Zeit. Er dokumentiert den Tagesablauf einer großen sowjetischen Stadt, montiert aus Moskau, Kiew und Odessa. Ein filmisches Manifest trifft auf den Soundtrack des Cinematic Orchestra von 2003.
6.10., 19 Uhr, UT Connewitz
Maidan
Sergey Loznitsa stellte seine Kamera in Kiew inmitten der Unruhen von 2013 und 2014 auf und fing die Stimmung hautnah ein. Das künstlerisch einnehmende Zeitdokument feierte seine Premiere beim DOK Leipzig im letzten Jahr.
7.10., 20.30 Uhr, 8.10., 19 Uhr, Medienpavillon auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz
Still Alice
Die Linguistik-Professorin Alice erkrankt mit 50 an Alzheimer. Damit bricht ihre Welt zusammen. Bewegendes Drama mit der Oscar-prämierten Julianne Moore. – Filme vom Abschied
7.10., 19.30 Uhr, Passage Kinos
L.Æ.nimation – Animations
In Leipzig ansässige Animationsfilm-Schaffende zeigen erlesene und ungestüme Animationsfilme verschiedenster Techniken, von analogem Zeichentrick über Papier- und Puppentrick bis zum innovativen Gebrauch digitaler Techniken.
8.10., 20 Uhr, Cinémathèque in der naTo
Stealing Africa – Wie viel Profit ist gerecht?
Sambia ist reich an Bodenschätzen und hat das weltweit drittgrößte Kupfervorkommen. Aber die Menschen in Sambia bekommen von den hohen Erträgen nichts zu sehen. Der Film deckt undurchsichtige und inhumane Geschäftspraktiken auf, beleuchtet die Hintergründe und Zusammenhänge. – globaLE – anschl. Diskussion mit Gästen
8.10., 20 Uhr, Neues Schauspiel Leipzig
Kinderfilmfestival Schlingel
6.–8.10., Passage Kinos