Mögen die Spiele von mir aus beginnen. Egal, ich geh ins Kino. Da lockt in dieser Woche mit »Hereditary« einer der meistdiskutierten Horrorfilme des Jahres, die französische Charmeoffensive »Die brillante Mademoiselle Neila« und der mit der Goldenen Taube im Deutschen Wettbewerb beim letzten DOK Leipzig ausgezeichnete »Muhi«. Über den wir uns auch mit Jürgen Kleinig von der Neue Celluloid Fabrik unterhalten haben, denn der berührende Film wurde von Leipzigern produziert. Am Donnerstag sind sie gemeinsam mit den Regisseuren in der Schaubühne zum Gespräch – für alle, für die es wichtigeres gibt als Fußball.
> »Muhi« mit anschließendem Gespräch mit den Regisseuren Rina Castelnuovo-Hollander und Tamir Elterman, 14.6., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Das Interview mit Jürgen Kleinig gibt es hier.
Film der Woche: Der Albtraum der Familie Graham beginnt mit der Beerdigung von Großmutter Ellen. Deren Tochter Annie wundert sich bei der Grabrede über die vielen fremden Gesichter in der Kirche. Woher kommen diese Leute und was hatten sie mit Ellen zu tun? Wenig später, im scheinbar idyllischen Eigenheim am Waldrand, verdichtet sich der Verdacht, dass die (gar nicht so) liebe Granny zwar tot, aber nicht gegangen ist. Dann geschieht ein grauenhafter Unfall. Das Debüt des Amerikaners Ari Aster versetzte die Kritiker beim Sundance Festival in Angst und Schrecken und wird unter Fans bereits als Horrorfilm des Jahres gehandelt – zu Recht. Denn lange ist es einem US-Kinofilm nicht mehr gelungen, eine solche Flut von Terror zu erzeugen wie »Hereditary«. Dafür verantwortlich sind zum einen die unfassbar effektiven (und widerlichen) Schockmomente, perfekt platziert in einer von Anfang an extrem unheimlichen Atmosphäre, erzeugt mit suggestiven Raumbildern und unheilschwangerer Musik. Im psychologisch ausgefeilten Mikrokosmos einer in Trauer zerfallenden Familie wird die Spannungsschraube kontinuierlich angezogen, bis die Muttern fliegen und das Ganze in einem gewagt übersinnlichen Finale mündet, das gerade Lovecraft-Kultisten einen herrlichen Schauer des Wiedererkennens über die Wirbelsäule jagen dürfte. Ausführliche Kritik von Karin Jirsak im aktuellen kreuzer.
»Hereditary – Das Vermächtnis«: ab 14.6., CineStar
Morgan Freeman ist eine lebende Schauspiellegende. Über fünf Jahrzehnte stand er in weit mehr als 100 Filmen vor der Kamera und erhielt 2005 schließlich den Oscar für seine Leistung in Clint Eastwoods »Million Dollar Baby«. Morgan Freeman stand immer für Integrität und überzeugendes Schauspiel, ein Film mit ihm konnte so schlecht nicht sein. Die jüngsten Ereignisse in Hollywood werfen jedoch einen tiefen Schatten auf seine Karriere, als im Zuge von #metoo viele Frauen in Hollywood Mut fassten, sich gegen sexuelle Übergriffe zur Wehr zu setzen. Auch Morgan Freeman werden unsittliches Verhalten und sexuelle Belästigung am Set zur Last gelegt, von drei unabhängigen Seiten. Erdrückende Anschuldigungen, unter denen sich der 80-Jährige derzeit wegduckt. Ob diese Ereignisse nun die Bewertung seiner künstlerischen Arbeit beeinflussen sollten, darüber ist sich die Öffentlichkeit uneins. Fakt ist: Mit seiner Darbietung in »Das ist erst der Anfang« hat er sich nicht gerade einen Gefallen getan. Es hat schon einen unangenehmen Beigeschmack, wenn