Schon in den vergangenen vierzehn Ausgaben der Filmreihe »Ballet Mècanique« im Luru Kino waren Filme wichtig, bei denen das Kino politisch verwickelt war. Aus Russland gab es dann Werke, die die Oktoberrevolution über frühere Tumulte und Aufstände erkundeten. Nun jährt sich die Oktoberrevolution zum 100. Mal. Spiegeln sollen das zwei Programmblöcke, die sich ganz auf Russland konzentrieren. Polit- und Propagandabilder treten ins Verhältnis, Revolutionskitsch trifft auf frühe Dokumentarfilme. Ein Programmteil ist dem Prinzip der Filmreihe folgend stumm und ohne Musikbegleitung. Das soll den Blick schärfen. Zu sehen sind »Das Ende von St. Petersburg« (Wsewolod Pudowkin, 1927), »Oktober« (Sergej Eisenstein, 1927/28), »Arsenal« (Oleksandr Dowschenko, 1928) und »Der große Weg« (Esther Schub, 1927) – allesamt Auftragsarbeiten zum zehnten Jahrestag des Umbruchs. Der zweite Teil des Programms mit »Der stille Don« (Sergej Gerassimow, 1957), »Die Kommissarin« (Aleksandr Askoldow, 1967), »Leuchte, mein Stern, leuchte« (Aleksandr Mitta, 1970) sowie »Agonie« (Elem Klimow, 1981) widmet sich Aufarbeitungen aus der Zeit des Tonfilms. Alle Arbeiten werden zwischen September und Dezember in acht 35-mm-Filmveranstaltungen gezeigt. Dazu gibt es Einführungen von Kurator Tilman Schumacher. (Dennis Vetter)
ab 20.9., Luru Kino in der Spinnerei, www.luru-kino.de
Film der Woche: Mr. Long ist ein schweigsamer Auftragskiller, ein Meister des Messers, der eigentlich aus Taiwan stammt. Sein Boss schickt ihn nach Japan, um einen höherrangigen Gangster auszuschalten, doch bei dem Mordanschlag in einem Erotikclub scheitert er. Blutverschmiert findet sich Mr. Long zwischen verlassenen Häuserzeilen wieder. Dort lebt Jun mit seiner drogenabhängigen Mutter Lily. Gemeinsam mit den freundlichen Anwohnern hilft der kleine Junge dem schweigsamen Fremden wieder auf die Beine zu kommen und ehe Long sich versieht, führt er einen höchst erfolgreichen Fast-Food-Stand mit Nudeln nach taiwanischem Rezept – bis ihn seine Vergangenheit einholt. Mit viel Witz und Charme inszenierte Regisseur Sabu (»Monday«) die comichafte Geschichte, aber nicht ohne am Ende den blutigen Showdown als Hommage an japanische Yakuza-Thriller zu inszenieren. Ein wilder Genremix: kunstvoll stilisierte Kampfchoreografien in einem Moment, herzerwärmende Dramatik im nächsten – Sabu liebt das Spiel mit den Emotionen. Für die Hauptrolle konnte er den in Taiwan geborenen Darsteller Chen Chang (»The Assassin«) gewinnen, der bereits mehrfach mit Ang Lee und Wong Kar-Wai zusammenarbeitete und den Film lässig und ohne große Worte zu verlieren trägt. Sabus Bildsprache ist wie gewohnt einfallsreich, der Plot stets überraschend und der gesamte Film durchzogen von einem warmherzigen Humor und kauzigen Charakteren. Auf der Berlinale begeisterte der japanische Altmeister in diesem Jahr Kritik und Publikum gleichermaßen. Ausführliche Kritik von Frank Brenner im aktuellen kreuzer.
»Mr. Long«: ab 14.9., Luru Kino in der Spinnerei
John Trengove erzählt in »Die Wunde« von einer über die Generationen überlieferten Tradition unter den Xhosa, die auch heute noch praktiziert wird und in ihrer archaischen Ausrichtung wie aus der Zeit gefallen wirkt. Auf einem abgelegenen Berg trifft sich eine Gruppe halbwüchsiger Burschen, die an der Schwelle zum Mann stehen und eben diese Stufe durch einen Initiationsritus meistern sollen. Einige Wochen sollen sie in abgelegenen Hütten zubringen, weiß angemalt wie Ziegen, und sich unter Aufsicht eines Betreuers von den Wunden erholen, die ihnen durch die rituelle Beschneidung von den Dorfältesten zugefügt worden sind. Xolani kommt schon seit Jahren hierher und fungiert als Vertrauensperson für einen der jungen Männer. Dieses Mal hat man ihm die Verantwortung für Kwanda übertragen, der wohlbehütet in Johannesburg aufwächst, seinem Vater allerdings Sorgen bereitet, weil er sich mit den falschen Freunden zu treffen scheint. Unterschwellig klingt der Verdacht an, dass Kwanda schwul sein könnte. Ausgerechnet Xolani soll nun dafür sorgen, dass die Ängste des Vaters zerstreut werden und aus Kwanda ein richtiger Mann wird. Dabei kommt Xolani nur deswegen immer wieder in das Camp, weil er dort auf seinen alten Freund Vija trifft, mit dem ihn in diesen wenigen Wochen des Jahres eine leidenschaftliche Affäre verbindet. Es sind die ungewöhnliche Thematik und die anachronistisch anmutende unbekannte Welt, die einen von Anfang an in ihren Bann schlagen. Trengove kann uns in der Geschichte immer wieder verblüffen und schlägt unerwartete Haken, die einen bis zur überraschenden Schlussszene gebannt an den Ereignissen dranbleiben lassen. Ausführliche Kritik von Frank Brenner im aktuellen kreuzer.
