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Kultur

»Mich interessieren Kulturräume«

»Off Europa«-Festivalleiter Knut Geißler über den Schwerpunkt Ungarn und Theater unter Beobachtung

  »Mich interessieren Kulturräume« | »Off Europa«-Festivalleiter Knut Geißler über den Schwerpunkt Ungarn und Theater unter Beobachtung

Seit 26 Jahren setzt »Off Europa« den Fokus auf Länder, die sich am Rand der mitteleuropäischen Wahrnehmung befinden. Dieses Jahr heißt es »Open Hungary«. Festivalleiter Knut Geißler sprach mit dem kreuzer über ungarische Verhältnisse, politische Kunst und weibliche Perspektiven.

kreuzer: Nach Griechenland steht nun Ungarn im Zentrum – wieso haben Sie sich für dieses Land entschieden?

KNUT GEISSLER: Ich hatte Ungarn, genauso wie zuvor Griechenland, eine Zeit lang vor mir hergeschoben. Ich wollte mich sozusagen nicht reflexhaft darauf stürzen. Politische Entwicklungen gehen an den Künsten nicht spurlos vorbei – und manchmal ist es sinnvoll, etwas abzuwarten. Das politische Moment an »Off Europa« ist am ehesten, dass es Beschäftigung mit etwas einleitet, dass ein Raum entsteht, der Begegnungen mit einem Land, einer bestimmten Situation, mit Künstlern ermöglicht.

kreuzer: Wie steht es um die Theaterschaffenden in Ungarn? Und im Hinblick darauf, dass fünf von sieben der geladenen Produktionen von Frauen stammen – wie ist es, als Theatermacherin dort zu arbeiten?

GEISSLER: Die Regierung Orbán und ihre Kulturpolitik ist auch für Ungarn, die diese ablehnen, nun mal Realität. Es gab viel versuchte Einflussnahme auf Orte, über neu eingesetzte Personen, und auf der anderen Seite gab es natürlich Widerstand. Eine ganze Generation Theatermacher hat sich an diesen Umständen abgearbeitet. Im Moment ist es etwas ruhiger geworden. Die ungarischen Stadttheater stehen unter deutlich größerem Druck, unter anderer Beobachtung als Künstler in freien Konstellationen. In diesem Bereich, der überschaubar ist und für die Regierung wohl auch nicht sonderlich gefährlich, ist formal und inhaltlich mehr möglich. Wie auch diese starken Frauen, nach denen ich nicht explizit gesucht hatte. Wahrscheinlich ist ein weiblicher Blick auf eine sich männlich gebärdende Gesellschaft immer interessant und ergiebig.

kreuzer: Welche Erfahrungen werden in den Arbeiten thematisiert?

GEISSLER: Die Inszenierung »Magyar akác (Ungarische Akazie)« zum Beispiel ist hochpolitisch, eine Theaterarbeit, die klug und frech und böse mit den Widersprüchen ungarischer Gegenwart spielt. Oder Valencia James, die als farbige Frau, als in Ungarn fremd empfundener Körper, diese Ablehnung thematisiert. Die Choreografin Adrienn Hód dagegen verweigert sich einer Beschreibung von äußeren Umständen komplett und zeigt ihre Tänzer als entfesselt, entgrenzt handelnde Individuen.

kreuzer: Wollen Sie ein Bewusstsein schaffen für eine andere Seite Ungarns?

GEISSLER: Mich interessieren Kulturräume. In diesem Sinne wäre es auch möglich gewesen, Ungarn aus der Slowakei oder aus Rumänien mit in das Programm zu nehmen. Aber Ihre Frage weist in die entscheidende Richtung: Ich wollte eben jenen politisch etwas verfemten Staat näher beleuchten. Über Menschen, die ihn auf eine andere, auf ihre Weise repräsentieren. Das heißt nicht, dass Politik dadurch ausgeblendet sein wird. Es wird viel zu erfahren sein, es lässt sich vieles hören und manches sehen. Und es wird jederzeit möglich sein, nachzufragen.

kreuzer: 26 Jahre »Off Europa«, 16 Länderschwerpunkte – worauf blicken Sie zurück?

GEISSLER: Zuletzt waren es zehn Länderschwerpunkte hintereinander, das ist schon ziemlicher Wahnsinn. Von einem Sehnsuchtsland sofort hinein in den nächsten Tunnelblick. Ich bin sehr froh, dass sich die Szene der zeitgenössischen darstellenden Kunst, mit Live Art und Autorentheater, Performance und Tanz im internationalen Maßstab in den letzten Jahren so stark entwickeln konnte, dass Vernetzung und Austausch gut funktionieren. Und dass wir mit diesem speziellen Festival auf dieser Landkarte weiterhin vorkommen.


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