Eisvergessen – so titelte Sven Crefeld seinen Bericht aus dem Eiszelt in Taucha zum Kampf der Eishockeyspieler von den Icefighters. »Wer noch nicht da war, versteht nicht, warum manche Menschen immer nur Winter haben wollen.« – so endet er. Damit ab September im Zelt wieder zu Eishockey, Eislauf oder Eisstockschießen geladen werden kann, benötigen die Betreiber der EisArena Taucha Unterstützung.
Bis zum 30. Juni läuft eine Spendenaktion unter https://www.fairplaid.org/#!wir-sind-das-zelt
Nummer 41 ist dieser verrückte Kanadier: Vollbart, lange Haare und dünne Beine. Du würdest nicht denken, dass der Bursche schon 37 Tore geschossen hat, wenn er die schwarze Scheibe kriegt und gemächlich Fahrt aufnimmt. Brad Snetsinger aus Ajax, Ontario, ist der beste Stürmer der Leipziger Icefighters, aber einer vom Typ schlampiges Genie. Jetzt ist sein Moment gekommen, die Fans glücklich zu machen. Die 39. Minute im Duell mit dem Erzrivalen aus Halle: Snetsinger steht frei, schießt hart und trifft nicht. Ein zweites Mal hat er die Chance, doch wieder versiebt. Kein Tor für Leipzig, später noch drei für Halle. Dieser Tag, es ist der 12. Februar, endet mit einem traurigen Abend für die Icefighters. 2.000 Leute mit blau-weiß-schwarzen Pudelmützen und Schals sind bedient. Es wird viel geschimpft beim Abmarsch aus der Eisarena von Taucha.
Die Leipziger spielen in Taucha? So ist es. Mit der Linie 3 rutscht man ins Gewerbegebiet hinter der Stadtgrenze. Dort steht seit 2012 ein weißes Zelt mit Spitzdach, errichtet von zwei Malermeistern aus Taucha, die das Eishockey in Leipzig sogar nach drei Insolvenzen nicht verloren gaben. Im Zelt glitzert die holzwandig begrenzte Tiefkühlfläche, 57 mal 27 Meter groß – kürzer und schmaler als anderswo, da der Raum für die üblichen 60 mal 30 nicht reicht. Die Zuschauer kleben nah am Spielfeld, eng gedrängt, es gibt fast nur Stehplätze, richtig old-school. Die 170 Sitzplätze sind improvisiert: Edelfans sitzen an Tischen direkt am Eis, die volkstümliche »Lounge« ist über den Mannschaftsbänken. Jede Lücke wird genutzt. Kurz vor Spielbeginn hievt der Manager noch einen Stuhl in die Sponsoren-Ecke, die von den billigen Plätzen ausgepfiffen wird, weil sie bei der Begrüßung nicht mitmacht. Aber eigentlich ist alles Familie in der Hütte von Taucha: Eine Leidens- und Liebesgemeinschaft.
Die Icefighters sind eigenwillig, urwüchsig, kreativ. Das fängt beim Namen an. Im Eishockey sind meistens Panther, Tiger, Falken, Bären oder Füchse unterwegs. Diesen Zoofimmel wollten die neuen Macher nach der Pleite des Vorgängerklubs »Blue Lions« nicht mehr. Sie kamen auf einen in der Hockeywelt fast exklusiven Kampfnamen, der die Unbeugsamkeit und Hingabe der Leipziger Eissportfreunde ausdrückt. Dazu präsentierten sie ein handgemaltes Vereinswappen, das den Uni-Riesen mit einem sausenden Puck, eine Flamme mit einem Gitterhelm kreuzt. Aufsehen erregten auch die Trikots in Himmelblau-Schwarz – eine elegante Rarität in deutschen Stadien. Die ganze Marke ist fünf Jahre später Kult. Es würde Ärger geben, sollte ein Grafiker die Absicht haben, die Eiskämpfer neu und nach Schema F zu stylen. So wie den innig ausgebuhten Nachbarn: Die Hallenser heißen »Saale Bulls« und Mitteldeutscher Eishockey-Club, tragen das Rot des Stadtwappens, die Sparkasse ist lukrativer Brustsponsor – gut aufgestellt nennt man das im Marketing.
Nach dem 1:5 gegen die Bullen heißt es für Leipzig: hinten einreihen. Die Rolle des Underdogs muss das treue Publikum verkraften. Stolz sind sie auf den Titel »beste Fans der Liga«. Tatsächlich machen die singenden, hüpfenden, trommelnden und klatschenden Anhänger ordentlich Bambule. Beim Einlaufen und beim traditionellen »Huddle«, dem Einschwören des Teams, zeigen die Recken noch ohne Helm ihre Haarpracht. Das wissen einige kreischende Mädchen zu schätzen. Dann fällt der Puck aufs Eis, die Menge schreit: »I – F – L«. Ein Novize fragt: Was rufen die, Bielefeld? Der Lärmpegel ist so hoch, dass die Erklärung kaum ankommt: IFL, steht für Ice Fighters Leipzig. Deren Fankultur ist erfreulich: Es gibt einen mächtigen Einpeitscher in Ultramanier, aber auch einen stimmgewaltigen Block, der auf eigene Faust loslegt. Wenn es gut läuft, macht auch die Gegengerade mit. Beim einzigen Torjubel des Abends kreiseln hübsch die blauen Schals. Der DJ heizt mit coolen Riffs ein und bringt die gute alte Hammond-Orgel. Erst als die Icefighters untergehen, soll platte Partymusik den Frust verdrängen. Die Mädchen singen trotzig mit.
