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Politik

»Jetzt wirds praktisch«

Am Samstag beginnen die Welcome2Stay-Aktionstage

  »Jetzt wirds praktisch« | Am Samstag beginnen die Welcome2Stay-Aktionstage

Im Juni 2016 fand der Welcome2Stay-Kongress in Leipzig statt, der sich als »Zusammenkunft der Bewegung des Willkommens, der Solidarität, der Migration und des Antirassismus« verstand. Danach hörte man lange nichts von dem Netzwerk. Der Versuch, eine gemeinsame politische Stimme von Migranten und dem solidarischen Teil der Zivilgesellschaft zu erzeugen, schien gescheitert. Nun startet das Netzwerk einen neuen Anlauf. Ab Samstag finden deutschlandweit dezentrale Aktionstage statt. Frida Kühn, Pressesprecherin von Welcome2Stay Leipzig, im Gespräch zur Motivation dahinter und zu den geplanten Aktionen in Leipzig.

kreuzer: Seit Wochen sind der kommenden Aufmarsch der Partei »Die Rechte« um Christian Worch und die geplanten Gegendemonstrationen Gesprächsthema in Leipzig. Am selben Tag findet der Auftakt der Welcome2Stay-Aktionstage statt. Ein denkbar schlechter Termin?

FRIDA KÜHN: Für das Datum hatten wir uns schon entschieden, lange bevor feststand, dass Nazis versuchen würden, durch Connewitz zu ziehen. Welcome2Stay ist ein bundesweites Bündnis, das dem Aufruf vom City Plaza Hotel in Athen gefolgt ist. Außerdem jährt sich am 18. März das unsägliche EU-Türkei-Abkommen, mit dem die Türkei unter Erdogan zu einem »sicheren Drittstaat« für Geflüchtete erklärt wurde. Natürlich ist es ärgerlich, dass diese Themen, zumindest in Leipzig, an diesem Samstag nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit bekommen werden. Aber wir werden versuchen, auch unsere Message auf die Demo zu bringen und zu zeigen, dass wir dort sind, weil wir solidarisch gegen diesen Rassismus zusammenstehen wollen. Und zum Glück gehen die Aktionstage ja bis zum 23. März. Wir haben also hoffentlich genug Zeit, um gehört und gesehen zu werden.

kreuzer: In Leipzig hörte man erstmals im vergangenen Juni vom Welcome2Stay-Kongress. Wie hängt dieser mit den nun anstehenden Aktionstagen zusammen?

KÜHN: Zum Kongress kamen 800 Menschen aus ganz Deutschland zusammen und haben entschieden, auch darüber hinaus weiter miteinander vernetzt bleiben zu wollen. Es folgten weitere Treffen in Berlin und Göttingen. Dort haben wir überlegt, wie wir gemeinsam unsere Position auf die Straße bringen können. Auch um zu zeigen, dass wir viele sind. Leider geht das häufig unter, und man muss sich fragen, wo die antirassistische Stimme ist, zu Zeiten, in denen Nationalismus und Rassismus so erstarken. Um Gehör zu finden, haben wir uns dazu entschieden, die Aktionstage zu machen. Ich würde sagen, jetzt wirds praktischer. Beim Kongress wurde viel geredet, vernetzt und geplant. Nun wollen wir zeigen, was daraus entstanden ist.

kreuzer: Warum nun Aktionstage statt einem Kongress wie beim letzten Mal? Ist der Ansatz gescheitert?

KÜHN: Die Idee eines Kongresses ist auf keinen Fall gescheitert. Der Kongress war der Auftakt. Wir haben uns jetzt für dezentrale Aktionen entschieden, um den verschiedenen Menschen und Gruppen in diesem Bündnis – selbstorganisierten Refugee-Gruppen, den klassischen Willkommensinitiativen, aber auch linksradikalen Zusammenhängen – die Möglichkeit zu geben, auf ihre Art und Weise in den Tagen präsent zu werden. Ob darauf dann wieder ein Kongress folgen wird – wir werden sehen.

kreuzer: Welche anderen Städte beteiligen sich? Zu welchen Themen wird dort gearbeitet?

KÜHN: Neben Leipzig beteiligen sich deutschlandweit zwölf andere Städte, außerhalb Deutschlands sogar 29 weitere. Am 18. März wird es viele Demonstrationen geben, aber auch Informations- und Abendveranstaltungen. Viele Städte werden sich mit Abschiebungen beschäftigen, gerade Abschiebungen nach Afghanistan. Andere greifen das Thema der Sanctuary beziehungsweise Solidarity Cities auf, so auch wir in Leipzig. Es geht darum, wie es umgesetzt werden kann, dass Menschen, die illegalisiert leben müssen, am zivilgesellschaftlichen Leben teilnehmen können. In einigen Städten der USA gibt es beispielsweise die »Don’t ask, don’t tell«-Strategie. Dies ist ein Ansatz, nach dem beispielsweise von Vermietern oder der Polizei nicht nach Statuspapieren gefragt wird. Wir wollen diese Ansätze bei den Aktionstagen prominent machen und einen Identifikationsraum für die antirassistische Bewegung schaffen. Durch solidarische Strukturen soll jede und jeder am zivilgesellschaftlichen Leben teilhaben können.

kreuzer: Welche Form von Aktionen umfasst Welcome2Stay in Leipzig?

KÜHN: In Leipzig wird insbesondere der Sonntag das Solidarity City-Thema eröffnen. Die Ausstellung »We will rise« wird im Pögehaus eröffnet. Dort wird ein Überblick von migrantischen Kämpfen der letzten Jahre in Deutschland gegeben. Im Anschluss daran wird es einen Input zum Solidarity Cities-Konzept geben. Und abends gibt es dann Essen und Musik, Raum für Austausch und Kennenlernen. Am Samstag wird außerdem auch schon das dokumentarische Theaterstück »Die Asyl-Dialoge« gezeigt, bis zum Mittwoch gibt es dann zahlreiche Infoveranstaltungen zu Dublin IV und den neuen Integrationsmaßnahmen. Abschluss soll dann ein offenes Plenum am Donnerstag sein, wo wir schauen wollen, was wir aus den Aktionstagen mitnehmen können. Wir hoffen, dann viele neue Gesichter zu sehen.

kreuzer: In Leipzig finden vom 13. bis 24. März die Internationalen Tage gegen Rassismus statt. Bettet ihr eure Aktion darin ein?

KÜHN: Nein. Im Gegenteil. Wir betrachten die Veranstaltungen der Stadt als Imagekampagne. Die Stadt selbst reproduziert ja institutionellen Rassismus. Außerdem mussten wir in den letzten Tagen feststellen, dass allen städtischen Geflüchtetenunterkünften verboten wurde, dort Flyer und Programmhefte von Welcome2Stay auslegen zu lassen, weil diese zu politisch seien. Da haben wir scheinbar einen Nerv getroffen. Das zeigt uns abermals, dass versucht wird, die Menschen in den Unterkünften unmündig zu machen und ihnen die Möglichkeit zu verwehren, sich über ihre Rechte zu informieren und sich politisch zu organisieren.


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