Die Oscarnominierungen sind raus und bieten ebenso wenige Überraschungen, wie man bei der Verleihung am 26. Februar erwarten darf. Alles andere als überraschungsfrei präsentieren sich derweil die Filmstarts der Woche.
Hollywood feiert sich eben gerne selbst. Erwartungsgemäß setzt sich das Musical »La La Land« mit 14 Nominierungen an die Spitze und zieht damit gleich mit »All about Eve« (1950) und »Titanic« (1997), die es ebenfalls auf 14 Nominierungen brachten. Nach »Whiplash« also nun die zweite große Chance in Folge für Regisseur Damien Chazelle. Auf dem zweiten Platz weit dahinter sorgt der gefeierte »Moonlight« (ab 9.3. bei uns) für ethnische Gleichberechtigung bei den im letzten Jahr vielfach kritisierten Oscars und gleichauf mit sechs Nominierungen gesellt sich das bei den Golden Globes schmählich übergangene SciFi-Meisterwerk »Arrival« dazu (auch wenn hier unverständlicherweise die Nominierung für den grandiosen Soundtrack von Johánn Johánnsson fehlt). Ebenfalls erwartungsgemäß aber nicht weniger erfreulich ist natürlich die Nominierung für »Toni Erdmann«, der mit dem Europäischen Filmpreis in der Tasche gute Chancen in L.A. hat. Wirklich überraschend ist derweil aber die Nominierung von der deutsch-dänische Koproduktion »Unter dem Sand«, die in unseren Kinos leider schmerzlich unterging, ebenfalls in der Kategorie des nicht-englischsprachigen Spielfilms. Besonders freuen wir uns auch über die Nominierungen für den Berlinale-Gewinner »Seefeuer« (bester Dokumentarfilm) und »Mein Leben als Zucchini« (bester Animationsfilm – Start: 16.2.). Der kreuzer wünscht spannende Stunden im Kino!
Film der Woche: Die Bilder von Kennedys Ermordung gingen um die Welt. Wieder und wieder, vergrößert, in Zeitlupe. Doch wie es sich angefühlt haben muss, direkt daneben zu sein, den halb zerfetzten Kopf des geliebten Mannes im Schoß zu haben – darüber sagen diese Bilder nichts. Der chilenische Regisseur Pablo Larraín, dessen außergewöhnliches Biopic »Nerruda« in diesem Monat ebenfalls in unsere Kinos kommt, zeigt die historischen Ereignisse um den Tod des 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten konsequent aus der Sicht seiner Frau »Jackie«. Der traumatische Flug zurück nach Washington an Bord der Airforce One. Der Moment, wenn sie sich der Öffentlichkeit stellt, im blutverschmierten Dress, das sie sich weigerte abzulegen, um der Welt zu zeigen, was sie zu verantworten hat. Die angemessene Trauerfeier unter der Gefahr eines weiteren Anschlags und schließlich die Frage: wie bringt sie es den Kindern bei? Larraín schildert die Stunden nach dem Anschlag schmerzhaft authentisch und vermischt sie mit Bildern aus unschuldigen Tagen, die originalen Fernsehaufnahmen nachempfunden sind. Die junge, noch naiv wirkende Jackie Kennedy führt ein Kamerateam durch das Weiße Haus und kommentiert die Veränderungen. Dem gegenüber setzt Larraìn ein Zeitungsinterview, das die gebrochene Frau einige Monate nach dem Tod ihres Mannes zeigt. In allen Phasen des vielschichtigen Werks spielt Natalie Portman die First Lady überzeugend und oscarwürdig. Die Ausstattung und die Rekonstruktion der Originalaufnahmen ist detailliert, die Kameraarbeit von Stéphane Fontaine (»Ein Prophet«) meisterhaft. »Jackie« ist ein großartiges Werk von einem versierten Regisseur. Ein schmerzhafter Film von Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Jackie«: seit 26.1., Passage Kinos
