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Kultur

»Eine verstümmelte Welt besingen«

Filmemacherin Selma Doborac über »Those Shocking Shaking Days«

  »Eine verstümmelte Welt besingen« | Filmemacherin Selma Doborac über »Those Shocking Shaking Days«

»Those Shocking Shaking Days« heißt der Film von Selma Doborac, in dem sich die 1982 in Bosnien und Herzegowina geborene Künstlerin an den Bosnienkrieg und an das Phänomen Krieg im Allgemeinen annähert und der nun beim Gegenkino-Festival gezeigt wird. Es geht ums Scheitern, Unsagbarkeiten und Überforderung. »Ein Film mit blauen Flecken« hat es der französische Filmkritker Jean-Pierre Rehm genannt. Im Interview erklärt Selma Doborac die Theorie hinter ihrem Werk und ihre Herangehensweise.

kreuzer: Sie arbeiten viel mit Mitteln der Abwesenheit und sprechen in diesem Zusammenhang von dem Versuch, »eine neutrale Darstellung des Dokumentarischen zu entwickeln«, hinterfragen dieses Konzept aber auch gelegentlich. Können Sie dieses Spannungsfeld etwas erläutern?

SELMA DOBORAC: Dieses Konzept hinterfrage ich stetig; an einer Stelle im Film schreibe ich: »Wer konnte schon jemals tatsächlich dokumentieren? «, denn das Ausmaß der Faktizität ist viel umfangreicher als wir es fassen können, dennoch ist es nicht unfassbar an sich. Ein tatsächliches dokumentarisches Bild zu generieren, eigentlich muss man es per se immer kreieren, könnte in der Möglichkeit liegen, dem Wesen dessen, was wir als wahrhaftig konstituiert haben, nahe zu kommen, und zwar indem ausführlich darüber nachgedacht wird, wie man treffende Versuche zustande bringen kann, sich dem Tatsächlichen oder sagen wir vielleicht lieber: dem Tätlichen dokumentarisch möglichst präzis zu nähern. Die Aussage über den Versuch eine neutrale Darstellung des Dokumentarischen zu entwickeln, ist in meinem Film »Those Shocking Shaking Days« an einer sehr spezifischen Stelle gesetzt; da gibt es ein explizites Filmbild und eine Handlung über welche dieser Satz in Form von Texttiteln gelegt wird; und in der Kombination des Filmbildes mit dem Text und dessen Inhalt ergibt sich eine Möglichkeit auf diesen Versuch aufmerksam zu machen, und natürlich auch, und das ist viel wesentlicher, zu thematisieren, was wir als das Dokumentarische denken könnten. Dem folgt dann auch die Frage »Und zwar, weil Material keine Erinnerung darstellt, auch wenn es ihr nahekommt? «. Und dem wiederum die Schwarzblende und eine weitere Frage: »Könnte ich Sie dazu bewegen, darüber nachzudenken, dass es zweckfremd ist, das Tatsächliche als das Wahrhafte zu postulieren? «. Das bedeutet, dass die Aussagen auf das im Film Präsentierte rekurrieren; auch wenn das Gezeigte de facto wahr ist, wird es im Film zum Kontext der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Versuchs das Dokumentarische (dieses spezifischen authentischen Kriegsmaterials) von mehreren Perspektiven zu denken; die von Ihnen angesprochene ist ein Punkt dieser Perspektivität.

kreuzer: Hat sich durch die heutige Medienlandschaft die Wahrnehmung von Krieg noch einmal verändert? Mich interessiert hier v.a. das Gefühl der Machtlosigkeit, von dem Sie sagen, es wurde durch den medial aufbereiteten Bosnienkrieg »erlernt«.

DOBORAC: Ja, zum einen hemmt die Möglichkeit der Schlachtung eines Menschen live beizuwohnen (via Stream) oder diese nachzusichten (bei YouTube oder früher auf Videokassette usw.), das Begreifen der Tat an sich, andererseits ist es natürlich gleichzeitig eine offenkundige Informationsquelle, die etwas über das Vorhandensein dieser Tat aussagt; es ist also eine hochkomplexe Angelegenheit, denn die Möglichkeit, Gräueltaten im medialisierten Abbild des Geschehnisses sichten zu können, befremdet den Zuseher insofern als sie ihm zwar eventuell als wahr, gleichsam auch als aufbereitet präsentiert wird, was bedeutet, dass es in jemandes anderen Zuständigkeitsbereich als den des Zusehers fällt; dieser kann also getrost passiv (Spektakuläres) konsumieren. Die Ernsthaftigkeit, die im Bild sichtbar ist und sich auch natürlich hinter dem Bild als Realität vollzieht, wird a) durch das Design des Medialen sofort überschrieben, jedoch aber b) sagt das Bild gleichzeitig aus, dass es die Realität genau so auch gibt. Man muss deshalb dennoch in Betracht ziehen, »dass dort wo das Bild aufhört, gleichsam auch die Realität beginnt oder sich in ähnlicher Weise fortsetzt«, nur muss man überlegen, welches Bild man letztlich zeigt und vor allem wie, um darauf aufmerksam zu machen.

kreuzer: In einer Zeit, in der viel vom Postfaktischen fabuliert wird, fragen Sie in Ihrem Film: »Was könnte man also gegen das Falsche und das Unwahre anbieten?“ Welche Strategien kann es gegen die politische Lüge geben?

