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Menschen, Menschen, Sensationen

Das Krystallpalast Varieté wird 20: Jubiläumstext mit angemessenem Jubel über den Kleinkunstort

  Menschen, Menschen, Sensationen | Das Krystallpalast Varieté wird 20: Jubiläumstext mit angemessenem Jubel über den Kleinkunstort

Akrobatische Spitzenleistungen! Höchste Kunst! Hüllenlose Schönheiten! – 1a preiswerte Mixgetränke!« So lockte eine Krystallpalast-Reklame anno 1932. Im Grunde kann diese Werbung auch für das heutige Krystallpalast Varieté gelten – missversteht man »hüllenlos« nicht als Table-Dance. Für viele Menschen ist der Rotlichttouch aber noch immer mit der Kleinkunst verbunden. »Varieté ist in den Köpfen nicht klar definiert«, sagte Rüdiger Pusch im kreuzer vor fünf Jahren (kreuzer 11/2012). Daran habe sich bis heute nichts geändert, meinte 
der Krystallpalast-Geschäftsführer beim neuerlichen Gespräch. Aber das sei eben auch eine Stärke, wenn man sie auszuspielen versteht. Und das versucht er, wenngleich das nicht leicht ist, wie er sagt. Er spricht gern vom Verzehrtheater.

»Getränke bitte nicht in den Saal mitnehmen«: Jene Unsitte, Speis und Trank vom Kunstgenuss zu trennen, ist relativ neu. Jahrtausendelang nahm man Tanz- und Theatergenuss beim gemeinsamen Mahl ein. Erst das bürgerliche Ideal von der Hochkultur ließ die vermeintliche Ablenkung durch Gaumenkitzel nicht zu. So verbannte man die kulinarischen Geschmacksverstärker von den Orten, wo man zuvor fürstlich diniert und einfach gekostet hat. Das Krystallpalast Varieté folgt dieser Unart nicht. Mit einem üppigen Buffet vor der Veranstaltung und dem Servieren von Snacks und Getränken währenddessen setzt es geradezu auf die Verbindung von Kulinarik und Kleinkunst – und hat darin einen großen Vorgänger in der Stadt.

Nach der Vorgeschichte in einem Schützenhaus wurde der Krystallpalast 1882 in der Wintergartenstraße erbaut und war eine Institution der Unterhaltungskultur. Er beinhaltete verschiedene Räumlichkeiten, Herz und Namensgeber war eine Glas-Stahl-Konstruktion, die einen Varieté-Saal beherbergte. Im Zweiten Weltkrieg wurde er zerstört. November 1997 wurde das Varieté mit der Erinnerung im Namen in privatwirtschaftlicher Initiative wiedereröffnet. Man zog in die Magazingasse. Nach einer Insolvenz erfolgte die Neugründung 2000 mit finanzieller Unterstützung aus dem Publikumskreis heraus. Rüdiger Pusch agiert seit 2001 als Geschäftsführer.

Offenheit in Richtung Tanz, Zirkus, ­Theater

Der Ort ist bis heute das einzige Varieté-Theater Ostdeutschlands (ja, ja: außerhalb Berlins), das nicht nur Abspielstätte für Gastprogramme ist, sondern eigene Shows entwickelt. Jährlich sind das drei eigene Produktionen. Hinzu kommen die Dinner-Show zur Weihnachtszeit im Zelt auf dem Leuschner-Platz und die Newcomer-Show mit internationalen Talenten. Hier traten schon mehrfach Künstler erstmals in Deutschland auf, die danach in TV-Formaten wie der Super-Star-Suche zu sehen waren.

Der kleine Saal, wo schon mal Artisten am Vertikalseil unmittelbar über den Zuchauerköpfen schwingen, ist eine Herausforderung, weil er nichts verzeiht. Magier haben das Problem, das Publikum auf vielen möglichen Sichtachsen zugleich abzulenken, damit es ihnen nicht in die Karten, Kaninchen, zersägten Junggesellen schauen kann. Akrobaten müssen ihre Kraft sehr genau einteilen, um nicht Gefahr zu laufen, in Cocktails oder Mozzarellasticks zu landen. Dieser Raum stellt aber auch das große Plus dar, denn er schafft eine intime Atmosphäre, an die größere Säle nicht heranreichen.

Auf der ästhetischen Seite beeindruckt die Bandbreite, wo von eher klassischen Revues bis zur Side- und Freakshow renommierte Künstler und Neuentdeckungen zu sehen sind. Das liegt auch an der Breite des Publikums, wie der künstlerische Leiter Urs Jäckle feststellt. »Zu uns kommen alle Altersgruppen und Milieus.« Davon kommt ungefähr die Hälfte aus Leipzig, 35 Prozent stammen aus dem Umkreis von 100 Kilometern, der Rest von weiter weg. Man müsse dem Publikum schon Hochkarätiges bieten, um es begeistert zu stimmen, so Jäckle. Denn es sei zurückhaltender als anderswo, entbrenne nicht sogleich euphorisch. »Es braucht länger, bis der Abend läuft. Unsere Zuschauer sind schon verwöhnt, für die Begeisterung muss das Niveau hoch sein, dann gehen sie mit.«

Den Maßstab soll erst recht die Jubiläumsshow erfüllen. Moderieren werden mit dem Conférence-Duo Lonely Husband einschlägige Bekannte. Mit weißrussischen Rollschuh-Stunts und spanischer Schwungseilakrobatik, mongolischem Kontorsions-Kraftakt und einer Zirkusnummer von den Kapverdischen Inseln soll die Party eingeleitet werden. »Wir werden nicht nur zurückgucken«, sagt der Krystallpalastchef Pusch. »Es sind viele Ensemble-Szenen dabei, Nummern, die das Publikum einbeziehen.« Und weil das Varieté nie stillsteht, gibt Urs Jäckle schon einen Ausblick: Die nächste Show »Free Style« setzt auf Streetart: BMX, Basketball, Breakdance. »Wir zeigen, wie man klassische Varietétechniken in ein neueres, modernes, gleichwohl poetisches Gewand hüllen kann.« Es ist die Offenheit in Richtung Tanz, Zirkus, Theater, für die man den Krystallpalast nur beglückwünschen kann.


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