2005 erzählte Robert Thalheim die Geschichte eines am Leben Gescheiterten, der sich einbildete, Undercover-Agent zu sein, um sein trostloses Leben ein wenig aufregender zu machen. Elf Jahre nach seinem Debüt »Netto« inszenierte er nun einen echten Agentenfilm. Allerdings sind seine Helden alles andere als prototypische James Bond-Figuren. Es handelt sich vielmehr um die ehemaligen Ost-Agenten Jochen Falk (Henry Hübchen), Jaecki (Michael Gwisdek), Locke (Thomas Thieme) und Harry (Winfried Glatzeder), die einst als »Kundschafter des Friedens« im geheimen Einsatz für den Sozialismus waren. 27 Jahre nach dem Fall der Mauer werden sie vom BND reaktiviert, um den West-Agenten Kern (Jürgen Prochnow) zu befreien. Falk sieht darin eine Chance, um eine offene Rechnung mit seinem Erzfeind Kern zu begleichen. Der spannte ihm eins die Freundin aus und überhaupt wurmt es ihn, dass Kern eine erfolgreiche Karriere als Agent hinlegte, während er am Kiosk seinen täglichen Bierbedarf stillt. Um ein Auge auf die alten Herren zu behalten, wird ihnen die BDN-Agentin Paula (Antje Traue) zur Seite gestellt. Gemeinsam reisen sie nach Katschekistan und geben sich als reiche Investoren aus. Falk vertraut ganz auf alte Tugenden, muss aber bald einsehen, dass er damit nicht weit kommt. Dabei machen die Ex-Spione immernoch eine gute Figur, auch wenn im entscheidenden Moment schon mal der Rücken zwickt. Thalheim schmückt die Geschichte mit viel Nostalgie und Situationskomik. Er beschreibt seinen haarsträubenden Plot durchaus treffend als »Olsenbande meets Oceans Eleven«. Sein glänzendes Ensemble hält den Teamgeist hoch, die Inszenierung ist mit allerlei Split-Screens und Beatmusik deutlich an die Agentenfilme der Sechziger angelehnt und zumindest im ersten Drittel schwungvoll erzählt. Dann geht der Agentenposse leider die Luft aus. Dennoch: ein turbulenter Spaß der das Genre mit realsatirischen Spitzen anreichert.
»Kundschafter des Friedens«: ab 26.1., Passage Kinos, Regina Palast, CineStar
Eine minderjährige Prostituierte stirbt nach einer ausschweifenden Partynacht mit dem Parlaments-Abgeordneten Filippo Malgradi. Als der Plan des Familienvaters, den Vorfall zu vertuschen, durch eine Verkettung tragischer Umstände misslingt, gerät er ins Visier der Mafia. Eine gefährliche Spirale aus Erpressung, Korruption, Gewalt und Mord beginnt sich immer schneller zu drehen, um sich unaufhaltsam tief in das dunkle Herz von Rom zu bohren. Spannender moderner Mafiafilm vom Regisseur der TV-Serie »Gomorrha«. Manchmal etwas pathetisch, aber packend inszeniert und komplex erzählt.
»Suburra«: seit 12.1., Schauburg
Wie betritt man angemessen eine KZ-Gedenkstätte, einen Ort von Terror und Vernichtung? Ist nicht jeder Besuch an sich schon mit Voyeurismus, einer neugierigen Schaulust behaftet? Aber ein bisschen Mindestpietät wäre doch angebracht, zumindest essen und trinken muss man nicht im Todeslager? Fragen, die sich beim Betrachten von »Austerlitz« stellen, besser: unmittelbar aufdrängen. Und die immer lauter werden im Kopf des Zuschauers, weil diesem nicht Ablenkung, nicht Zerstreuung gegönnt ist. Denn Sergei Loznitsas Dokumentarfilm konzentriert sich ganz auf die Betrachtung der Gedenkstättenbesucher. Ob Auschwitz oder Sachsenhausen: Wo die einzelnen Szenen aufgenommen worden sind, ist unerheblich – wie bereits der Filmtitel andeutet.
Der zum Teil respektlose Umgang mit Erinnerungsorten ist bekannt, bestes Beispiel sind die Herumlungernden und -hüpfenden am und auf dem Berliner Holocaust-Mahnmal und ihr Instagram-Gepose: #tourist, #happy, #jump, #girls, #weee. »Austerlitz« versammelt viele solcher Gesten: Schnute ziehen fürs Entengesicht und Haare richten vor »Arbeit macht frei«, »Jurassic Park« lugt durchs Barackenfenster, die Reiseführerin empfiehlt neben dem Gaskammertrakt eine Fünf-Minuten-Sandwich-Pause. Still ruht das Kameraauge auf den Besucherströmen, ziehen die Schwarz-Weiß-Panels kommentarlos vorbei, sprachlos und sprachlos machend. Meist ist nur Rauschen zu hören, mal einzelne Wortfetzen zu vernehmen, vielsprachig; manchmal erscheinen ein paar Erklärungen von Gedenkstättenführern.
