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Filmkritik

Geschichten aus Litauen und anderswo

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  Geschichten aus Litauen und anderswo | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

Zur Buchmesse war Litauen Partnerland. Nun macht die Schaubühne Lindenfels gemeinsame Sachen mit dem litauischen Kulturinstitut und bringt eine kleine Filmreihe auf die Leinwand des Roten Salons. Das Minifestival an zwei Tagen bietet Einblick in die Zentrale des sowjetischen KGB und kontemporäre Lebenswelten des Landes, feiert eine litauische Jesus Christ Superstar Rock Opera und bringt einen echten Murnau mit Wurzeln in Litauen zurück ins Licht. Stories from Lithuania: Schaubühne Lindenfels, 3.-6.4.

Film der Woche: Mit »Die andere Seite der Hoffnung« liefert der eigenwillige Filmemacher Aki Kaurismäki seine ganz eigene Stellungnahme zur Flüchtlingskrise. Er erzählt die Geschichte aus der Sicht des Syrers Khaled, der über Umwege nach Finnland gelangt, nachdem er seine Schwester an der ungarischen Grenze verlor. Er steuert eine Polizeiwache an, um offiziell Asyl zu beantragen, doch der sichere Hafen ist nur von kurzer Dauer. Schon zu Beginn kreuzen sich seine Wege mit Wikström, einem alten Hemdenvertreter, der Job und Ehe hinwirft, um seinen Traum zu verwirklichen: ein Restaurant. Das Schicksal meint es gut mit ihm, denn auch er meint es gut mit seinen Mitmenschen. Das Spiel mit dem Karma verleiht Kaurismäkis Film eine menschliche Wärme, die sich vor dem Hintergrund der tragischen Schicksale abhebt. Mit einem Mindestmaß an Dialogen erzählt der Filmemacher eine berührende Geschichte, voll märchenhaftem Realismus und einer Selbstverständlichkeit, die der Altmeister über sein fast vierzig Jahre währendes Schaffen etabliert hat. Auf der Berlinale erhielt Kaurismäki den Silbernen Bären für die beste Regie. Sollte dies wirklich sein finaler Film sein, wie der Finne im Vorfeld des Festivals ankündigte, würde der Filmwelt etwas Besonderes fehlen. Die andere Seite der Hoffnung: ab 30.3., Passage Kinos

James Baldwin war einer der wichtigsten Bürgerrechtler der afroamerikanischen Community und ein wichtiger Vordenker seiner Zeit. Der Schriftsteller kämpfte zeitlebens für die Rechte und Würde seiner Mitmenschen. In dem unvollendeten Buch »Remember This House« reflektierte Baldwin Ende der Siebziger seinen eigenen Kampf entlang der Biographien dreier unterschiedlicher Mitstreiter: Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King – alle drei starben durch die Schüsse Weißer zwischen 1963 und 1968. Regisseur Raoul Peck (»Der junge Karl Marx«) fand seine eigenen Erfahrungen widergespiegelt in den Worten Baldwins. Er verwebt die Aussagen des Autors – ausdrucksstark verlesen von Schauspieler Samuel L. Jackson – mit Aufzeichnungen von Reden und Talk Show-Auftritten Baldwins, Archivmaterial der drei Protagonisten und Bildern der jüngsten Unruhen in Ferguson, nach dem Tod des 18-jährigen Afroamerikaners Michael Brown durch die Schüsse eines Polizisten. In der kunstvollen Montage entsteht so ein umfassendes Bild der amerikanischen Gesellschaft, in der Schwarze auch heute noch als Fremdkörper behandelt werden, obwohl sie in Amerika geboren und aufgewachsen sind. Ein aufrüttelndes dokumentarisches Essay, das in diesem Jahr für einen Oscar nominiert war.