man ihm gleich zu Beginn im Tête-à-Tête mit drei willigen Damen zusehen muss. Duke, den Freeman hier verkörpert, ist ein Charmeur, der von allen umgarnt wird. Als Manager eines Luxus-Resorts im kalifornischen Palm Springs genießt er seine Freiheiten. So lange, bis ein zweiter Hahn in sein Revier kommt: der reiche Geschäftsmann Leo (Tommy Lee Jones). Der Ex-Militär wirft mit Geld und Charme um sich. Alles scheint ihm zu gelingen, seien es die abendlichen Pokerrunden oder das Golfspiel am Nachmittag – bei jeder Gelegenheit lässt Leo den Platzhirsch Duke alt aussehen. Als jedoch Suzie (Rene Russo) auf den Plan tritt, ist es um Leo geschehen. Die geheimnisvolle Frau soll Duke vor die Tür setzen, denn das Unternehmen will sich seine Eskapaden nicht länger ansehen. Zu allem Überfluss hat es auch noch jemand auf das Leben des windigen Playboys abgesehen. Nur mit Leos Hilfe kommt Duke aus dem Schlamassel raus. Mit fortschreitender Laufzeit nimmt das Chaos im Urlaubsparadies immer absurdere Formen an und schlägt am Ende gar um zum Action-Film. Die bewährte Publikumsformel der zwei alten Knacker, die noch Feuer sprühen, haben wir in letzter Zeit oftmals auf der Leinwand erlebt. Morgan Freeman besserte sich dabei immer wieder die Schauspieler-Rente auf, sei es an der Seite von Jack Nicholson in »Das Beste kommt zum Schluss« oder zuletzt mit Michael Caine in »Abgang mit Stil«. Allerdings waren die Rentnerkomödien selten so flach und unangenehm wie hier. Das Schmunzeln über den schlüpfrigen Humor würde einem nicht zuletzt mit Blick auf die aktuellen Vorwürfen im Halse stecken bleiben – wenn es denn wirklich etwas zu lachen gäbe. Doch Ron Shelton – der mit »Annies Männer«, »Weiße Jungs bringens nicht« und »Tin Cup« in den Neunzigern einige gelungene Sportkomödien drehte – inszenierte eine konfuse Chaos-Komödie, bei der kaum ein Gag zündet und man den beiden ausgezeichneten Schauspielern dabei zusehen muss, wie sie sich weitgehend unmotiviert beim Bettduell und Limbotanzen zum Affen machen. So möchte man Morgan Freeman und Tommy Lee Jones nun wirklich nicht in Erinnerung behalten.
»Das ist erst der Anfang«: ab 14.6., CineStar, Cineplex, Regina Palast
Weitere Filmtermine der Woche
Das Leben ist ein FestDer neue Film von Nakache und Toledano wirft uns hinein in eine turbulente Hochzeitsfeier, erzählt aus den Reihen des Catering-Unternehmens, das alles daransetzt, den Abend zu retten. Wunderbar witzige Chaos-Komödie mit einem großen Herz für ihre Figuren.14.6., 21.45 Uhr, Open-Air-Kino in der Spinnerei
Bomben für die WeltDie Dokumentation zeigt die Zusammenhänge zwischen Bomben, Renditen und Flüchtlingsströmen: Wie steht es mit der Rolle Deutschlands als moralische Instanz in der Welt? Anschließend Input zu den aktuellen Aufrüstungsplänen der Bundesregierung und Diskussion. – GlobaLe15.6., 18 Uhr, Paulinum der Universität Leipzig
Das Cabinet des Dr. CaligariRobert Wienes Blaupause für das gesamte Horrorgenre hat bis heute nichts von ihrer düsteren Faszination verloren. Passend zu diesem expressionistischen Meisterwerk der Stummfilm-Ära spielen Musiker des Gewandhausorchesters Werke von Alban Berg und Arnold Schönberg beim Klassik Underground.16.6., 21.45 Uhr, Moritzbastei