Man guckt den Leuten vor den Kopf, meint etwas aus ihrer Körperhaltung abzulesen. Aber was in ihnen vorgeht, das weiß man nicht. Sind sie wirklich alle so gedankenlos, wie es scheint? Gut, wenn jemand das Konzentrationslager mit einem Lachen verlässt, fällt die Unterstellung noch leicht. Das als Kulturkritik eines »früher war alles besser« abzuhaken, geht auch nicht. So stellen sich Minute um Minute, die sich »Austerlitz« schleppt, komplexere Fragen zum notwendigen Erinnern und dessen gleichzeitiger Unmöglichkeit. Und in Endlosschleife winden sich die Fragen weiter als Möbiusband im Kopf, weitaus länger als der schwer erträgliche Gewinner der Goldenen Taube beim diesjährigen DOK Leipzig andauert. (TOBIAS PRÜWER)
»Austerlitz« – Sonderveranstaltung zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust: 27.1, 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Flimmerzeit_Dezember_2016
Weitere Filmtermine der Woche
Louisa
Sensibles Portrait über eine gehörlose Frau, die darauf beharrt, dass nicht sie, sondern die Welt sich anpassen muss. – DOKversity (im Hörsaal 8)
26.1., 18 Uhr, Campus Augustusplatz
Überleben – 3 Jüdische Generationen
Premiere des Dokumentarfilms der Leipziger Filmemacherin Anna Schmidt mit anschließender Podiumsdiskussion.
26.1., 19 Uhr, Passage Kinos
Der Vorleser
Ambitionierte und toll gespielte Verfilmung des Bestsellers von Bernhard Schlink. – zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust
27.1., 15.30 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Queere Filmnacht
»Somewhere over the Rainbow – Die schwule Bewegung und ihre Hymnen« (D 2014) und »Die verborgene Welt« (UK/SA 2007) - Vorfilm: The Piper (UK 2005)
27.1., 19 Uhr, Frauenkultur
Timm Thaler oder das verkaufte Lachen
Gelungene Neuverfilmung des zeitlosen Kinderromans von James Krüss, der von dem jungen Timm Thaler erzählt, der für die Gabe, jede Wette zu gewinnen, sein Lachen an einen finsteren Mogul verkauft. Premiere in Anwesenheit des Regisseurs Andreas Dresen und den Hauptdarstellern.
28.1., 16 Uhr, CineStar
Violently Happy
Ein etwas anderer Dokumentarfilm über Schmerz und Sexualität: Eine Gruppe von Berlinern versucht ein anderes Leben in einem gemeinsamen Loft. - in Anwesenheit der Regisseurin Paola Calvo
28.1., 21 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei
Drive
Am Tage Stuntman und in der Nacht Fahrer für zwielichtige Typen – der Mann, den alle nur »Driver« nennen, ist ein undurchdringlicher Einzelgänger. Nur seine Nachbarin und ihr Sohn dringen zu ihm durch. Als er allerdings einen riskanten Job für den Ehemann übernimmt, laufen die Dinge aus dem Ruder und »Driver« muss sich aus seiner Deckung begeben. Stylischer Mix aus Thriller und Romanze von Ausnahmefilmer Nicolas Winding Refn. – 20 Jahre Kinobar
29.1., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling (OmU)
Korczak
Eindringlich gespielte, authentisch gestaltete Geschichte des polnischen Kinderarztes und Pädagogen Janusz Korczak und seines Einsatzes für 200 Waisenkinder im Warschauer Ghetto. – Literatur und Film
30.1., 19.30 Uhr, Haus des Buches
Univers'l
Alltag und gesellschaftlicher Mikrokosmos in South Central Los Angeles, eingebettet in die Ausschreitungen 1992 um rassistische Polizeigewalt. – mit einer Einführung
31.1., 20 Uhr, Cinémathèque in der naTo
From Business to being
Drei Führungskräfte erzählen in diesem Dokumentarfilm von ihren Erlebnissen in der Arbeitswelt, die sie bis an den Rand des körperlichen und seelischen Zusammenbruchs drängten - und wie sie die Notbremse zogen. Premiere in Anwesenheit der Regisseure hanna Henigin und Julian Wildgruuber sowie den Protagonisten Rudolf Wötzel und Torsten Müller.
1.2., 19.30 Uhr, Passage Kinos