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Politik

Palantir: Hinter verschlossenen Türen

Will Sachsens Innenminister Armin Schuster die Polizei mit der umstrittenen Software von Palantir ausstatten?

  Palantir: Hinter verschlossenen Türen | Will Sachsens Innenminister Armin Schuster die Polizei mit der umstrittenen Software von Palantir ausstatten?  Foto: Wikimedia Commons (ASBT2018 - Eigenes Werk)


Der neue Entwurf zur Novellierung des Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes (SächsPVDG) ist keine Routinekorrektur. Offiziell muss die CDU-geführte sächsische Regierung nur auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs reagieren, der am 25. Januar 2024 zentrale Passagen des Gesetzes kassiert hat. Doch statt einer Reparatur präsentiert Innenminister Armin Schuster (CDU) ein Überwachungsgesetz, das die Polizei technisch und rechtlich massiv aufrüstet. Der Freistaat könnte zum Reallabor algorithmischer Kontrolle werden.

Der Entwurf markiert einen weiteren Schritt auf dem Weg eines Paradigmenwechsels: weg von der Gefahrenabwehr, hin zu einer präventiven, digital durchleuchteten Bevölkerungskontrolle, noch dazu durch ein privates Unternehmen. Das sächsische Innenministerium sieht den Schritt als notwendige Modernisierung zur »Handlungssicherheit« der Polizei – Kritikerinnen und Kritiker befürchten hingegen eine Ausweitung der Befugnisse, die tief in Grundrechte eingreift.

Taktikwechsel: vom Frei- zum Überwachungsstaat

Brisant im aktuell veröffentlichten Referentenentwurf ist vor allem Paragraf 62a: Er schafft die Grundlage für eine »anlassbezogene automatisierte Datenanalyse«. Was nach technischer Neutralität klingt, deutet auf den Einstieg in die Infrastruktur des umstrittenen US-Unternehmens Palantir Technologies hin – denn die im Entwurf enthaltenen jährlich vorgesehenen 2,5 Millionen Euro sind für den sächsischen Anteil an einem »länderübergreifenden Projekt« vorgesehen, und in anderen Bundesländern ist Palantir bereits im Einsatz. Auf kreuzer-Anfrage an das sächsische Innenministerium, ob es sich dabei um das Projekt VeRA (Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform) handle, das technisch auf der Software von Palantir Technologies basiert, heißt es ausweichend: »Ansätze in Haushaltsplänen sind generell und rechtlich zwingend anbieterneutral«.

Der Leipziger Investigativjournalist Aiko Kempen (früher beim kreuzer, heute bei Frag den Staat) stößt bei Recherchen zum bundesweiten Einsatz der Analyse-Software Palantir auf eine Mauer des Schweigens der Behörden. Doch es gibt Hinweise auf einen Kontakt zwischen Innenministerium und Palantir: Auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG), nach dem Antragsstellende das Recht haben, Auskünfte oder Akteneinsicht von Behörden zu bekommen, wollten Frag den Staat und der kreuzer Einsicht nehmen in die Korrespondenz zwischen Palantir und Innenministerium in den Jahren 2023 bis 2025. Schon im Jahr 2023 antwortete uns das Innenministerium: »Die erbetene Korrespondenz mit Vertretern der Firma Palantir Inc. liegt nicht vor.« Auch eine erneute Anfrage zwei Jahre später lehnte das Innenministerium ab. Diesmal jedoch mit anderer Begründung: »Der Meinungsbildungsprozess über eine etwaige Beschaffung, wie der hier angefragten Analyseanwendung, ist nicht abgeschlossen.« Ähnliche aktuelle Transparenzanfragen rund um Palantir in der Schweiz haben nach Aiko Kempen zu einem »klareren Lagebild« mit »erfrischenden Debatten« geführt.

Sachsen will in die erste Liga

Vor dem Hintergrund von Kempens Beobachtungen lohnt ein bundesweiter Blick auf die IT-Infrastruktur. Das Programm P20/20 (kurz P20) ist ein umfassendes bundesweites Modernisierungsprogramm der deutschen Polizeien von Bund und Ländern. Es wurde 2016 von der Innenministerkonferenz (IMK) ins Leben gerufen, um die polizeiliche IT-Architektur und die Arbeitsprozesse grundlegend zu verändern und für die Herausforderungen der digitalen Welt fit zu machen. Ziel von P20 ist es, die aktuell stark zersplitterte IT-Landschaft der 16 Landespolizeien, der Bundespolizei und des Zolls zu vereinheitlichen. Das betrifft vor allem die technische Infrastruktur mit dem Ziel eines zentralen Datenhauses. Was die Software betrifft, ist seit der Innenministerkonferenz 2016 ebenfalls ein Plan zu erkennen: die Einführung von Palantir.

Schusters Entwurf scheint Teil dieser bundesweiten Strategie zu sein. Hessen nutzt Palantir seit 2017, Nordrhein-Westfalen seit 2020, Bayern hat 2022 einen Rahmenvertrag abgeschlossen, der es Bundesländern ermöglicht, die Software ohne weitere Ausschreibungen zu nutzen. Baden-Württemberg hat im November 2025 seine Polizeigesetze auf Palantir angepasst, Berlin folgte im Dezember. Die 2,5 Millionen Euro im sächsischen Haushalt und die Antworten auf die Anfragen nach Informationsfreiheitsgesetz deuten auf Palantir. Relevant ist der Blick auf die rechtliche Eingriffsbefugnis, welche der Palantir-Einsatz benötigt.