I Am Not Your Negro: ab 30.3., Passage Kinos

Als Colonel Percival Fawcett im tiefsten Dschungel von Bolivien die Überreste einer versunkenen Zivilisation entdeckt, ist er sich sicher, einer Sensation auf der Spur zu sein. In den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts herrscht in der Wissenschaft die Meinung vor, die eingeborenen Indios seien nichts weiter als dumme Kreaturen, eher primitive Tiere als Menschen. Doch die Tonscherben liefern den Beweis, dass sie einer Gesellschaft entstammen, die viel älter ist als die westliche. Natürlich glaubt dem Landvermesser niemand und es dauert Jahre, bis Fawcett erneut eine Expedition auf die Beine stellen kann, deren Verlauf ihm und seinen Männern alles abverlangt. Unterdessen harren daheim in England seine selbstbewusste Frau Nina und ihr gemeinsamer Sohn auf seine ungewisse Rückkehr. James Gray, der sich bisher vor allem durch Gangsterfilme wie »The Yards« und »Helden der Nacht« einen Namen gemacht hat, adaptierte das Sachbuch von David Grann als außergewöhnlichen Abenteuerfilm. Ein berauschendes Filmerlebnis, das lange nachhallt. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

Die versunkene Stadt Z: ab 30.3., Cineplex Interview mit dem Regisseur und der Hauptdarstellerin hier.

»Ghost in the Shell« ist ein Manga von Masamune Shirow aus dem Jahr 1989, der 1995 von Mamoru Oshii als Anime verfilmt wurde. Die Geschichte um eine Polizistin in einer nicht allzu fernen Cyberpunk-Zukunft, deren Gehirn in einen synthetischen Organismus verpflanzt wurde, gilt als Klassiker des Genres – wenn man nur einen Manga kennt, stehen die Chancen gut, dass es sich dabei um »Ghost in the Shell« handelt. Aber auch, wer das Original noch nicht gesehen hat, wird mit dem Remake von Rupert Sanders etwas anfangen können – sofern er einer guten Science-Fiction-Story nicht abgeneigt ist. »Ghost in the Shell« bietet einen spannenden Plot und behandelt regelrecht philosophische Fragen, während seine Hauptfigur Major (Scarlett Johansson) einen Verbrecher jagt und dabei mehr und mehr über ihre eigene Vergangenheit in Erfahrung bringt. Als Schauplatz dient eine futuristische Cyberpunk-Stadt mit Hochhausschluchten und Neon-Reklamen, die durch sehr gelungenen CGI-Einsatz zum Leben erweckt wird. Die Settings und Kostüme wecken beste Erinnerungen an Ridley Scotts »Blade Runner«. Vor allem optisch ist der neue »Ghost in the Shell« sehr gelungen. Aber auch die Besetzung stimmt, unter anderem stehen Takeshi Kitano und Juliette Binoche vor der Kamera. Nur Scarlett Johannson nimmt man die Actionheldin nicht so ganz ab – gar nicht Mal in den ausgezeichnet choreographierten Kampf-Sequenzen, sondern zum Beispiel in einer Szene, in der sie in einem Verhör den toughen Cop gibt. Dafür ist sie in den nachdenklichen Momenten um so besser. Und davon hat der Film zum Glück mehr, als der actiongeladene Trailer das vermuten lässt.

