Der Sommer gilt gemeinhin als sorgenfreie Zeit, die es zu genießen gilt, ohne sich das Leben unnötig schwer zu machen. Dazu passend geht die aktuelle LVZ-Reihe »Das Sommerinterview«, bei der ein Jahr vor der Sachsenwahl die Parteispitzen zur Lage im Land befragt werden, den politischen Diskurs eher gemächlich an. Anscheinend gilt hier der journalistische Kodex: »Fragen stellen: ja, kritisch nachfragen und Gesagtes in Zusammenhänge einordnen: nein.«
So kann Ministerpräsident Kretschmer ohne zu viel Inhalt zu bemühen feststellen, in Sachsen werde »viel zu viel übereinander statt miteinander gesprochen« und auch SPD, Grüne oder die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry, die im Interview ein nur bedingt realistisches Bild der Erfolgschancen ihrer neuen Blauen Partei bei den kommenden Wahlen zeichnen darf, müssen sich kaum mit lästigen Nachfragen auseinandersetzen.
Problematisch wird diese Herangehensweise allerdings ganz besonders, wenn man mit dem AfD-Landesvorsitzenden Jörg Urban jemandem, der dem rechtsnationalen Kyffhäuserkreis um Björn Höcke zugerechnet wird und im Hinblick auf den anstehenden Wahlkampf die Zusammenarbeit mit Pegida sucht, unkommentiert ein Forum bietet, um gefühlte Wahrheiten als Fakten darzustellen und mit halben Tatsachen Stimmung zu machen. Das Ergebnis ist ein Text in der Montagsausgabe, dem man nicht vorwerfen kann, er ließe viele Fragen offen. Allein, sie wurden nicht gestellt.
Anfangs mag es noch amüsieren, wenn Urban die AfD ironiefrei im »Fahrwasser von Trump« verortet, angelehnt an das große Vorbild jenseits des Atlantik »Deutschland zuerst« fordert und ungeachtet aktueller Diskussionen um einen drohenden Handelskrieg feststellt, die Weltwirtschaft interessiere die AfD nur dann, »wenn sie für die Menschen in unserem Land von Vorteil ist«.
Jetzt könnte man natürlich vorsichtig nachfragen, wie so etwas in einem Land, das sich selbst Exportweltmeister nennt, umgesetzt werden soll und welche deutschen Qualitätsprodukte zukünftig die Konsumbegierden deutscher Qualitätskinder (die wollte die AfD ja binnenmarktkonform auch »selber machen«) befriedigen sollen. Wollte man den seligen Sommerfrieden riskieren, könnte man sogar fragen, ob man sich ernsthaft in einer Linie mit einer Person sehen möchte, die einem alle paar Wochen aufs Neue beweist, dass sie tatsächlich noch tiefer sinken kann. Könnte man. Oh, seliger Konjunktiv.
Stattdessen wechselt LVZ-Redakteur Andreas Debski zielsicher zum aktuellen Brennpunkt »Grenzen und Ausländerkriminalität«. Bei einem solch heißen Eisen ist der Eklat ja vorprogrammiert, oder? Wer genau all die Menschen sind, die Jörg Urban erzählt haben, dass Warteschlangen und Kontrollhäuschen gerne in Kauf genommen werden, denn: »So schlimm war das damals alles nicht«, erfahren wir mangels Nachfrage nicht.
Und stimmt das wirklich alles, was Urban da so in den Raum stellt? Schließlich behauptet er ohne jeglichen Widerspruch: »Fakt ist: Wenn die Illegalen nicht hier wären, würde es weniger Kriminalität geben. Immerhin ist schon jeder dritte Häftling in Sachsen ein Ausländer.«
Jetzt müsste doch aber was kommen, denkt man sich. Knallharte Entgegnung des Interviewers: »Kommen wir zur sozialpolitischen Ausrichtung.« Wen Urban mit den »Illegalen« genau meint, ob allein ihre bloße Anwesenheit als »Illegale« denn nicht maßgeblich für die von ihm proklamierte gestiegene Kriminalität verantwortlich sei, oder ob es die 46.100 Fälle sind, in denen Geflüchtete 2017 Opfer einer Straftat wurden, die er für die Zukunft gerne nicht mehr in der Kriminalitätsstatistik finden möchte, wird nicht beantwortet. War ja auch nicht gefragt. Und was das alles mit dem Umstand zu tun hat, dass Sachsen beim Anteil ausländischer Strafgefangener im bundesweiten Durchschnitt liegt, wobei ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Gruppe auf Personen aus den direkten Nachbarländern entfällt ... Man könnte ja mal nachfragen. Könnte ...