DOBORAC: Darauf antworte ich mit einer Frage aus dem Film: »Jedenfalls fände man keine Antwort in der steten Ablenkung vom Wesentlichen, auch nicht in der Niederstreckung der Faktizität, nicht in fabulösen Nichtigkeitserklärungen des Wahrheitsgehaltes des Geschehenen, nicht indem man das Existierende und das Bewiesene bis zur Unkenntlichkeit skandalisiert und versucht, es aus der Welt zu stoßen, nicht indem man jedweden Anstand verliert, sondern fände man eine Antwort eventuell dort, wo man versuchte, Tätlichkeiten ins Recht zu setzen?« Man muss natürlich darüber nachdenken, in welchem Metier man sich bewegt, wenn es darum geht auf das »Unwahre« zu antworten, ein Journalist wird anders daran gehen als ein Künstler oder Autor beispielsweise; in der künstlerischen Auseinandersetzung, die mir als eine gerechte Form erscheint, gibt es durchaus Möglichkeiten, Strategien zu entwickeln, die dabei helfen können, Sachverhalte aufzuschlüsseln und somit gleichzeitig auch zu entlarven oder gar zu zerschlagen. Der Einflussbereich der künstlerischen Arbeit ist traditionell, wenn auch vielleicht verzögert, durchaus weitreichend und meinungsbildend, und ist nicht ausschließlich auf elitäre Zugänglichkeit begrenzt; im Expliziten erfüllt das Kino diese Aufgabe immer noch, denn es ist im Grunde, trotz des Internet und neuer Medienformen und völlig veränderter Kommunikationskultur, immer noch ein massentaugliches Medium in seinem Ursprungssinn, was sich auch so bald nicht ändern wird, auch wenn sich die Rezeptionsform verändert hat. Wie sehr künstlerisches Schaffen beeinflusst, sieht man anhand von Negativbeispielen genau so deutlich und vielleicht noch deutlicher, wenn etwa »sich berufende Blutsbrüder«, die in erster Linie Dichter oder Philosophen oder Künstler sind, daran gehen, ideologische Fragwürdigkeiten als künstlerische Strategien zu tarnen. Diese Muster kehren innerhalb der Kulturgeschichte immer wieder zurück; und auch wenn sich deren Gestalt oder deren Erscheinungsweise geändert haben, bleiben die Strategien an sich, und vor allem die obszönen Beweggründe, eigentlich die selben; insbesondere wiegen solche ideologiestiftenden Ausfälle (möchte ich fast sagen) in der Form des geschriebenen Wortes schwer; denn, wenn auch das Bild an sich heute fast schon über-explizit geworden ist und entsprechend wirkt, weil sich unsere Konsumations-Gewohnheit dahingehend umgestellt und verändert hat, ist das geschriebene, respektive das gedruckte Wort (vergleichbar vielleicht mit einem massiven, tonnenschweren Mahnmal) eventuell doch immer noch vehementer. Immer schon wurden in Form vermeintlicher Dichtung bestimmten Ideologien zuarbeitende, und wenn man es genau nimmt die Realität übertünchende Postulate formuliert (etwa das Sähen von Angst und somit das Erzeugen von Hass), die sukzessive, ausgehend vom reinen und ausschließlichen Sprachgebrauch, in die tägliche Anwendung übernommen wurden (eigentlich nennt man das Propaganda), zu Sachverhalten gemacht wurden und schließlich zu Realhandlungen führten und führen. Und solchen, im eigentlichen Grund weltfremden, gegen die Kultur des Gemeinsamen arbeitenden, zur Realität gewordenen Hasspraktiken und Angsttheorien, gilt es wiederum entgegen zu treten, und zwar durchaus in der Form künstlerischer Auseinandersetzung; diese zu Gegebenheiten gewordenen Allmachts-Fantasien wieder zu dekonstruieren, zu dekaschieren, sie preiszugeben, und sie im besten Fall umzustoßen.

INTERVIEW: AMOS BORCHERT Amos Borchert ist Mitorganisator des Gegenkino


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