Weil in Leipzig, dieser eisvergessenen Sportstadt, das Bau-auf-Prinzip immer noch die Tageslosung ist, haben die Icefighters einen ungewöhnlichen Bandenchef engagiert. Sven Gerike hat den nötigen Pioniergeist, Lust am Abenteuer und das gewisse Hyper-Engagement für besondere Missionen. Der 39-jährige Berliner bewies als Spielertrainer in Regensburg, dass er mit langem Atem planvoll Strukturen aufbauen und nebenher sportlichen Erfolg bringen kann. Nach dem knorrigen Deutsch-Kanadier Mannix Wolf – als Ex-Nationalspieler und TV-Kommentator bekannt wie ein bunter Hund – vertrauen die Icefighters nun einem Newcomer, der den Job ebenso reflektiert wie selbstkritisch macht. Ein Pokerface und Schönredner ist Gerike nicht. Nach der Klatsche gegen Halle sprach er von »brutalen Fehlern« und entschuldigte sich für die Leistung im letzten Drittel. Vor allem die Verjüngung und Beschleunigung der Icefighters ist sein Auftrag. Bekommt er die Zeit, eine eigene Mannschaft zu formen? Geschäftsführer André Krüll sagte dem kreuzer, er wolle die Arbeit mit Gerike unbedingt verlängern – trotz der vielen Niederlagen im Januar und Februar.
Man ist schließlich nicht Dresden. Die dortigen Löwen ballerten ihren Trainer raus, als die Punkte fehlten. Ach ja, Dresden. Es hat schon die komfortable Eishalle, nach der die Icefighters lechzen, und zwei weitere Eisflächen. Das selbstgebastelte Stadion in Taucha ist zwar Teil der speziellen Leipziger Identität, aber keine wirkliche Basis für Profisport. Die Icefighters stoßen an ihre wirtschaftlichen Grenzen, müssen höhere Einnahmen in den Wind schreiben. Beim Derby könnten sie statt 2.500 Karten das Doppelte verkaufen. Keine VIP-Logen, überschaubare Gastronomie, große Enge: Neue Sponsoren und zahlungskräftige Besucher sind so schwer zu gewinnen. Nur mit dem öffentlichen Eislauf, der 85 Prozent der Eiszeiten belegt, ist das Zelt überhaupt zu betreiben. Das wiederum geht zu Lasten der suboptimalen Nachwuchsarbeit. Mit einer Online-Petition wollen die Icefighters jetzt die Öffentlichkeit auf den Notstand hinweisen. Sie suchen einen neuen Standort und eine größere Halle für ihre Eisbahn, möglichst intra muros. Oberbürgermeister Jung war beim 1:4 gegen Tilburg zu Gast in Taucha – ob die lauten Fans seine bisher tauben Ohren erreicht haben?
Der Etat von 500.000 Euro ist gutes Oberliga-Mittelfeld, eine Etage höher würde man mindestens eine Million brauchen. Ein weiter Weg. Doch die 3. Liga ist für Leipzig, das sich auch im Eishockey als schlafenden Riesen betrachtet, auf Dauer nicht das ideale Habitat. Vom Aufstieg, von Potenzial, von Entwicklung ist immerzu die Rede. Allerdings ist die laufende Saison ein Crashkurs in Realpolitik. Feierte man früher Sieg auf Sieg in der kleinen Oberliga Ost, so spielen die Icefighters jetzt in einer 18er-Liga mit starken Gegnern aus dem Westen – sogar ein Team aus Holland nimmt teil. Da gibt es auch mal drei Niederlagen am Stück und die ernüchterte Einsicht des Übungsleiters Gerike: »Mannschaften wie Duisburg und Tilburg sind uns voraus. Sie haben bessere Spieler und mehr davon.« Am Ende landeten die Icefighters auf Platz 8 der Tabelle.
Nun droht die Schließung der Spielstätte »Eiszelt«. Mit einer Crowdfundingaktion wollen sie 150.000 Euro zum Erhalt zusammenbekommen. »Ohne unser Eiszelt stünden wir, der Nachwuchs des Leipziger Eissportclub e.V., die IceFighters Leipzig und alle Eissportfans ohne Heimat da. Nicht zuletzt würde sonst der nächste Eissportstandort endgültig von der Landkarte verschwinden.« Die Aktion läuft noch bis zum 30. Juni. Und wer noch nicht da war, versteht nicht, warum manche Menschen immer nur Winter haben wollen. Fragt die Leute mit den blau-schwarzen Bommelmützen.