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Stadtleben

»Unglaublich, was auf die Figuren projiziert wird«

Melanie Hühn über Räucherweibchen und die Reaktionen darauf

  »Unglaublich, was auf die Figuren projiziert wird« | Melanie Hühn über Räucherweibchen und die Reaktionen darauf  Foto: Melanie Hühn

Ihr Seminar an der TU Chemnitz erforschte die Repräsentation von Frauen und queeren Menschen in Chemnitz. Mit den Ergebnissen wurden neue Räucherfiguren gestaltet, produziert und anschließend ausgestellt. Nach mehreren Medienberichten ließ der digitale Wut-Mob nicht lange auf sich warten. Mit den kreuzer sprach Melanie Hühn über das Projekt, die Idee und die Reaktionen. Sie war bis März Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU.

Sie lehrten am Lehrstuhl Interkulturelle Kommunikation. Worum ging es in Ihrem Seminar?

Wir beschäftigten uns mit Tradition und Stereotypen, mit Geschichten und Perspektiven, die in der Volkskunst weniger repräsentiert werden. Die Studierenden forschten ein Jahr und zeigten ihre Ergebnisse im Rahmen der Kulturhauptstadt 2025. Dafür stellte die Universität insgesamt 5.000 Euro zur Verfügung. Das unterstreiche ich, weil der Vorwurf aufkam, wir hätten viel Geld für Ideologie verschwendet.


Die Räucherfiguren dienen als Visualisierung der Forschungsergebnisse. Warum gerade diese Objekte?

Die Uni sucht im Rahmen der Kulturhauptstadt eine stärkere Verflechtung mit der Stadtgesellschaft. Als sie einen Aufruf dazu verschickte, packte ich gerade die Weihnachtssachen weg. Da merkte ich, dass sich unter den 30 Räuchermännchen kein Weibchen befindet. Die sind vor allem geerbt, es gibt heute schon Räucherfrauen, auch das wurde falsch dargestellt. Wir wollten das also aufgreifen und ein Seminar machen, aus dem mehr entsteht als ein Projektbericht. Da sich verschiedene Erzgebirgsstädte zusammenschlossen zur Kulturhauptstadtregion bot sich die Räucherfigur einfach an. Das sollte in keinem Fall ein spaltendes Projekt sein, sondern ein verbindendes.


Wie kamen die Studierenden auf die vier Themen?

Wir waren in der Spielzeugstadt Seifen, haben Werkstätten besucht. Wir suchten Literatur in Bibliotheken und Archiven zusammen. Und dann hat sich jeder überlegt, was er chemnitz-spezifisch untersuchen möchte. Eine Gruppe setzte sich mit Überalterung auseinander. Chemnitz hat mit Vietnam ein Abkommen geschlossen, um Pflegekräfte für die Stadt zu gewinnen. Die Studierenden untersuchten in einer Medienanalyse, wie darüber berichtet wird und welche Fremdzuschreibungen es hier gibt. Andere schauten sich die Genderthematiken in der Musikbranche an, die die Chemnitzer Band Blond in ihren Texten problematisiert. Die dritte Gruppe befasste sich mit Frauen an der TU. 1990 gab es keine einzige Professorin hier, mittlerweile sind es 23 Prozent, was ja schon ein Erfolg ist. Sie haben sich mit historischen Vorurteilen beschäftigt, dass Frauen wegen der Menstruation nicht strukturiert denken könnten. Der Protoyp wurde dann »Die kritische Professorin«, eine Geisteswissenschaftlerin.


Die vierte, queere Figur sorgte für besonderes Aufsehen?

Diese Gruppe ist darauf aufmerksam geworden, wie queere Menschen dargestellt werden. Da kam vor allem diskriminierendes Bildmaterial zutage, was zum Beispiel bei der AfD im Umlauf ist. Da sind schräge Menschen mit Bärten und Brüsten zu sehen, die mit allen queeren Menschen gleichgesetzt werden. Die Gruppe hatte die tolle Idee, der Figur Gimmicks mitzugeben, die man auswechseln kann: Haare, Hut, Bart. Das ist für Räucherfiguren etwas Neues. Viele Ausstellungsbesucher fanden das spannend. Einer lobte bei dieser Figur, wie kunstvoll der Mantel gedrechselt ist.


Die Resonanz vor Ort war gut?

Ich war überrascht, wie positiv die Ausstellung aufgenommen wurde. Es kam gemischtes Publikum. Viele Menschen kamen über die Figuren ins Gespräch mit den Studierenden, interessierten sich für die Hintergründe.


Und dann kam die Presse?

Die DPA war da und deren Bericht haben viele Medien aufgegriffen, auch überregionale. Damit erschienen auch viele Kommentare von offensichtlich erzürnten Menschen. Viele enthielten eine Art Kampfvokabular. Da wurden komische Wir-Konstruktionen aufgemacht: »Wir sind die Mehrheit, wir sind homogen, haben so und so auszusehen und brauchen so etwas nicht.«


Da zeigte sich gerade das, was Ihre Forschung in Frage stellt?

Diese Homogenität gibt es nicht, gab es nie. Ein anderer Vorwurf lautete, wir würden Traditionen angreifen und zerstören, als ob es eine natürliche, statische Kultur gebe. Traditionen werden immer in der Gegenwart gebildet und haben sich nicht 200 Jahre einfach unveränderlich gehalten. Die Volkskunst zum Beispiel wurde früher bei Ausstellungen in Dresden romantisiert, während die Menschen im Erzgebirge real Armut erlitten. Im Nationalsozialismus erfolgte quasi eine Entorientalisierung. Das wurde der sogenannte Räuchertürke, eine bis dahin traditionelle Figur, gestrichen. Aus dem Schwibbogen wurden Palmen entfernt.
Wissenschaftsfeindlichkeit kam bei vielen Kommentaren noch hinzu. Forschung und Lehre funktionierten nach Regierungsvorgabe, hieß es, dabei haben die Studierenden das Thema selbst gewählt.  Es zeigte sich auch eine Feindlichkeit gegenüber Geistes- und Sozialwissenschaften. Die seien unnütz und könnten weg, man solle lieber Raketenbau studieren. Dabei muss es diese an einer TU geben, sonst könnte sie sich gar nicht Universität nenenn.


Da haben Sie einen wunden Punkt bei manchen getroffen?

Auslösen wollten wir solche Reaktionen nicht. Aber ja, Frauen- und Querfeindlichkeit ist noch verbreitet. Die vietnamesische Figur löste rassistische Kommentare aus. Unglaublich, was da auf die Figuren projiziert wird. Sie werden als Verlust wahrgenommen, nicht als Zugewinn. Da hieß es zum Beispiel »Die bunter Minderheit ist wieder laut.« »Vielfalt ist unnatürlich.« und »Mit politisch woken Inhalten Kunsthandwerk zerstören.«
 

Dabei beauftragten Sie extra einen Kunsthandwerker mit der Herstellung der Figuren?

Markus Weber hat alle gedrechselt. Er ist total wichtig für die Region, ist innovativ und hat mehrere Designpreise erhalten.
 

Studierende mit Markus Weber
Die Seminargruppe mit Kunsthandwerker Markus Weber

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie geht es weiter?

Am Samstag beim Tag der offenen Tür wurden die Figuren noch mal in Chemnitz an der Uni gezeigt. Dann gab es mehrere Anfragen, ob man sie ausstellen könne. Das muss ich mit der Hochschule absprechen, weil ich ja dort keine Mitarbeiterin mehr bin. Es gab auch Anfragen, ob man die Figuren kaufen kann. Wer weiß, vielleicht gehen wir ja damit in Produktion.


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