Das Immergut in Neustrelitz eröffnet traditionell die Festivalsaison. Mit liebevoller Deko, rauschenden Indie-Diskos und ausgewählten Bands. Alles super – nur der Sound nicht. Szenen eines Festivals
Volljährigkeit
Das Immergut in Neustrelitz, das sich einst nach einer Milch benannte, feiert seine Volljährigkeit und gibt das gleich als Motto für die Ewigkeit aus: Für immer 18! Schaut man in die Gesichter der Gäste, ist bei den meisten ihr 18. Geburtstag in etwa so lange her wie das erste Immergut. Ein Festival, bei dem man sich auch nicht alt vorkommen muss, wenn man keine 30 mehr ist.
Und so passt es auch, dass am Eröffnungsabend der auch nicht mehr ganz junge Bernd Begemann auf der Bühne steht, bei dem man sich allerdings nicht sicher ist, ob das nun witzig oder doch einfach nur pubertär ist, wenn er darüber singt, dass er nur gut im Bett ist und nirgendwo sonst. Ihm widmen die Sterne später ihren »Universal Tellerwäscher«. Die Sterne sind hier so was wie die Hausband, sie waren schon öfter hier, und mitsingen können wir eh alles, da vorne in den ersten Reihen, wo so schön rumgesprungen wird, dass der Boden im ganzen Zelt wackelt. Auch die Shout Out Louds sind bekannt aus all den Indie-Diskos, die jede Nacht stattfinden.
Indie-Disko
In der zweiten Nacht legen das Detektor DJ-Team und Preller auf und irritieren schon mal alle dadurch, dass sie Elektro statt Gitarren spielen. Später wirds nicht besser. DJ-Ansagen sollte man entweder mit Witz und Charme belegen oder den Leuten auf den Marktplätzen überlassen. Sichere Bank dagegen: Der Karrera Klub aus Berlin. Hits, Hits, Hits, und am Ende singen alle Oasis-Songs. Angeblich ist einer der beiden DJs stocknüchtern, weil er im letzten Jahr seinem Kollegen noch während der Show vor die Füße gekotzt hat. Genaueres wissen wir nicht.
Die Nummer am Parkautomat
Tagsüber ist es heiß. Wir wollen zum Badesee. Ein Shuttlezug soll kommen, wir sitzen am Gleis und lassen die Beine baumeln. Doch der Zug ist nur wenige Meter lang, hält am anderen Ende des Bahnsteigs, etwa drei Viertel der in der Sonne Schwitzenden passen nicht mehr rein und werden zurückgelassen. So auch wir. Also Auto. Auf dem Ausflugsparkplatz steht eine Parkuhr, die 50 Cent pro Stunde verlangt. Wir schmeißen einen Euro rein. Es rattert kurz, sonst passiert nichts. Auf dem Automat steht eine Nummer, bei der man sich bei Störungen melden kann. Wir sind gut aufgelegt und wählen sie.
»Hallo, Kranich hier. Ich habe gerade einen Euro in den Parkautomaten geworfen, aber keinen …«
»Nicht schon wieder. Ständig rufen hier Leute an. Das ist die falsche Nummer.«
»Wieso? Wo bin ich denn jetzt rausgekommen?«
»In Bayern. Ich habe damit nichts zu tun.«
»In Bayern?«
»Ja. Wo steht denn dieser Automat überhaupt?«
»In der Nähe von Neustrelitz. Am Weißen See. Sehr schön hier. Vielleicht sollten Sie mal herfahren. Es scheint auch die Sonne.«
»Hier ist auch gutes Wetter. Können Sie vielleicht einfach die Nummer durchstreichen?«
»Ich habe leider keinen Stift. Können Sie mir vielleicht wenigstens 50 Cent überweisen?«
Aufgelegt.
!!!
Eine Bandname wie aus dem Internet. Und eine Show wie aus einem dreckigen Tanzkeller. Die Band mit den Ausrufezeichen ist völlig durchgedreht. Der Sänger, der aussieht wie aus einem Wohlfühl-Arthouse-Film, und die Sängerin tanzen wie bescheuert. Bewegen alle Körperteile, die sie haben, und springen in die Menge, damit diese es ihnen gleichtut.
