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Organversagen

Medienkritik diesmal an der Wochenzeitung Die Zeit

  Organversagen | Medienkritik diesmal an der Wochenzeitung Die Zeit

»Klappe halten? – Wie mir nach einem einzigen journalistenkritischen Tweet vorgeworfen wurde, dem Faschismus den Weg zu ebnen«, heißt die Überschrift eines Textes des Leipziger Journalisten Martin Machowecz, in dem er sich als Opfer einer AfD-hassenden Meute sieht, anstatt auf ernst gemeinte Kritik an seinem »journalistenkritischen Tweet« einzugehen.

Wer nicht von dem aktuellen Titelblatt der Wochenzeitung Die Zeit mit der Überschrift »Der Fall Susanna F. – ein Mord, der etwas ändern muss« abgeschreckt wurde, weil er sich stattdessen lieber den Stern oder die Bild-Zeitung gekauft hat, die ähnlich reißerisch einen einzelnen Mordfall zum Problem der gesamten Flüchtlingsthematik machten, wer die Zeit also gekauft hat, konnte auf Seite 8 im Politikteil (überregional, nicht nur Zeit im Osten) auf einer gesamten Seite lesen, was Martin Machowecz, den Leiter des Büros Zeit im Osten so umgetrieben hat, seitdem er diesen viel diskutierten Tweet abgesetzt hat: »Ich sehe recht viele Journalisten in meiner Timeline, die gestern offenbar mehr oder weniger privat an einer Demo namens AfD wegbassen teilgenommen haben. Ich finde das problematisch. Kann man denn dann am nächsten Tag wirklich wieder glaubwürdig über die #AfD schreiben?«

Der Tweet ging viral, wurde hunderte Male retweetet und diverse Menschen, vor allem Journalisten, diskutierten tagelang über die Neutralität oder Subjektivität von Journalisten. Offensichtlich – und leider nicht mehr verwunderlich, wenn es um virale Tweets zum Thema #AfD geht – hat Machowecz auch einige unschöne Nachrichten bekommen, die ihm vorwarfen, den Faschisten Tor und Tür zu öffnen, oder die behaupteten, alle würden ihn hassen. Davon erzählt der Autor jetzt klagend in der Zeit unter dem Titel »Klappe halten? – Wie mir nach einem einzigen journalistenkritischen Tweet vorgeworfen wurde, dem Faschismus den Weg zu ebnen«. Ob es tatsächlich so gesagt wurde, dass er dem Faschismus den Weg ebne, wird in dem Text nicht ganz klar. Machowecz bringt jedenfalls kein direktes Zitat, sondern baut sich den Vorwurf aus zwei Zitaten selbst zusammen: Er würde »Rassismus, Islamophobie und Nationalismus« befördern und er sei unfähig, den »Vernichtungskern des Neofaschismus« zu erkennen und zu benennen.

Wovon er leider nicht erzählt, sind diverse gute Argumente, die er als Antwort auf seinen Tweet bekommen hat und die seine These aus verschiedenen Gründen in Frage stellten. Machowecz schreibt nur: »Viele Kollegen haben mich in dieser Haltung unterstützt. Was ich aber auch erlebte, war massive Gegenwut.« Keine Rede davon, dass der DJV-Vorsitzende ihm widersprach und meinte, dass Journalisten natürlich gegen die AfD demonstrieren dürfen. Keine Rede von dem Dossier bei Zapp, das ausführlich und begründet erklärt, wo Machowecz in seiner Annahme falsch liegt. Keine Rede von den hunderten Twitter-Nutzern, die sachlich mit ihm diskutiert haben. Stattdessen spricht er also von Gegenwut und schreibt in seinem Text nun über »einen Umgang mit der AfD, der mir Sorgen macht«. Er behauptet einfach mal: »Mit jedem Radikalisierungsschub der AfD entwickeln mehr Leser, Politiker, Journalistenkollegen das Gefühl, dass auch die Abgrenzung von der AfD radikaler werden müsse.« Eine neue Eskalationsstufe im Umgang mit der Partei sei erreicht. »Viele finden, sie müsse jetzt endlich weg, sie müsse niedergebrüllt werden.«

Dafür bringt Machowecz keine Belege. Wer wird wo wie radikaler? Anscheinend bezieht er sich auf die Demo gegen die AfD in Berlin, die seinen Tweet veranlasst hat. Aber ist das eine neue Eskalationsstufe? Wird nicht überall im Land seit Jahren gegen die AfD oder die thematisch ähnlich aufgestellte Pegida-Bewegung demonstriert? Außer, nun ja, in Dresden, dessen tolle Diskussionskultur Machowecz jüngst im Zeit-Magazin prominent abfeiern durfte … Und seit wann ist eine Demonstration eine Eskalation? Selbstverständlich finden viele, die AfD müsse weg – selbst die CSU findet das. Nicht »jetzt endlich«, sondern schon lange und – ja, da hat Machowecz Recht – mit jedem Tag, an dem sie sich mehr radikalisiert, umso dringender. Eine eurokritische Partei ist schließlich etwas anderes, als eine Partei die Menschen an der Grenze erschießen will. Wenn nur wenige Menschen in Deutschland finden würden, dass die AFD weg müsse, hätte dieses Land ein weitaus größeres Problem als es gerade eh schon hat.