Ghost in the Shell: ab 30.3., Cineplex, CineStar, Regina Palast

Der Dreh- und Angelpunkt von »Neben den Gleisen« ist der Kiosk am Bahnhof, eine vitale Begegnungsstätte mit Blick auf die Schienen. Morgens schon kommen Leute von der Nachtschicht auf ein Feierabendbier vorbei und der Taxifahrer, der gerade Leute zum Zug gebracht hat, ordert einen Pott Kaffee. Jeder muss hier lang, der den Zug nimmt oder vom Zug kommt; und mancher ist hier ganz ohne Ziel. Leute gehen zum Gleis oder kommen von dort, Flüchtlinge warten auf den Bus ins Aufnahmelager oder bekommen vom Taxifahrer einen besonderen Deal vorgeschlagen. Mancher bleibt am Kiosk hängen zwischen Spielautomaten, Zeitungen, Bierchen und Aschenbechern. Überhaupt, ständig wird geraucht. Von diesen Begegnungen neben den Gleisen erzählen ruhige Bilder, die kommentarlos die Boizenburger zu Wort kommen lassen. Nicht jeder hier hat Arbeit, jedenfalls nicht unbedingt langfristig, und so enthält das Rumhängen mit Bier und Kippe auch mal bittere Töne, die die Enttäuschung vom Leben und von der Politik artikulieren, vorwiegend von älteren Männern, die sich abgehängt fühlen und das den Flüchtlingen und Merkel in die Schuhe schieben wollen. Ein Stammgast ist der Liebe wegen in Boizenburg hängengeblieben und stellt sich nun vor, dass eine neue Liebe ihn woandershin bringt. Bis dahin zündet er sich erst mal eine weitere Zigarette an. Die Flüchtlinge, die diesen kleinen Kosmos nur aus der Ferne berühren, sind dagegen überglücklich, da zu sein. Diese kommentarlose Gegenüberstellung ihrer Welt und der der Alt-Boizenburger ist dramaturgisch gut gewählt, ebenso das Nebeneinander der verschiedenen Kioskbesucher. Dessen Betreiber freut sich, dass Boizenburg an der Bahn liegt und gut angebunden ist: Hamburg, Schwerin, Rostock sind nicht weit weg, sein Stammtisch ist ganz nah dran an der großen weiten Welt. Ausführliche Kritik von Franziska Reif im aktuellen kreuzer.

Neben den Gleisen: Premiere in Anwesenheit von Regisseur Dieter Schumann, 31.03., 19 Uhr, Passage Kinos

 

Flimmerzeit_März_2017

 

Weitere Termine

Kurzsüchtig Festival Seit vierzehn Jahren ist das Kurzsuechtig die wichtigste Plattform für Filmschaffende im mitteldeutschen Raum. Seit 2012 schreibt das Festival zudem einen Wettbewerb für Filmmusik und Sounddesign aus. In diesem Jahr gibt es neben den Formaten Animation, Dokumentation, Fiktion und Experimental ein weiteres: Virtual Reality. Mehr dazu im April-kreuzer. Wettbewerb Dokumentation: 30.03., 19:30 Uhr Wettbewerb Fiktion: 31.3., 19:30 Uhr Wettbewerb Filmmusik und Sounddesign: 1.4., 16 Uhr Wettbewerb Experimentalfilm: 1.4., 19 Uhr Best of 2017: 2.4., 18 Uhr Jeweils Schaubühne Lindenfels

Oscar Shorts – 5 Filme in 127 Minuten Eine Auswahl der diesjährigen Oscar Shorts. 31.3., 21 Uhr, UT Connewitz

Fight for Justice Aufarbeitung von Verbrechen gegen die Menschenrechte in der taiwanischen Rechtsgeschichte. Beim Golden Horse Film Festival als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. - Taiwanische Dokumentarfilmtage 1.4., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling (OmeU)

Klangkino Endlich wieder Klangkino im Cineding: Zu Fatih Akins sommerlicher Komödie »Im Juli« gibt es heute Live-Musik von Spellbound. 1.4., 19 Uhr, Cineding

One more try Ein Skaterfilm über echte Hingabe und Leidenschaft. – Filmpremiere mit den Protagonisten , Aftershow: Don Chensen & JK47 (Rad Beat Soup/Berlin) 1.4., 20 Uhr, UT Connewitz

Ein deutsches Leben Eine Dokumentation über das Leben von Brunhilde Pomsel, die während des Nationalsozialismus Stenografin unter Goebbels war. - anschl. Gespräch mit Robert Feustel über die Parallelen und Unterschiede früherer und heutiger rechter Rhetoriken. 2.4., 12.45 & 13 Uhr, Passage Kinos