Enttäuschung
Friends Of Gas haben abgesagt. Dabei sind wir doch wegen ihnen hier.
Die höchste Eisenbahn
Sie wundern sich über das Einhorn, das den Dino fickt. Oder war es ein anderes Tier, das hier als aufblasbares Gimmick über den Köpfen thront? Und welches Tier hat zwei Beine mehr, wenn es sitzt? Wir wundern uns alle. Auf Nachfragen schreit jemand: Weil ihr super seid. Die Band versteht immer nur: Tut uns leid. Super sind sie dennoch.
Angel Olsen
Sie ist sehr entrückt. In ihrer Band haben alle die gleichen supercoolen Anzüge an, wodurch die amerikanische Sängerin an der Gitarre in ihrem kurzen Hosenkleid noch mehr betont wird. Sie ist supercool, singt mit tiefer Stimme ihre Lieder, guckt immer ein bisschen angepisst und scheint es doch zu genießen. Ich auch.
Der Sound
Irgendwas stimmt nicht. Auf der Hauptbühne gibts ernsthafte Probleme mit dem Sound. Der Bass ist lauter als beim Rave, der Gesang dagegen viel zu leise. Bei Broken Social Scene gibts schon Ärger, am nächsten Abend bei Portugal The Man erschüttert ein Geräusch, das irgendwo zwischen Rückkopplung und Kabel-aus-dem-Verstärker-Ziehen einzuordnen ist, nicht nur die Fans der ersten Reihe, sondern den gesamten Zeltplatz. Es kommt in unregelmäßigen Abständen und erschreckt alle. Außer die Band, die spielt seelenruhig weiter.
Karaoke
Am letzten Tag entdecken wir am Rande des Geländes einen kleinen Wohnwagen-Anhänger. In ihm verbirgt sich eine Karaoke-Party. Manche bleiben Stunden und kommen nur noch zum Bierholen wieder raus.
Die Burger-Situation
Die Zeltnachbarn haben eine Box dabei, die so groß ist, dass sie sie nur mit Sackkarre herbringen konnten, und sie übertönt unsere Handybox um Längen. Statt Konfrontation setzt hier Freundin auf Charme und quatscht so lange auf die Nachbarn ein, bis ihre eigene Musikliste gespielt wird. Wir tanzen. Irgendwann taucht M. auf, kämpft sich über Zeltschnüre und einen Busch. In seinen Händen ein undefinierbares Etwas, das er stolz seiner Freundin überreicht. »Was ist das?«, fragt die eher angewidert. »Burger, Alter!« Ein Ausruf voller Stolz. Wir wissen nicht, wie lange er ihn schon über das Gelände geschleppt hat und wie viel Schmerz und Schweiß ihn das gekostet hat, aber wir wollen das Ding nicht. Traurig und geschafft sitzt er im Campingstuhl und isst ihn alleine auf.
Konfetti
Überall Konfetti. Die Freunde, die immer alles übertreiben müssen, haben kiloweise bunte Papierschnipsel mitgebracht, die sie einem zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit über den Kopf schütten. Ein unbekannter Zeltnachbar torkelt vorbei: »Bei so viel Konfetti auf dem Boden nehme ich an, dass ihr gerade nicht den Nah-Ost-Konflikt diskutiert.« Nee, aber wenn man ihn mit Konfetti lösen könnte, wir wären dabei.
Die Rückfahrt
Es sind 33 Grad im Schatten, unser Auto hat keine Klimaanalage, aber dafür getönte Scheiben hinten. Überall ist Stau. Wegen Feiertag, wegen Kirchentag, wegen Baustelle. Weswegen auch immer. Dorfbewohner hinter Gartenzäunen prosten uns im Stau Stehenden hämisch zu und geben Tipps, wie wir weiterfahren sollten. Am Ende brauchen wir neun Stunden statt dreieinhalb. Wir kommen trotzdem wieder.