Die DPA-Meldung der vergangenen Tage war niederschmetternd: jeder Fünfte geht in Deutschland nie ins Kino. Wohin die meisten anderen rennen, wissen wir ja, wenn wir uns die wöchentlichen Kinocharts anschauen. Aber es geht auch anders: Programmkinos bieten mehr als den Sequelwahn aus Hollywood und den nächsten »Schwaigerhöfer«. Von der Digitalisierung profitieren zudem auch die kleinen Kinos – das zumindest ergaben unsere Recherchen in den Arthouse-Kinos Leipzigs. Denen geht es nämlich gar nicht so schlecht. Woran das liegt, erfahren Sie im Aufmacher unseres Titeldossiers zum Thema Kino im aktuellen kreuzer. Außerdem haben wir die Historie der Kinos in Leipzig erforscht, berichten über den Plan eines Filmkunsthauses in der Gottschedstraße und erzählen, wie es sich anfühlt, wenn man die mit allerlei akustischen Wunderlichkeiten gespickte Kinoorgel im Grassi-Museum spielt.
Film der Woche: Dies ist die Geschichte von McDonald's – aber nicht jene der Erfinder der größten Burgerbude der Welt oder des bemerkenswerten Werdegangs vom kleinen Familienrestaurant zum globalen Fast Food-Imperium, sondern die des Mannes, der es dazu machte. Ray Kroc (Michael Keaton) kam mit dem magischen Wort »Franchise« auf die Brüder Dick und Mac McDonald (Nick Offerman, John Caroll Lynch) zu und seinem Traum, ihr auf Effektivität ausgerichtetes Hamburger-Restaurant landesweit zu kopieren. Der Perfektionismus der beiden Landeier kollidierte jedoch schon bald mit Krocs Größenwahn, der vor nichts Halt machte. Michael Keaton spielt ihn groß, aber dennoch greifbar. Die All-American-Story zeigt den Glanz und das Grauen des Kapitalismus in ehrlicher Form. Regisseur John Lee Hancock (»Blind Side – Die große Chance«) inszenierte das gut recherchierte Drehbuch von Robert D. Siegel (»The Wrestler«) als mitreißende Charakterstudie. Ihr Protagonist verliert zwar zunehmend an Sympathie, aber man begreift ihn und seine Motivation dank der behutsamen, nie reißerischen Erzählweise. Michael Keaton verleiht Ray Kroc Konturen. Nach »Birdman« trägt der Mime erneut locker den gesamten Film auf seinen Schultern. Er hält die mitunter etwas zerfaserte Dramaturgie zusammen. »The Founder« ist eine unaufgeregte, sicher inszenierte Geschichte vom Amerikanischen Traum in Gelb und Rot.
»The Founder«: ab 20.4., Passage Kinos
Wien in naher Zukunft. Mächtige Firmen haben Zugriff auf die verbliebenen biologischen Ressourcen soeben verstorbener Menschen erlangt. Die Toten werden, Doktor Frankenstein lässt grüßen, in ominösen Maschinen soweit reanimiert, dass Geist und Körper wieder nutzbar werden, etwa als Datenspeicher oder Organersatzteillager. Nur wer eine Todesversicherung abschließt, darf noch ganz klassisch final dahinscheiden, was sich lediglich die Allerreichsten leisten können. Vincent Baumann, einer der erfolgreichsten Agenten eines führenden Todesversicherungskonzerns, wird im Handlungsverlauf zunächst auf einen besonders hartnäckigen Policen-Verweigerer und später auf dessen Tochter Lisa angesetzt. Die wiederum kämpft als Aktivistin gegen das System und versucht ihrerseits, Baumann für die Pläne ihrer Untergrundgruppe einzuspannen. Science-Fiction-Filme aus Europa werden normalerweise und wenn überhaupt in Großbritannien produziert, weil nur dort die nötigen Budgets bereitgestellt werden. Umso erfreulicher ist es daher, dass mit »Stille Reserven« ein Genrebeitrag aus Österreich, einem der weiterhin interessantesten Filmländer des Kontinents, für Abwechslung sorgt. Die pseudokomplexe Handlung und die oberflächliche Figurenzeichnung hätten allerdings etwas mehr Feintuning und Originalität benötigt, um für mehr als bloß eine Klassikerhommage an »Soylent Green«, »Matrix« & Co. zu sorgen. Ausführliche Kritik von Peter Hoch im aktuellen kreuzer.
»Stille Reserven«: ab 20.4., Luru Kino in der Spinnerei
Am 21.4. Premiere in Anwesenheit des Regisseurs, 21 Uhr
Flimmerzeit_März 2017
Weitere Filmtermine der Woche
Die Entdeckung der Unendlichkeit
Das Schicksal des genialen britischen Physikstudenten Stephen Hawking. Berührend erzählt, einfühlsam gespielt.
20.4., 20 Uhr, Moritzbastei
Mädchen im Koffer
Mike und Sascha, Old Urban Berlin Heroes, sehen ihre Freundschaft vor einer harten Prüfung. Ihre gemeinsame Mitbewohnerin Sabeth ist plötzlich tot. Ihr Vermächtnis will, dass die beiden Männer einen Koffer zu einer Verwandten bringen sollen. Surrealer Roadmovie mit viel Musik. – Premiere in Anwesenheit des Regisseurs Albrecht Hirche
22.4., 19 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Radwanderkino im Zeichen der (Fashion-)Revolution
Gemütlich Rad fahren, die Stadt entdecken und gelegentlich einen Kurzfilm über die Hintergründe unserer Kleidung mit Schattenseiten und Lichtblicken in der Textilproduktion sehen. Veranstaltung im Rahmen der Fashion Revolution Week 2017.
