Anlässlich des Jahrestags widmet die Kinobar dem gescheiterten Versuch, einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zu erschaffen, eine facettenreiche Filmreihe mit einigen der wichtigsten Produktionen der tschechoslowakischen Neuen Welle von 1966 bis 1970. So gibt es die rare Gelegenheit, Meisterwerke wie »Der Leichenverbrenner« noch einmal auf der Leinwand zu erleben. Aber auch die unterhaltsam aufbereitete Geschichtsstunde »Gemütliche Nischen« von 1993 ist zu sehen.
17.–21.8., Kinobar Prager Frühling
Film der Woche: Bürgermeister Georges Balbuzard (François Cluzet) ist mit seinem Latein am Ende. Die Landwirtschaftskrise hat auch die Bauern in seinem beschaulichen Dorf Mêle-sur-Sarthe in der Normandie erreicht. Doch ihre zahlreichen Proteste erwecken weder das Interesse der Verantwortlichen in Rouen noch in Paris. Also beschließt Balbuzard die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Er weiß nur noch nicht so recht wie. Als zufällig der berühmte Fotokünstler Blake Newman (Toby Jones) nach Mêle-sur-Sarthe kommt, scheinen alle Probleme gelöst und die nötige Aufmerksamkeit garantiert. Denn Newman möchte ausgerechnet hier sein neues spektakuläres Fotoprojekt realisieren und sogar die Bauern miteinbeziehen. Wäre da nicht noch eine Kleinigkeit, von der Bürgermeister Balbuzard noch alle überzeugen muss: Die Bauern sollen sich für das Foto ausziehen. Auch wenn man das französische Kino in letzter Zeit fast abgeschrieben hatte, sollte man sich von Philippe Le Guays Zustandsbeschreibung der ländlich geprägten Normandie überraschen lassen. Der süffisante Titel täuscht nämlich darüber hinweg, dass es hier um den Überlebenskampf der Bauern geht, die teilweise grobschlächtigen Figuren fein gezeichnet sind und »Normandie nue« (so der Originaltitel) überhaupt keine Komödie ist, sondern ein entwaffnend ehrliches Sozialdrama.
»Ein Dorf zieht blank«: ab 16.8., Passage Kinos, Schauburg
Wir verlosen 3x2 Freikarten: eMail an film@kreuzer.leipzig.de (Betreff: "Blank")
Der Cartoonist John Callahan führt ein Leben auf der Überholspur. Sein Alkoholkonsum ist immens, und so verwundert es kaum, dass er in volltrunkenem Zustand mit einem gleichermaßen zugedröhnten Fahrer eines Tages einen schweren Autounfall hat. Von nun an querschnittsgelähmt, versucht Callahan, sein Leben in den Griff zu bekommen, indem er sich den Anonymen Alkoholikern anschließt. Als er zumindest seine rechte Hand wieder einigermaßen bewegen kann, greift er auch wieder zum Stift, um in seinen Cartoons nun Themen aufzugreifen, an die sich andere Zeichner aus moralischen Gründen kaum herantrauen. Callahan nimmt kein Blatt vor den Mund und macht sich auf politisch völlig unkorrekte Weise über Behinderungen und körperliche Unzulänglichkeiten lustig.Gus Van Sant hat sich im Laufe der letzten Jahre zu einem der bekanntesten und international erfolgreichsten Independent-Regisseure der USA gemausert. Nach seinem Oscar-prämierten Film „Milk“ über den offen schwulen Bürgermeister von San Francisco ist er mit „Don´t Worry, weglaufen geht nicht“ erneut ins Genre des Biopics zurückgekehrt und hat die gleichnamige Autobiografie des Cartoonisten John Callahan damit auf die große Leinwand gebracht. Callahans Querschnittlähmung liefert auf den ersten Blick nicht unbedingt den Stoff für eine Komödie. Aber der Humor des Gagspezialisten war dermaßen makaber und skurril, dass eine Umsetzung seines Lebens als Biopic-Komödie die fraglos beste Entscheidung darstellt. Joaquin Phoenix meistert seinen Part eines über weite Strecken des Films zur fast kompletten Bewegungslosigkeit Verdammten auf beeindruckende Weise. Fast noch überzeugender ist allerdings der Einsatz von Jonah Hill zu werten, der hier völlig gegen den Strich als schwuler Guru der Antialkoholikerbewegung besetzt wurde und den man in den ersten Minuten seiner Auftritte kaum wiedererkennen dürfte. Ausfühlriche Kritik von Frank Brenner im aktuellen kreuzer.
»Don‘t Worry, weglaufen geht nicht«: ab 16.8., Passage Kinos
Es ist Silvester. Die letzte Nacht des Jahres. Aber Oskar (Niklas Bruhn) ist nicht gerade zum Feiern zumute. Es ist auch die letzte Nacht seines Clubs am Ende der Reeperbahn. Die Schulden sind erdrueckend. Oskar hat keine Ahnung, was aus ihm werden soll. Aber darueber hat er auch kaum Zeit nachzudenken. Die Glaeubiger ruecken an, sein bester Freund Rocky (Mathias Bloech) droht am ploetzlichen Ruhm zu zerbrechen, im Club geht es drunter und drueber und dann taucht auch noch Mathilda (Tinka Fuerst) auf, Oskars unglueckliche Liebe. Episoden einer rauschenden Partynacht, die Regisseur Jakob Lass (“Love Steaks”) in seiner gewohnt wilden Mischung aus Improvisation und Spielfreude inszeniert. Statt den Roman von Tino Hanekamp dialoggetreu zu adaptieren, entschied er sich, das Gefuehl dieser einen Nacht so originalgetreu wie moeglich widerzugeben. So bewegte sich das Ensemble an vier Naechten in einem echten Club im regulaeren Betrieb. Ein Konzept, das aufgeht und “ So was von da” zu einem der erfrischendsten Filme im Kinojahr macht.