One Thousand and One Arabian NightsJapanischer Erotik-Klassiker, erster Teil der Animerama-Trilogie, die den Anime als Kunstform für Erwachsene bedeutend mitgeprägt hat.16.6., 21 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Short-Attack: FußballfieberDie Kurzfilmrolle zur WM.16.6., 22.15 Uhr, Cineplex
Das Kongo TribunalAnhand eines Tribunals vor Ort im Ostkongo sowie in Berlin werden die Gründe und Hintergründe für den seit bald 20 Jahren andauernden Krieg im Gebiet der Großen Seen durchleuchtet. Dabei entsteht ein menschlich erschütterndes, analytisch tiefgründiges Tableau der neokolonialen Weltordnung. – Film und Podium mit Dr. Claude Kabemba (Southern Africa Resource Watch), im Rahmen der Leipziger Umwelttage17.6., 19.30 Uhr, Schaubühne Lindenfels
No Game, No Life: ZeroDer Untergang der Menschheit steht bevor, das Land wird verwüstet und sogar Himmel und Sterne werden zerstört, als ein junger Mann namens Riku auftaucht und die Menschheit in eine rettende Zukunft führt. – Anime-Highlight17.6., 12 Uhr, Cinestar
Gedenken und ErinnernFilmvorführung und Gespräch mit Regisseurin Freya Klier anlässlich des 65. Jahrestages des Volksaufstandes von 1953.18.6.,18 Uhr, Museum in der »Runden Ecke«
Das Blinde Auge – Ein Todesfall in Thüringen 2001Axel U. wurde in der thüringischen Kleinstadt Bad Blankenburg im Mai 2001 von einem stadtbekannten Neonazi ermordet. Der Täter kommt aus einem Umfeld, aus denen auch die späteren NSU-Terroristen stammen. Trotzdem halten die Behörden den Fall bis heute nicht für eine neonazistische Gewalttat. – anschl. Gespräch über rechte Morde mit dem Regisseur Jan Smendek19.6., 19.30 Uhr, Cinémathèque in der Nato
Workingman's DeathMichael Glawogger bewegte sich zu Orten, an denen die Form der Arbeit sichtbar ist, und ging der Frage nach, in welchem Verhältnis Menschen zu ihrer Arbeit und zu ihrem Leben stehen. Bildgewaltiger, preisgekrönter Dokumentarfilm. – anschl. Gespräch, Wissenschaftskino19.6., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum
Aus einem Jahr der NichtereignisseDie Filmemacher René Frölke und Ann Carolin Renniger porträtieren in ihrem Dokumentarfilm »Aus einem Jahr der Nichtereignisse« den neunzigjährigen Willi, der allein auf seinem Hof in Norddeutschland lebt, wo sich der Krimskrams in den Regalen stapelt und das Fleisch in der Kühltruhe. – Am 20. Juni im Anschluss an den Film Gespräch mit dem Regieduo in der Schaubühne Lindenfels.20.6., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Kino im Osten: »The Square« (S/D/F 2017)Leipzig hat eine neue Leinwand an alter Stelle: Im wiedereröffneten Ost-Passage Theater in der Konradstraße flimmern zum ersten Mal seit 1962 wieder Filme. 1912 war das Ost-Passage Theater als Kino eröffnet worden und hieß zwischenzeitlich auch Kammerlichtspiele oder Lichtspielhaus. In Kooperation mit dem Luru-Kino in der Spinnerei gibt es jetzt (fast) jeden Mittwoch Filme für den Osten – ein bunter Mix aus aktuellen Hits, Klassikern und Dokumentarfilmen.20.6., 21 Uhr, Ost-Passage Theater
TodMachineEine namenlose Stadt in Schwarz-Weiß, in der Mitte eine große Fabrik. Der Feind steht schon vor den Toren, aber es gibt noch eine Hoffnung: die MASCHINE. Faszinierender Stummfilm als Verneigung vor dem deutschen Expressionismus. Mit Einführung von Rainer Mende (Polnisches Institut), Film Polska Reloaded20.6., 19.30 Uhr, Cinémathèque in der Nato