Machowecz beginnt nun, ausführlich zu erklären, warum es seiner Meinung nach nicht gut sein kann, »der AfD in diesen Krieg zu folgen». Welcher Krieg, fragt sich die Leserin an dieser Stelle, bekommt aber keine Antwort und vermutet deshalb, dass er die unschönen Nachrichten meint, die er bekommen hat. Und ja, sie sind unschön, aber doch in der ganzen Diskussion eindeutig in der Minderheit. Ein viel größeres Problem aber sind doch die Nachrichten, die die Journalisten und Medien bekommen, die etwas Kritisches über die AfD schreiben oder auch nur einen nüchternen Bericht darüber, dass Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet wurden. Zahlreichere, geschmacklosere und oft sogar verboten hetzerische Nachrichten von Menschen, die auch die AfD wählen würden.

Mit den AfD-Wählern befasst sich Machowecz im zweiten Teil seines Textes. Da er in Sachsen wohnt, wie er betont, gebe es viele AfD-Wähler in seinem Umfeld: Verwandte und Bekannte von ihm, Nachbarn und Menschen, mit denen er Fußball schaut. (Lustig auch: Machowecz ist großer RB-Fan, hat aber trotzdem kein Problem damit, lange Texte über RB zu schreiben, weil seiner Meinung nach bei Fußball und Kirche die von ihm gefragte Trennung von Journalismus und eigener Meinung »etwas anderes sei«, wie er in einem Tweet schrieb. Warum, hat er leider auch noch nicht erklärt.)

Machowecz erzählt dann weiter, dass er über die AfD schon »tausendmal debattiert, tausendmal diskutiert« habe und dass er AfD-Sympathisanten getroffen hat, die Argumenten zugänglich waren und jetzt vielleicht die CDU wählen. Anstatt aber die ganze Seite dann einfach mit guten Argumenten gegen die AfD vollzuschreiben, schreibt er lieber über die AfD-Wähler, die Hausmeister, Schulleiter und Polizisten, denen jahrelang keiner zugehört hat.

Dass allerdings seit Jahren viel zu viel über Flüchtlinge und Obergrenzen und andere AfD-Themen geredet wird, hat Machowecz zwar auch schon mal gehört, und meint dazu, es müsse halt Zeit vergehen, bis wieder Vertrauen entsteht (außer in Sachsen-Anhalt). Auch gut sei es, wenn andere Parteien die Themen der AfD übernehmen. Dann würden die Werte der AfD nämlich absacken. Dass wir dann halt eine andere Partei haben, die menschenverachtende Politik macht, gegen die man auf die Straßen gehen müsste, spielt hier keine Rolle.

Zurück zum Journalismus: Der müsse Haltung zeigen, aber bitte in Texten – und nicht auf einer Demo. Wer nicht mit der AfD reden will oder Jens Spahn als Rechten hinstelle, treibe die Leute nur noch mehr in die Arme der AfD.

Zum Glück sehen das die meisten anderen Journalisten noch anders und kritisieren, wo es halt notwendig ist, die AfD. Auf der Straße, beim Fußballspiel, in ihren Texten, auf Twitter, wo auch immer. Denn sollte die AfD tatsächlich irgendwann an die Macht kommen (am wahrscheinlichsten ist das in Sachsen), werden die kritischen Journalisten von Regierungsseite einigen Ärger erwarten dürfen. Martin Machowecz vielleicht eher nicht.


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1 Kommentar(e)

Problem 19.06.2018 | um 13:32 Uhr

Die Schlagzeile der Zeit hat mich echt stutzig gemacht. Was soll das bitte? Das ist billig Inszenierung und Bauernfängerei, das hat eine Zeitung wie die ZEIT eigentlich nicht nötig. Und natürlich darf jeder Journalist - wie jeder andere Mensch in Deutschland auch - eine eigene, auch politische, Meinung haben und er darf diese auch auf Demos (immerhin eine der GANZ GROßEN Säulen unserer Demokratie) äußern! Die Menschen, die reflexartig fordern, Journalisten sollten doch bitte nur "objektiv" berichten, die wünschen sich entweder eine a) von Robotern geschriebene Zeitung oder b) eine Zeitung, die ihnen nach dem Mund faselt. Und ich benutzte bewusst das Wort faseln, die meisten Menschen, die der Zeitung mangelnde Objektivität vorwerfen und von Journalisten "neutrale" Berichterstattung fordern, entlarven sich im nächsten (Debatten-) Beitrag als Anhänger bestimmter rechts vom Konservatismus stehenden Parteien.