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Filmkritik

Die Last der Entscheidung

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  Die Last der Entscheidung | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

»Ich wusste nicht, dass es Spätabtreibungen im Falle einer Behinderung in Deutschland überhaupt gibt«, erzählt Anne Zohra Berrached im aktuellen kreuzer, »und dass es tatsächlich über 90 Prozent der Frauen tun.« Ein Zeitungsartikel brachte die Filmemacherin auf das Thema. »Niemand entscheidet leichtfertig, sein Kind abzutreiben«, betont Berrached. »Und doch tun es eben fast alle in dieser Situation. Mich hat interessiert, warum das so ist.« Ein Dokumentarfilm oder dokumentarischer Spielfilm kam zu dem Thema nicht in Frage. »Die Frauen würden sich niemals dabei begleiten lassen«, erklärt Berrached. Also entwickelte sie über anderthalb Jahre ein Drehbuch, bemühte sich um die schwierige Finanzierung und drehte schließlich in Leipzig und Halle. Das Ergebnis ist »24 Wochen«, der in diesem Jahr als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb der Berlinale vertreten war. Ab dieser Woche läuft er in unseren Kinos und ist unser Filmstart der Woche.

Film der Woche: Die moderne Wissenschaft verleiht uns Macht, mit der wir erst lernen müssen umzugehen. Dass Ärzte das Geschlecht des ungeborenen Kindes bestimmen können, ist eine Selbstverständlichkeit. Dass im Ultraschall auch mögliche Defekte zum Vorschein kommen, schürt die Ängste der werdenden Eltern und den gesellschaftlichen Drang nach Perfektion. Astrid und Markus wollen ihr Kind, obwohl sie wissen, dass es mit Trisomie 21 auf die Welt kommen wird. Aber die Einflüsse ihres Umfelds und eine weitere schicksalsschwere Nachricht bringen ihren Entschluss ins Wanken und die Beziehung an ihre Grenzen. Anne Zohra Berrached schildert das mit einem hohen Grad an Realismus, der von den beiden Hauptdarstellern authentisch transportiert wird. Ein Film, der zum Nachdenken anregt.

»24 Wochen«: ab 22.9., Passage Kinos

Hedi lächelt nie. Weder in seinem Job als Vertreter einer Autofirma, noch wenn er mit seiner Mutter am Tisch der Eltern seiner zukünftigen Braut sitzt. Nicht einmal, wenn er sich nachts zu Khedija stiehlt und sie im Schatten einer Gasse im Auto sitzen. Schon immer wurde Hedis Leben ferngesteuert von seiner überambitionierten Mutter. Ständig muss er sich Vergleiche mit seinem großen Bruder gefallen lassen, der es »zu etwas gebracht hat« und mit seiner Frau in Frankreich lebt. Als Hedi von seinem Chef ans Meer versetzt wird, um dort auf Kundenfang zu gehen, trifft er auf Rim, die als Animateurin für die Touristen in einem Hotel tanzt. Ihre Lebenslust und der Duft der weiten Welt entfachen in ihm eine ungekannte Leidenschaft. Hedis Situation ist ein Spiegel seiner Heimat Tunesien. Hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne verändert sich das Land nach den ersten demokratischen Wahlen vor zwei Jahren. Die neugewonnene Freiheit überfordert auch Hedi, der sonst seinem arabischen Namen entsprechend gelassen agiert. Majd Mastoura (Darstellerpreis auf der Berlinale) verkörpert ihn auf zurückhaltende Art. Eine interessante Bestandsaufnahme der Stimmung in Tunesien, ruhig erzählt zwischen der Enge der Großstadt und den weiten Einstellungen am Meer, zwischen Gesellschaftskritik und Liebesgeschichte, versehen mit einem Funken Hoffnung, aber die Realität im Blick brhaltend. Ein starkes Debüt, das in Berlin als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet wurde.