Hebei Li wird in der chinesischen Provinz Hebei geboren. Der Bürgerkrieg führt ihn nach Taiwan, wo er bleibt. Außer in seinen Albträumen kehrt er nicht mehr in seine Heimat zurück. Für Li geht es nicht um Politik, sondern ums Überleben. - Taiwanische Dokumentarfilmtage 2.4., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Slavnoje – Ökodorf und Familienlandsitzsiedlung Umweltprobleme, soziale und wirtschaftliche Not sind in Russland allgegenwärtig. Die Lösung einiger Russen: Mit Kind und Kegel hinaus aufs Land ziehen und das Leben in die eigene Hand nehmen.- im Anschluss berichtet Dorothea Baumert, Veranstalterin von Russlandreisen, von weiteren Siedlungsprojekten in Russland. 2.4., 16 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Absent without Leave In der Dokumentation arbeitet der Regisseur Lau Kek-Huat seine eigene Familiengeschichte auf. Auf Basis von Tagebüchern und Anekdoten versucht er mehr über das Leben seines Vaters herauszufinden, den er selber nie kennengelernt hat. – Taiwanische Dokumentarfilmtage 3.4., 19 Uhr, Kinobar Prager Frühling (OmeU)

Sunrise: A Song of Two Humans Ein einfacher Mann vom Land wird von einem Vamp aus der Stadt verführt, versöhnt sich aber schließlich wieder mit seiner Frau. Eindringliches Stummfilm-Melodram des deutschen Expressionismus. – Stories from Lithuania 3.4., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Das Beste kommt zum Schluss Der Milliardär Edward Cole und der Mechaniker Carter Chambers teilen sie sich zufällig dasselbe Zimmer im Krankenhaus und entdecken dabei, dass sie zwei Dinge gemeinsam haben. Sie wünschen sich beide, ihre restliche Zeit so zu verbringen, wie sie es schon immer wollten, um Frieden mit sich selbst schließen zu können. 4.4., 17 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Es war einmal in Deutschland Eine Geschichte von den Juden, die blieben: Der schlitzohrige Geschäftsmann David versucht kurz nach dem Krieg genügend Geld zusammenzukratzen, um die Ausreise in die USA zu finanzieren. Historienkomödie, die u. a. in Weißenfels entstand. Am 4.4. Premiere mit Regisseur Sam Garbarski und Hauptdarstellerin Antje Traue 4.4., 19.30 Uhr, Passage Kinos

Small talk Anu ist ein Tomboy. Zwar wurde sie, wie im Taiwan der 1970er Jahre üblich, früh verheiratet und bekam zwei Kinder, ließ sich jedoch bald von ihrem gewalttätigen Mann scheiden und zog die Töchter alleine auf. – Taiwanische Dokumentarfilmtage 4.4., 19 Uhr, Kinobar Prager Frühling

When we talk about KGB Mitten in der Hauptstadt Vilnius befanden sich zu Sowjetzeiten die Zentrale und ein Gefängnis des litauischen KGB. Sieben Menschen, deren Leben in der Vergangenheit mit dem Gebäude verbunden war, erzählen dem Filmteam ihre Geschichte. - Stories from Lithuania 4.4., 21 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Bike Shorts Zum 200. Geburtstag des Fahrrads zeigt die Kinobar Kurzfilme zum Rad. 5.4., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Die Suche nach dem Glück im fremden Haus Maruf, Mahmoud, Sami, Mohammed haben ihren ersten Film gedreht. Sie leben seit einem Jahr in Frankfurt und kommen aus Afghanistan. Engagiert, mit vielen Ideen haben sie eine eindringliche Filmdokumentation über geflüchtete Menschen in Frankfurt erstellt. - Film und Podiumsdiskussion: Afghanistan. Kein sicheres Land für Geflüchtete - mit Andreas Rosen, André Brie, Thomas Hoffmann, Farhad Amad Ahmedi 5.4., 19 Uhr, Cinémathèque in der Nato

Für immer zusammen Die Geschichte einer Frau, deren Familie sich immer mehr von ihr entfremdet. – Stories from Lithuania 5.4., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels (OmeU)


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