Der Medienwissenschaftler Michael Haller hat mit der Uni Leipzig und der Hamburg Media School eine umfangreiche Studie und Analyse der Medienberichterstattung zur Flüchtlingskrise 2015 und 2016 erstellt. Das Ergebnis: Die Medien haben sehr einseitig und im Sinne der Bundesregierung berichtet. Im Interview erklärt der ehemalige Leipziger Professor, warum man die AfD öfter einbeziehen sollte und »Lügenpresse«-Rufer trotzdem nicht unterstützt.
kreuzer: Die Zeit, die Ihre Studie vorstellte, schrieb: »Medien haben in der Flüchtlingskrise versagt«. Warum ist diese Überschrift fasch?
MICHAEL HALLER: »Versagen« nennt man das totale Scheitern. Der Informationsjournalismus, den wir untersucht haben, ist nicht total gescheitert. Er hat aber einige – aus meiner Sicht sehr bedeutsame – Funktionen nicht erfüllt. Darum sprechen wir von »Dysfunktionen«.
kreuzer: Welche Ergebnisse Ihrer Studie haben Sie selbst überrascht?
HALLER: Nicht erwartet habe ich, dass die direkt Beteiligten – Helfer, Initianten, lokale Gremien, behördlich Zuständige, Flüchtlinge – derart wenig Beachtung fanden. Und dass die Experten – wir haben in Deutschland sehr kompetente Migrationsexperten und Extremismusforscher – praktisch nie zu Wort kamen. Überrascht hat mich auch, dass die drei meinungsführenden Tageszeitungen in ihren Berichten derart deutlich Meinungsmache betreiben, dass also die Trennung von Nachricht und Kommentar sich im Informationsjournalismus schon so weit aufgelöst hat. Das halte für einen sehr bedenklichen Trend.
kreuzer: Sie haben selbst gesagt, viele Medien hätten während der sogenannten Flüchtlingskrise nahezu PR für die Bundesregierung gemacht. Worauf sollten Medienmacher in Zukunft achten, um das zu vermeiden?
HALLER: Sich nicht in den Dienst von Kampagnen stellen (lassen), nicht den Mächtigen das Speicheltuch reichen - sondern umgekehrt: Aus der Sicht der BürgerInnen die Machthabenden befragen und sie zur Verantwortung ziehen. Wie gesagt: Dies gilt für den Informationsjournalismus. Der vergleichsweise »entschleunigte« Magazin- und Unterhaltungsjournalismus, auch Fachmedien und Nischenprodukte folgen anderen Erwartungen und Ansprüchen.
kreuzer: In der Studie heißt es auch: »Akteure der Parteien und Gruppen am rechten politischen Rand - die in mehreren Bundesländern in den Parlamenten sitzen - hatten in der medialen Öffentlichkeit zu diesem Thema offenbar nichts Relevantes zu sagen. Wenn sie erwähnt wurden, dann nur beiläufig. « Sollte man rechte Akteure wirklich häufiger öffentlich zitieren?
HALLER: Es kommt nicht aufs Zitieren an, sondern darauf, auch unbequeme Gruppen und Parteien, soweit sie auf dem Boden unserer Grundordnung stehen und diese bejahen, in den öffentlichen Diskurs einzubeziehen. Eine nationalistisch eingestellte Partei, die in mehr als zehn Landesparlamenten eine aktive Oppositionspolitik betreibt, muss man journalistisch ebenso ernst nehmen wie jede andere Parlamentspartei. Die Strategie des Ausblendens und Übergehens erreicht das Gegenteil des Erwünschten: Die »Lügenpresse«-Rufer nehmen zu, ebenso jene, die ihnen hinterherlaufen.
kreuzer: Wie kann man Medienkritik noch sinnvoll gestalten, ohne diese »Lügenpresse« und »Mainstream«-Rufe weiter zu füttern?
HALLER: Es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen analysieren, aufklären, nachdenken, Transparenz herstellen! Im Unterschied zur Türkei und derzeit zu Polen leben wir in einer informationsoffenen Gesellschaft, die das Prinzip der Meinungsfreiheit hochhält. Da müssen wir auch in Kauf nehmen, dass Informationen missbraucht und Meinungen verdreht werden. Wo kämen wir hin, wenn wir die Idee der Aufklärung begraben würden, nur, weil es auch noch Populisten und Krakeeler gibt!