»Die Wunde«: ab 14.9., Cinémathèque in der Nato, ab 21.9., Cineding
Der Roman »Das Löwenmädchen« von Erik Fosnes Hansen stellt in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für eine Filmadaption dar. Die Innenansicht eines am ganzen Körper behaarten Mädchens, ihre Wahrnehmung der Menschen und die Reaktion auf ihr Erscheinungsbild waren ebenso schwer umzusetzen wie die Maske ihrer Darstellerin glaubhaft wirken zu lassen. Wo im Buch die Fantasie des Lesers greift, sieht man sich im Film konfrontiert mit der erzählerischen Realität. Die norwegische Regisseurin Vibeke Idsøe hat es trotzdem gewagt und erzählt die Geschichte ihrer Vorlage mit behutsam austariertem Tempo. Schauplatz ist ein kleiner Ort in Norwegen im Jahr 1912. Die kleine Eva ist das Einzige, was dem Bahnhofsvorsteher Arctander (Rolf Lassgård) von seiner geliebten Frau blieb. Der sture Alte will das Kind zunächst nicht annehmen, hüllt doch eine dicke Schicht Haare seinen Körper komplett ein. Doch der Flaum will nicht weichen und Arctander fügt sich irgendwann in sein Schicksal, wohl darauf bedacht, sein Ansehen in der Öffentlichkeit nicht zu verlieren. Er engagiert die junge Ruth (Lisa Loven Kongsli) als Kindermädchen, damit sie sich um Eva zu kümmert. So wächst das Mädchen heran, gewöhnt daran, jedes Fenster zu meiden und immer wieder in die Kammer unter der Treppe zu kriechen, wenn Besuch kommt. Ruth kämpft darum, dass Eva die Welt vor der Tür kennenlernt. Doch die Sensationsgier der Menschen und die Mischung aus Angst und Abscheu, die ihr Erscheinungsbild bei ihnen hervorruft, führen zum Eklat. So ist »Das Löwenmädchen« die Geschichte einer Emanzipation, die abseits der fantastischen Komponente auch auf ihre Rolle als Frau übertragen werden kann. Eva lernt, selbstbewusst mit ihrem Schicksal umzugehen. Dabei bedient sich Idsøe recht konventioneller Erzählmuster, die aber ihre Wirkung nicht verfehlen. Ihre Adaption ist ein ernstes Märchen für Erwachsene über die Angst vor dem Fremden, das unübersehbare Bezüge zur Gegenwart trägt.
»Das Löwenmädchen«: ab 14.9., Cineplex
Flimmerzeit August 2017
Weitere Filmtermine der Woche
The End of Meat – Eine Welt ohne Fleisch
In Interviews mit Philosophen, Wissenschaftlern, Künstlern und Aktivisten entwirft der Film das Bild einer möglichen Post-Meat-Ära. – Leipzig-Premiere mit Regisseur Marc Pierschel und Gästen
14.9., 19.30 Uhr, Passage Kinos
Unser kurzes Leben
Die junge Architektin Franziska trennt sich von ihrem Mann und scheidet freiwillig aus dem Mitarbeiterstab eines berühmten Dresdner Professors aus, um in einem Kleinstadtbüro zu arbeiten. Dort will sie ihre hohen Ansprüche an sozial orientierten Städtebau verwirklichen, gerät darüber allerdings mit dem Stadtarchitekten Schafheutlin aneinander. Drama nach Motiven des teils autobiografischen Romans »Franziska Linkerhand« der Schriftstellerin Brigitte Reimann.
14.9., 20 Uhr, Pöge-Haus
Vom Töten leben
Wie können Menschen vom Töten leben, indem sie seit vielen Generationen Kriegswaffen herstellen? Vor gut 30 Jahren drehte Filmemacher Wolfgang Landgraeber den Dokumentarfilm »Fern vom Krieg«. Nun sucht er erneut die schwäbische Kleinstadt Oberndorf auf und untersucht, was sich seitdem in der Gemeinde verändert hat. – GlobaLE, im Anschluss Diskussion mit Filmemacher Wolfgang Landgraeber.