Zerwürfnis innerhalb der Mannschaft

Mit dem Gesetzesentwurf setzt die CDU ihren Koalitionspartner unter Druck. Marc Dietzschkau, Pressesprecher der SPD-Fraktion, schreibt auf kreuzer-Anfrage, dass die Sozialdemokraten beim Gesetzesentwurf verhandelt hätten, dass »keine Vorfestlegung auf ein bestimmtes IT-System« erfolgt und kein Vertrag mit Palantir eingegangen wird. Es bestünden »große Bedenken gegenüber dem Unternehmen sowie dem bestehenden Missbrauchspotenzial durch die Speicherung und Verarbeitung großer Mengen personenbezogener Daten auf Servern außerhalb der Europäischen Union«. Die Sozialdemokraten stehen nun vor einer absurden Wahl: Entweder sie stimmen der Eingriffsbefugnis zu und machen damit den Weg frei für Palantir beziehungsweise eine Software mit den gleichen Fähigkeiten – oder sie riskieren den Koalitionsfrieden.

Auf der letzten Innenministerkonferenz, die Anfang Dezember in Bremen stattfand, einigten sich die Innenminister der Länder (von CDU/CSU und SPD) auf den KI-Einsatz in Sicherheitsbehörden. »Bemerkenswert ist die Einigkeit unter allen Ministern, bei diesem zentralen Thema die Polizeien zu befähigen, mit der Entwicklung der Technik jetzt und künftig Schritt zu halten«, ließ sich Sachsens Innenminister Armin Schuster siegessicher in einer Pressemitteilung zur IMK zitieren.

Sachsens Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert (Grüne) antwortet auf kreuzer-Anfrage, dass sie die »automatisierte Datenanalyse und die Nutzung personenbezogener Daten für das Trainieren und Testen selbstlernender KI-Systeme« bedenklich finde. Damit übt sie wohl Kritik an der Eingriffsbefugnis durch Paragraf 62a. Dass polizeilich gespeicherte personenbezogene Daten »privaten Unternehmen zur Weiterentwicklung und Vermarktung ihrer Produkte zugänglich gemacht werden können«, kritisiert sie – was, vorsichtig interpretiert, gegen Palantir spricht. Denn darauf fußt Palantirs Geschäftsmodell.

Palantir: Champions League der Überwachung

Ein Blick in die USA zeigt, wohin die Reise führt: Der milliardenschwere Investor Peter Thiel, der als Einziger der Tech-Blase Donald Trump schon im Wahlkampf 2016 offen unterstützte, ist Mitgründer des geheimnisumwitterten Unternehmens Palantir. Dieses arbeitet für staatliche Stellen in den USA, darunter das Militär, die Gesundheitsbehörde sowie die Einwanderungsbehörde ICE, die die Software zur Jagd nach ausreisepflichtigen Migranten nutzt. Das Unternehmen verkauft nicht nur eine Plattform, die verschiedene Datenquellen verknüpft, sondern auch eine Daten-Ideologie oder einen Mythos, der private Firmen als effizienter darstellt als staatliche Stellen.

Der Name Palantir bezieht sich auf die magischen Seesteine aus »Herr der Ringe«, die Beobachtung über weite Entfernungen ermöglichen – wobei Thiel die Verbindung zum Oberbösewicht Sauron, der sie zur Knechtung nutzt, bewusst in Kauf nimmt.

Volle Überwachung auf dem Platz

Parallel zur Datenfusion soll mit Paragraf 57a die »intelligente Videoüberwachung« eingeführt werden. Damit könnten Kameras auf öffentlichen Plätzen in Echtzeit mit Polizeidatenbanken abgeglichen werden – inklusive biometrischer Gesichtserkennung. Fußballspiele, Demonstrationen sowie der gesamte öffentliche Raum würden algorithmusgestützte Überwachungsfelder.

Gleichzeitig erlaubt die vage Definition der »Kontakt- und Begleitperson« (§ 4 Nr. 9 SächsPVDG) die Speicherung von Daten unbeteiligter Menschen – nur weil sie »nicht nur flüchtig« mit Verdächtigen zu tun hatten. Das bedeutet die massive Ausweitung der vorsorgenden Speicherung personenbezogener Daten auf eine Vielzahl von Personen, die keine Tatverdächtigen sind, darunter Zeuginnen und Zeugen, Opfer sowie Kontakt- und Begleitpersonen.

Auch das spielt der Nutzung von Palantir in die Hände. Die Stärken der Software liegen in der Verknüpfung von Polizeidatenbanken, Kommunikation, Bewegungs- und Metadaten in Echtzeit.

Sachsens rote Karte für die Freiheit

Von den 86 Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft, die über das Beteiligungsportal beim Innenministerium eingegangen sind, warnt die überwiegende Mehrheit vor der Entstehung umfassender Datenbanken, die durch Zusammenführung großer Datenmengen (Metadaten, Internetdaten, Polizeidaten) »gläserne Bürger« schaffen. Lediglich eine Stellungnahme bewertet den Entwurf positiv – fordert jedoch gleichzeitig klare gesetzliche Formulierungen zur Verhinderung von Massenüberwachung.

Der Widerspruch, dass es im Gesetzentwurf einerseits heißt, die geeignete Software könne »gegenwärtig nicht eingeschätzt werden«, andererseits die Kosten genau beziffert werden, konnte durch die Antworten des sächsischen Innenministeriums auf unsere Fragen nicht aufgeklärt werden. Ebenso bleibt darin unklar, warum mit Paragraf 62a eine Rechtsgrundlage geschaffen wird, die die Tür für Palantirs Überwachungssoftware öffnet, obwohl mit der SPD ein Koalitionspartner öffentlich Bedenken geäußert hat.

Ende Januar soll der Entwurf in den Landtag eingebracht werden – mit ihm womöglich auch die Entscheidung, wie viel algorithmische Kontrolle Sachsen künftig zulässt.


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