22.4., 20 Uhr, Grassi-Museum Leipzig
Luther
International besetzte, historisch verklärte Rekonstruktion des Lebens des deutschen Reformators Martin Luther. – Filmreihe zum »Leipziger Kirchentag auf dem Weg« – Thema: Glaube und Reformation
23.4., 13 Uhr, Passage Kinos
Razbudi menja – Weck mich auf
Russischer Film im Original: Jenjas Freund ist seit über einem Jahr verschwunden und nun suchen sie prophetische Träume heim. Sie glaubt die Zukunft zu kennen und diese auch verändern zu können. Sie arrangiert sich eine eigene Welt zwischen Traum und Realität und setzt alles daran, eine bevorstehende Tragödie zu verhindern.
23.4., 17.30 Uhr, Cineplex (OF)
Wenn der Vorhang fällt
Dokumentarfilm über den deutschen Hiphop. Filmemacher Michael Münch schaut, wie sich der Deutschrap in den vergangenen 30 Jahren entwickelte und holt dabei allerlei Szenegrößen vor die Kamera.
23.4., 1.5., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Der Garten
Jakob ist ein verträumter Tagedieb, der noch als Mittdreißiger dem werktätigen Vater im Wege steht. Dieser setzt ihn eines Tages vor die Tür, schenkt ihm aber ein verrottetes Gartenhaus in der Provinz. Jakob beginnt den verwilderten Garten in Ordnung zu bringen. Er erhält Besuch von Helena, die als verrückt gilt, aber auch übernatürliche Fähigkeiten hat. Durch sie lernt er die Welt auf neue Weise zu erfahren. Er verliert alles, was er hat, aber er findet das Glück. Märchenhaft poetischer Film, bei Filmfestspielen in Turin, Bologna, Prag, Wien, Cottbus und Mannheim-Heidelberg ausgezeichnet. 20 Jahre Kinobar
24.4., 19 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Ein Haufen Liebe
Die Leipziger Filmemacherin Alina Cyranek begleitete Frauen einer Theatergruppe und ließ sie über ihr Leben und ihren Lieben erzählen. - Premiere in Anwesenheit der Regisseurin
25.4., 19 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Projekt Itoh – Genocidal Organ
Nachdem eine Atombombe eines Terroristen Sarajewo komplett zerstörte, befindet sich die Welt im Krieg gegen den Terror, der immer mehr ausufert und totalitäre Überwachungsstaaten hervorbringt. Geheimagent Clavis Shepherd ist derweil auf den Spuren des Schurken John Paul, der gezielt Medien und Werbung manipuliren kann, um mörderische Instinkte - das sogenannte »genozide Organ« - bei den Menschen freizusetzen.
25.4., 20 Uhr, Cineplex, CineStar
The Discrete Charm of Geometry
Eine Gruppe von Wissenschaftlern arbeitet an einer großen Entdeckung. Hoffnung, Euphorie und Enttäuschung, Wettbewerb und Anerkennung im Fokus der Kamera. – Wissenschaftskino – Filmvorführung und Gespräch mit der Regisseurin Ekaterina Eremenko und weiteren Podiumsgästen
25.4., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum
Filmriss Filmquiz
Der Vorhang hebt sich, die Titelmusik beginnt, ein Geistesblitz und ihr seid um ein T-Shirt reicher. Ein Auto fährt vor, Bruce Willis steigt aus, ihr wisst Bescheid und die DVD gehört euch. Ihr singt die Bond-Songs unter der Dusche und werft eurem Spiegelbild nen Schwarzenegger-Spruch entgegen, wenn keiner hinhört? Dann seid ihr hier genau richtig! André Thaetz und Lars Tunçay feiern Film und schwelgen in Erinnerung an unvergessliche Szenen, Sets und Zeilen.
25.3., 20.30 Uhr, Conne Island
Ballet Mécanique #12
Das Stummfilmdoppel im Luru, diesmal mit dem russischen »Der blaue Express« von Ilya Trauberg und »Brüder« von Werner Hochbaum.
26.4., 19 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei
Lass uns'n Wunder sein. Auf der Suche nach Rio Reiser
Auf seiner Suche nach dem Mythos Rio Reiser gräbt Musikfilm-Veteran Stefan Paul nie gezeigte Fotos und vergessene Konzertmitschnitte aus und lässt Wegbegleiter zu Wort kommen.
26.4., 20 Uhr, Cineding
Pornografie und Holocaust
Nach dem großen Erfolg des ersten pornografischen Taschenbuchs »Stalag 13«, das zur Zeit des Eichmann-Prozesses in Israel erschien, entwickelten sich die reißerischen Heftchen Anfang der sechziger Jahre zum Massenphänomen. Gleichzeitig waren diese Heftchen die erste öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust. – mit einer Einführung von Sebastian Paul
26.4., 20 Uhr, Cinémathèque in der Nato
Siebzehn
Die 17-jährige Paula, eine überdurchschnittlich gute Schülerin, ist in ihre Klassenkameradin Charlotte verliebt. Charlotte ist allerdings mit Michael liiert. Paula muss sich entscheiden, ob sie ihren eigenen Gefühlen folgt oder denen der anderen. Ausgezeichnet mit dem Max Ophüls Preis 2017. – QueerBlick
26.4., 19.30 Uhr, Passage Kinos
Todschick - Die Schattenseite der Mode
Seit vielen Jahren versprechen uns die Modefirmen saubere und faire Produktionsbedingungen. Sind das nur leere Versprechungen? - Mittwochsattacke von Attac Leipzig – Dok-Film im Rahmen der »Fashion Revolution Week«, anschl. Diskussion
26.4., 18 Uhr, Schaubühne Lindenfels