14.9., 20 Uhr, Peterskirche
Shorts Attack: Gesellschaftsspiele
12 Filme in 90 Minuten zum Thema Politik und Gesellschaft.
15.9., 21 Uhr, UT Connewitz
»Off Europa: Theater Kunst Griechenland«
»Theater Kunst Griechenland« ist der Fokus des diesjährigen Festivals für Tanz und Theater. Dabei wird vor allem geschaut, wie es dem griechischen Theater geht. Aber wie immer gibt es auch ein Filmprogramm. Die Kinobar zeigt die spannenden Filme der jungen Generation griechischer Regisseure wie Athina Rachel Tsangari und Yorgos Lanthimos. Die Cinémathèque zeigt zwei spannende kleine Produktionen mit einer Einführung von Claudia Cornelius:
Attenberg
Eine menschenscheue junge Frau lebt allein mit ihrem schwer an Krebs erkrankten Vater in einem tristen Industriestädtchen, bis ein faszinierender Fremder in die Stadt kommt. Außergewöhnliches Charakterdrama aus Griechenland, das so anspruchsvoll wie spannend unterschiedlichste Fragen bezüglich menschlicher Natur und Körperlichkeit reflektiert.
15.9., 21.15 Uhr, Kinobar Prager Frühling (OmU)
Alpis (Alpen)
Eine Gruppe von Außenseitern bietet eine ungewöhnliche Dienstleistung an: Sie versprechen Trauernden, ihren Schmerz zu lindern, indem sie die Stelle der Verstorbenen einnehmen. So leben sie in fremden Häusern, tragen Kleidung toter Menschen und spielen sogar geliebte Erinnerungen nach. Streng komponierte, anspruchsvolle und faszinierende Sozialstudie von Giorgos Lanthimos.
16.9., 21.15 Uhr, Kinobar Prager Frühling (OmU)
Projekt A – Eine Reise zu anarchistischen Projekten in Europa
Der Dokumentarfilm taucht ein in die vielschichtige Welt der Anarchisten und bricht mit den gängigen Klischees über Steinewerfer und Chaoten. Er öffnet vielmehr den Blick für eine Bewegung, die das Unmögliche fordert, an den Grundfesten unserer Gesellschaft rüttelt und gerade deshalb das Augenmerk auf zentrale ungelöste Fragen unserer Zeit lenkt.
17.9., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Logiki tis Gatas – The Logic of the Cat
Ein Film über Themos, seinen Liebeskummer, seinen dahintreibenden Alltag, seine Freunde, ihren politischen Aktivismus. Es ist auch ein Film über Athen und die sich anbahnenden Unruhen im Sommer 2008.
18.9., 21 Uhr, Cinémathèque in der Nato (OmeU)
Sto Spiti – At Home
Nadja arbeitet seit Jahren als Haushälterin für ein reiches Pärchen, bis der Hausherr in finanzielle Schwierigkeiten gerät und sie feuert.
18.9., 19 Uhr, Cinémathèque in der Nato (OmU)
Tanzfilme aus Griechenland
20.9., 21 Uhr, Lofft
Das Blumenwunder
Stummfilm, der hauptsächlich aus Zeitrafferaufnahmen von Pflanzenbewegungen besteht. Das Filmmaterial stammt von der BASF und sollte ursprünglich für Werbezwecke verwendet werden. Live vertont von Erith
16.9., 21 Uhr, UT Connewitz
Chavela
Doku über die mexikanische Ranchera-Sängerin Chavela Vagas, die ihre Homosexualität auch musikalisch ausdrückte – üblicherweise singen beim Ranchera Männer Liebeslieder für Frauen.
17.9., 16.30 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Gogol
1829: Der erfolglose Autor Gogol wird immer wieder von epileptischen Anfällen geplagt. In diesen hat er allerdings Visionen, die dabei helfen könnten, Verbrechen zu lösen. Am 17. September im russischen Original ohne Untertitel im Cineplex.
17.9., 17.30 Uhr, Cineplex (OF)
La primera Ola
Doku über die Anfänge spanischer Surfkultur. – Surf Film Nacht.
17.9., 19.30 Uhr, Sommerkino auf der Feinkost
Leipzig wiederentdeckt
Filme aus dem 20. Jahrhundert in Leipzig – von den frühen Anfängen des Films bis in die Wendezeit. Grünauer Kultursommer.
17.9., 17 Uhr, KOMM-Haus
Wolf Warrior 2
Ein Ex-Soldat der chinesischen Spezialeinheit kämpft im afrikanischen Exil für die Unschuldigen. Der erfolgreichste Film am chinesischen Boxoffice in diesem Jahr. Im CineStar in OmU.
17.9., 20 Uhr, CineStar (OmU)
Das Ende von St. Petersburg
Sowjetischer Stummfilm über die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs. Im Rahmen von Ballet Mécanique #15 – Stummfilmreihe zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution
20.9., 20 Uhr, Luru Kino in der Spinnerei
God’s own Country
Der junge Farmer Johnny betäubt seine tägliche Frustration mit Alkohol und Gelegenheitssex. Doch dann trifft der rumänische Hilfsarbeiter Gheorghe auf dem Hof ein und zwischen den beiden entwickelt sich eine intensive Beziehung. Preisgekröntes Drama vor der Naturkulisse Yorkshires. – Queer-Blick (Start: 26.10. Schaubühne)
20.9., 19.30 Uhr, Passage Kinos (OmU)