»Hedis Hochzeit«: ab 22.9., Passage Kinos

»The Visit – eine außerirdische Begegnung« dokumentiert ein Ereignis, was so bisher noch nicht stattgefunden hat, eine Art »Was-wäre-wenn«-Szenario, eine Prognose, eine Vision. Die Protagonisten sind jedoch keine Schauspieler, sondern reale Personen. Das Szenario: Das erste Raumschiff ist auf der Erde gelandet und das erste außerirdische Wesen hat unseren Planeten betreten. Die Protagonisten: Experten in Weltraumfragen der UNO, der NASA und des Militärs. Aber auch Sprecher von Verteidigungsministerien, Theologen und politische Berater kommen zu Wort. In »The Visit« spielen sie alle dieses Szenario durch und machen dabei ihren Job. Sie sprechen zum Alien, stellen Fragen. Sie beschäftigen sich mit Themen der allgemeinen Sicherheit, der mediale Bekanntmache und der Angst vor dem Fremden. Inmitten all dieser Stimmen kommt zwischendurch Regisseur Michael Madsen selbst zu Wort. Er ist die Stimme aus dem Off, der einordnet, erzählt, erklärt. »The Visit« ist ein unkonventioneller Dokumentarfilm, der, abgesehen von ein paar Längen und einer manchmal zu übertrieben gezeichneten Bildsprache, ein spannendes und großartig inszeniertes Zukunftsszenario darstellt. Ausführliche Kritik von Mirjam Ratmann im Oktober-kreuzer.

»The Visit«: ab 22.9., Luru Kino in der Spinnerei

Andere träumen davon, Popstar zu werden, Schauspieler oder Pilot. Doch für den kleinen Checco gibt es nur eins: Beamter zu sein. Eine gut bezahlte Anstellung, sozial abgesichert und unkündbar – das ist sein Traum von einem Leben und so, wie es der italienische Publikumshit »Der Vollposten« darstellt, ist der Verwaltungsposten wirklich das höchste Maß einer beruflichen Perspektive. Checco wird von allen hofiert, Mama erfüllt ihm jeden Wunsch, seine Zukünftige liegt ihm nur wegen seiner Festanstellung zu Füßen und in der Vorratskammer neben seinem Büro türmen sich die »Zuwendungen« seiner Klienten. Doch das Klima in der italienischen Heimat wird zunehmend frischer. Eine Verwaltungsreform soll den Apparat aus Korruption und Vetternwirtschaft gründlich durchlüften. De facto ist Checco der Einzige in der kleinen Provinz, den die Maßnahmen treffen. Seine Position in der Landesverwaltung für Jagd und Fischerei wird ihm entzogen und er wird nach Rom beordert. Dort soll er es den anderen gleichtun, eine Abfindung kassieren und mit seiner Unterschrift auf alle seine Privilegien verzichten. Doch Checco denkt gar nicht daran und wird fortan von einem unwirtlichen Ort zum nächsten versetzt. In seiner Heimat avancierte die deftige Komödie zum Erfolg. Mit fast zehn Millionen Zuschauern ließ sie sogar »Star Wars« hinter sich. Beachtlich, denn Regisseur Gennaro Nunziante geht nicht gerade zimperlich mit der italienischen Volksseele um. Checco ist ein waschechter »Stronzo«, ein Macho und Chauvinist, wie er im Buch steht. Nunziante bemüht sich überhaupt nicht, seine Läuterung in nachvollziehbaren Schritten zu schildern. Zwischentöne werden niedergequatscht. Trotzdem gelingt es dem Vollblutkomiker Luca Medici, der auch am Drehbuch mitschrieb, so etwas wie Sympathie für den »Vollp(f)osten« zu wecken. In der deutschen Fassung liegt das auch an der hervorragenden Synchronarbeit von Bastian Pastewka.

»Der Vollposten«: ab 22.9., Passage Kinos

Flimmerzeit August 2016

 

Weitere Filmtermine der Woche

Havana Moon – The Rolling Stones in Cuba Am 25. März 2016 gaben die Rolling Stones als erste Rockband überhaupt ein kostenloses Open-Air-Konzert in Havanna, das Hunderttausende anlockte. 23.9., 20 Uhr, Passage Kinos, Cinestar

Strike a Pose Die Geschichte der homosexuellen jungen Tänzer, die 1990 das Glück hatten, für Madonnas »Blond Ambition«-Tour ausgewählt zu werden. Während sie anfangs als Vorbilder gefeiert wurden, kam es später zu einem Rechtsstreit mit der Sängerin. – Leipzig-Premiere – Feier mit Zacker DJ-Set, Special-Madonna-Screening nach dem Film 23.9., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Zhenikh – Der Bräutigam Helmut aus Deutschland fährt nach Russland, um der russischen Schönheit Alena, die er in Berlin kennengelernt hat, einen Heiratsantrag zu machen. Beim Besuch der Verwandtschaft im Heimatdorf der Braut treffen sie auf deren Ex-Ehemann Tolja, der seine Frau zurückerobern will. In diese Romanze mischen sich nun Freunde, Verwandte, Nachbarn und andere Dorfbewohner sowie ein Panzergrenadier, der sich verlaufen hat, und eine Schlange. 25.9., 17.30 Uhr, Cineplex (OF)

