Dass am Montag Hunderte Neonazis in der Wolfgang-Heinze-Straße randalierten, ist hinlänglich bekannt. Inzwischen ist auch der genauere Ablauf des Angriffs auf Connewitz klar.
Die rund 250 Neonazis reisten wohl in Autos zum gemeinsamen Treffpunkt in der Threnaer Straße hinter dem Friedhof an. Vermummt zogen sie dann durch Meusdorfer, Biedermann- und Herder- zur Wolfgang-Heinze-Straße, in der sie dann recht wahllos Bars und Geschäfte angriffen. Am schwersten traf es den Döner-Imbiss Shahia, in dem der Mob die Inneneinrichtung zerstörte und mit einem Böller sogar Teile der Deckenvertäfelung absprengte.
Dass durch die Aktion niemand schwer verletzt wurde, scheint Zufall zu sein. Die vermummten Männer feuerten mit Leuchtspurmunition auf Häuser. In einem Fall landete ein Leuchtkörper in einer Dachgeschosswohnung und setzte sie in Brand. Während Shahia gestürmt wurde, konnte die beiden Bedienenden und deren Gäste durch eine Hintertür in den Hausflur flüchten, der nach der Explosion der Böller voller Rauch war. Auch in den Bars retten sich Gäste und Personal in hintere Räume.
Die Anwohner in der Wolfgang-Heinze-Straße wurden von dem Übergriff genauso überrascht wie scheinbar auch der Verfassungsschutz. »Beim ersten Knall dachte ich, es sei vielleicht irgendwo eine Gasflasche explodiert«, sagt Alexander Pehlemann, der im Haus des ausländischen Imbisses wohnt. Nachdem es aber mehrmals knallte, beobachtete er vom Fenster aus, wie die Nazis gerade vom Imbiss abließen und die Straße bis Höhe Naturbäckerei marschierten, dabei links und rechts auf alles einschlagend, werfend und Raketen schießend, und wieder zurück.
Dass die Polizei vergleichsweise schnell vor Ort war, lag daran, dass sie sich nach Angaben ihres Sprechers Uwe Voigt auf mögliche Vorfälle im Leipziger Süden parallel zum Legida-Aufmarsch im Zentrum Nord vorbereitet hatte. Es seien einige Hundertschaften in Bereitschaft gehalten worden, erklärt Voigt. Um 19.28 Uhr wurden die Einsatzkräfte informiert, um 19.42 Uhr waren die ersten 20 bis 30 Beamten vor Ort.
Da die Nazis dann in die Auerbachstraße liefen – »erstaunlicherweise eher gemächlichen Schritts«, wie Pehlemann beobachtete –, konnten sie von den zu diesem Zeitpunkt zahlenmäßig noch unterlegenen Polizisten eingekesselt werden, indem letztere einfach die beiden Ende der Straße dicht machten. »Wären die Nazis über den Herder-Park abgehauen, hätten sie leicht fliehen können«, erklärt Pehlemann. »Einige versuchten über Zäune zu klettern, aber da stehen lauter Stadthäuser, da gab es kein Herauskommen.« Die Eingekesselten riefen der Polizei entgegen: »Wo, wo, wo wart ihr zu Silvester?« Polizisten brüllten daraufhin: »Hinsetzen!«. Eine Aufforderung, der die Nazis nachkommen mussten, bevor ihnen mit Kabelbindern die Hände gefesselt wurden. Nicht ohne allerdings den bald auftauchenden Fotografen sitzend das übliche »Lügenpresse« entgegenzuschleudern.
»Erstaunlicherweise leisteten die Randalierer relativ wenig Widerstand«, schildert Voigt gegenüber dem kreuzer. Am Ende wurden 211 Personen verhaftet, in die Gefangenensammelstelle Dimitroffstraße gebracht und am nächsten Morgen auf freien Fuß gesetzt.
Dass einige Nazis entkommen und Richtung Auwald fliehen konnten sorgte dann wohl für das Gerücht, auch in Plagwitz komme es zu Übergriffen. Gemutmaßt wurde, die Männer seien durch den Wald in den Leipziger Westen gerannt. Dass die Polizei dann Kräfte in Richtung Karl-Heine-Straße schickte und mit einem Hubschrauber über der Spinnerei kreiste, versetzte Bewohner linker Hausprojekte und Wagenplätze im Viertel in höchste Alarmstimmung. Bislang gibt es allerdings keine bestätigten Berichte von tatsächlichen Übergriffen.
Dafür wird nach und nach mehr über die Angreifer selbst bekannt. Bereits anhand der Autokennzeichen der von den Rechtsextremen in der Threnaer Straße abgestellten Autos wird ersichtlich, dass die Angreifer zum Großteil aus ganz Sachsen und von noch weiter her kamen. Berichtet werden Kennzeichen aus Pirna, Dresden, Gera und sogar Wien. Als Kern der Gruppe gelten Anhänger der neonazistischen Hooligan-Gruppen Brigade Halle und Szenario Lok. Letztere hat vor einigen Jahren offiziell ihre Auflösung erklärt. Eine von Antifagruppen betriebene Webseite sammelt Indizien dafür, dass auch eine andere langjährige Neonazi-Struktur beteiligt war, die Jungen Nationaldemokraten (JN), Jugendorganisation der NPD.
Mit dem Überfall auf Connewitz erreicht die jüngste Gewaltwelle rechter Schläger gegen linke Projekte einen neuen Höhepunkt. Bereits im Dezember waren mit koordinierten Brandanschlägen 13 Wohnwagen zerstört worden, die augenscheinlich links eingestellten Personen gehörten. Am Wochenende vor dem 11. Januar wurde in einem Boxstudio Feuer gelegt, das vornehmlich von Migranten und Menschen aus dem linken Spektrum besucht wird.