Leipzig hat sich in den letzten zehn Jahren radikal verändert und ist die derzeit am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands – ein Umstand, dem nun ein 300 Seiten starkes integriertes Stadtentwicklungskonzept Rechnung tragen soll, das am Mittwoch von der Stadt vorgelegt wurde. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) stellte die allgemeinen Ziele des Papieres vor und bezeichnete es als einen »ganz großen Wurf«.
Das Konzept ist in den letzten anderthalb Jahren unter hoher Bürgerbeteiligung entstanden und soll unter dem Motto »Auf dem Weg zur nachhaltigen Stadt« in Zukunft die Richtlinien und Grundlagen der politischen Entscheidungen im Rathaus bestimmen. Die Stadt wird darin in unterschiedliche Schwerpunkträume unterteilt, unterschiedliche Vorhaben in verschiedenen Fachteilgebieten formuliert – etwa zu Mobilität, Bildung und Wohnen.
Was genau ist eine »nachhaltige« Stadt?
Klare Strukturen sind jedoch nicht alles: Bei der Vorstellung der Inhalte bleibt Jung sehr vage und unkonkret. Wettbewerb, Internationalität, soziale Stabilität und Lebensqualität sind die Schlagworte, die die grundlegende Richtung der zukünftigen Stadtentwicklung vorgeben sollen. Mit konkreten Vorhaben und Maßnahmen aus dem entwickelten Konzept verbindet er diese Richtlinien nicht. Auch, was eigentlich genau eine »nachhaltige« Stadt ausmacht und welche konkreten Maßnahmen damit verbunden sind, bleibt wohl im Interpretationsspielraum der Bürger.
Wirtschaftliches Wachstum höchste Priorität
Sehr deutlich wird Jung jedoch, wenn er den Schwerpunkt zukünftiger städtischer Entwicklung benennt: Absolute Priorität hat das wirtschaftliche Wachstum, aus dem heraus sich alle anderen Entwicklungen ergeben sollen. Dafür müsse etwa die Stadtverwaltung wirtschaftsfreundlicher gestaltet werden, um Leipzig zu einem attraktiven Ort für Arbeitgeber zu machen. Leipzig sieht Jung dabei in internationaler Konkurrenz um Unternehmen und Kulturschaffende: »Unsere Wettbewerber sind alle europäischen Metropolen«, sagt der Oberbürgermeister selbstbewusst.
720.000 Einwohner
Das Stadtentwicklungskonzept geht grundlegend davon aus, dass das Bevölkerungswachstum der Stadt anhält, die wirtschaftliche Entwicklung vorangeht und die Stadt insgesamt internationaler wird – sowohl durch Zuzug von Privatpersonen als auch durch internationale Unternehmen. Ausgegangen wird zudem davon, dass die Stadt im Jahr 2030 circa 720.000 Einwohner hat, weswegen etwa 70 neue Schulen und circa 100 neue Kitas entstehen sollen.
»Bauen, bauen, bauen«
Mit dem Bevölkerungswachstum einher wird jedoch auch eine weitere Verknappung des Wohnraums gehen – und damit weiter steigende Mitpreise. Auf das Thema Wohnraummangel und soziales Wohnen angesprochen reagiert die parteilose Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau: »Da der Leerstand in der Stadt größtenteils weggeschmolzen ist, heißt es jetzt bauen, bauen, bauen.« Bei diesen Baumaßnahmen soll auch in Sozialwohnungen investiert werden – 20 Millionen Euro pro Jahr sollen allein von der Landesregierung in Sozialwohnungen investiert werden, was etwa 550 Wohnungen entspricht. Für den steigenden Zuzug und die Knappheit an bezahlbaren Mieten wird das kaum reichen.
»Die Zeit der extrem niedrigen Preise ist vorbei«
Auch Dubrau wendet ein, dass Leipziger in Zukunft wohl in kleineren Wohnungen leben müssen, um den hohen Bedarf decken zu können, und stellt klar: »Die Zeit der extrem niedrigen Preise ist vorbei.« Dass beim Thema Wohnen in Leipzig auch alternative Wohnkonzepte mitbedacht werden müssen, zeigt das Beispiel der Bauwagenplätze. Dafür, dass private Eigentümer ihre Grundstücke nicht für solche alternativen Wohnprojekte zur Verfügung stellen möchten, zeigt Dubrau zwar Verständnis. Gleichzeitig verweist sie darauf, dass etwa Wagenplätze keine rechtlichen Grundlagen haben, und es somit einer gesamtdeutschen Initiative bedarf, solche alternativen Lebensformen in der Stadt zu ermöglichen. Dazu, ob sich die Stadt Leipzig in Zukunft dafür auf Landes- oder Bundesebene einsetzen wird, schweigt sie.
Eigene Ideen einbringen
Die Grundzüge des Konzeptes werden ab dem 25. August in einer Ausstellung am Hauptbahnhof gezeigt sowie ab dem 1. September parallel in der Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz. Bis Ende September sollen alle Bürger außerdem noch die Chance haben, das bisherige Konzept auch online lesen und eigene Gedanken und Ideen mit einzubringen, bevor der Plan dann im Februar 2018 dem Stadtrat zum Beschluss vorgelegt wird. Für Jung ist besonders Absicherung wichtig: »Ich wünsche mir eine hohe Verbindlichkeit – im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten«.