Das Filmriss Filmquiz Denn sie quizzen nicht, was sie tun ... Wenn Bruce Willis auf alles außer Tiernahrung Prozente gibt, klingeln euch die Ohren? Ihr pfeift das Lied vom Tod unter der Dusche? Das einzige Gebet, das ihr auswendig vorbeten könnt, ist Ezekiel 25:17? Dann seid ihr hier zuhause. Hier dürft ihr Kinonerd sein und werdet belohnt: Tonnenweise Merchandise aktueller Kinoproduktionen wartet auf euch. Groovy, Baby! 26.9., 20.30 Uhr, Conne Island

Attack on Titan Die Menschheit hat sich in Städte zurückgezogen, die von riesigen Mauern umgeben sind. Diese dienen dem Schutz vor den übermächtigen Titanen, die die Menschen auslöschen möchten. In einer dieser Städte lebt Eren mit seiner Schwester Mikasa und deren Freund. Als die Titanen ihre Stadt angreifen, müssen sie sich wehren. 27.9., 21 Uhr, Cineplex, 20 Uhr, Cinestar

Der Name der Leute Arthur, der sich ganz wohl dabei fühlt, mit seinem konservativen Gestus in der anonymen Masse unterzutauchen, trifft auf Bahia, die sein bis dahin geordnetes und zurückgezogenes Leben völlig auf den Kopf stellt. Charmante, so einfalls- wie geistreiche romantische Komödie – anschl. Gespräch mit Gästen über kulturelle Zugehörigkeit und Identität 27.9., 19.30 Uhr, Cinémathèque in der naTo (OmU)

War Child Vom Kindersoldaten zum Hiphop-Star – der Lebenslauf von Emmanuel Jal. 27.9., 20 Uhr, Haus Steinstraße

Am Ende ein Fest »Am Ende ein Fest« mauserte sich zu einem der erfolgreichsten israelischen Filme der letzten Jahre und hat auch bei uns das Potenzial zum Publikumshit. Das Regie-Duo Maymon und Granit versteht es, mit großer Leichtigkeit Worte und Bilder für etwas zu finden, das sich so oft der Darstellung entzieht. Das tolle Ensemble spielt prächtig zusammen und füllt die Figuren mit menschlicher Wärme. Ihnen allen gelingt eine wunderbar schelmische Komödie über das Abschiednehmen – gleichermaßen mit einem lachenden wie einem weinenden Auge. 28.9., 19.30 Uhr, Passage Kinos

Sundance Filmfestival 2016 Short Film Tour Das renommierte Indie-Festival ist in seiner fast vierzigjährigen Geschichte vom kleinen Insider-Event zu einem wichtigen Pfeiler in der US-Filmszene gewachsen. Das UT Connewitz präsentiert heute Abend die Highlights aus dem diesjährigen Kurzfilmwettbewerb des Festivals. 28.9., 20 Uhr, UT Connewitz

Tsotsi In einem Ghetto am Rande von Johannesburg lebt der 19-jährige Kleinkriminelle Tsotsi in den Tag hinein. Bis er ein kleines Baby findet. Anstatt das schreiende Kind seinem Schicksal zu überlassen, steckt er es in eine Papiertüte und nimmt es mit in seine Welt. Oscar für den besten fremdsprachigen Film. 28.9., 19 Uhr, Bürgerverein Gohlis

Viva Jesus und sein Vater Angel treffen nach 15 Jahren ohne Kontakt aufeinander und geraten in einen Konflikt über unterschiedliche Lebensentwürfe. – Queerblick 28.9., 19.30 Uhr, Passage Kinos

Cowspiracy – The Sustainability Secret Der Einfluss der Viehwirtschaft auf die Umwelt: Die weltweite Fleisch- und Fischindustrie hat einen weit größeren Einfluss auf klima- und umweltschädigende Treibhausgase als sämtliche anderen Abgasemissionen zusammengenommen. - anschl. Diskussion mit Gästen – globaLE 29.9., 20 Uhr, Heizhaus


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