»So was von da«: ab16.8., Luru Kino in der Spinnerei, Regina Palast
Weitere Filmtermine der Woche
Detective Dee und die Legende der vier himmlischen KönigeWährend er in einer Serie von Verbrechen ermittelt, muss sich Detective Dee selbst gegen die Vorwürfe von Kaiserin Wu wehren. Teil 3 der Fantasy-Reihe. - Chinesisches Kino18.8., 17 Uhr, 19.8., 11 Uhr, Cineplex
Moderne ZeitenEin großer Klassiker: Fabrikarbeiter Charlie Chaplin im Kampf mit einer Maschine und um sein Liebesglück. - GlobaLe18.8., 20 Uhr, Libelle
Die Schlacht um ChileDreiteilige Dokumentation über die Endphase der Regierungszeit von Salvador Allende im Chile der 1970er.
- Teil 1: Aufstand der Bourgeoisie (CHI/CUB/F 1975, Dok), GlobaLe22.8., 20 Uhr, Richard-Wagner-Hain
- Teil 2: Der Putsch (CHI/CUB/F 1976, Dok), GlobaLe23.8., 20 Uhr, Richard-Wagner-Hain
- Teil 3: Die Macht des Volkes (CHI/CUB/F 1979, Dok), GlobaLe24.8., 20 Uhr, Richard-Wagner-Hain
Ein Haufen LiebeVier Frauen zwischen 70 und 90 sind Teil eines Laientheaterstücks zum Thema Verliebtsein. Die Doku begleitet die Produktion und lässt die alten Damen von ihren eigenen Liebeserfahrungen erzählen. – Nach dem Film Gespräch mit der Regisseurin.
19.8.,16 Uhr, Budde-Haus
GundermannMit Alexander Scheer und Anna Unterberger sowie der Drehbuchautorin Laila Stieler19.8., 16.30, 17 Uhr, Passage Kinos
Shorts Attack: Lost in FantasyWillkommen im Reich der Fantasie: Nachts in einer alten Villa auf Geister stoßen (»Eine Villa mit Pinien«, Foto), im Wald putzmuntere Gnome treffen (»Eddy Table«), gottgleichen Wesen folgen (»Aenigma«) und ins Wesen der Natur eindringen (»Ludi Floralis«). Shorts Attack testet im August auch das Glück in den Extremsituationen einer Freundschaft (»Whole«), bringt visuell ein Zimmer durcheinander (»Who´s who«), steigert sich in weibliche Fantasien (»Bacchus«) und stellt sogar die Kommunikation auf den Kopf (»A Magician«).19.8., 11 Uhr, Cineplex
50 Jahre Prager Frühling
Vom Fest und den GästenMetaphorisches Werk über staatliche Willkür gegenüber Andersdenkenden, in dem tschechische Intellektuelle vor der Kamera agierten. – Erinnerungen an den Prager Frühling vor 50 Jahren18.8., 19.30 Uhr
Gemütliche NischenPrag 1967: Während die Oberhäupter zweier Nachbarsfamilien ständig politisch miteinander streiten, träumen die jugendlichen Kinder zu Weihnachten von einem freieren Leben. Ostalgie-Tragikomödie. – Erinnerungen an den Prager Frühling vor 50 Jahren19.8., 18 Uhr
Der LeichenverbrennerIn dieser rabenschwarzen, schockierenden Groteske wittert ein Krematoriumsangestellter im von den Nazis belagerten Tschechien Karrierechancen.20.8., 19 Uhr
Das OhrEin Politiker wird im Prag der 1950er in seiner Villa zum Opfer der Machenschaften der Staatssicherheit und seiner eigenen Paranoia. – Erinnerungen an den Prager Frühling vor 50 Jahren21.8., 19.30 Uhr
Kinobar Prager Frühling
IuventaDoku über die Berliner Hilfsinitiative »Jugend rettet«, die mit einer Crowdfunding-Kampagne 2015 einen alten Fischkutter kaufte und damit 14.000 Flüchtlingen im Mittelmeer das Leben rettete, bis das Schiff in Italien beschlagnahmt wurde. Anschließend Diskussion.20.8., 19 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei
Lebenszeichen – Jüdischsein in BerlinAutobiografie, Großstadtporträt und Traumastudie: Die Doku begibt sich auf Spurensuche in der Hauptstadt, nach verblassenden, aber immer noch präsenten Erinnerungen an die jüdischen Opfer des Zweiten Weltkriegs. - Am 22.8. Premiere in Anwesenheit der Regisseurin.22.8., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Mein Name ist Somebody – Zwei Fäuste kehren zurückAussteiger Tom fährt auf einer Harley durch Spaniens Einöden. Eine junge Frau namens Lucia, die er vor zwei Verbrechern rettet, bringt Schwung in sein Leben. Terence Hill will's noch mal wissen und inszeniert sich selbst in einem Roadmovie.23.8., 20 Uhr, Cineplex
Surf Film NachtMit »The Endless Winter – Surfing Europe«: Wenn im September die ersten Herbststürme über dem Atlantik wüten, dann beginnt für die Surfer Nordeuropas die Reisezeit: Bus packen, Bretter aufs Dach und ab in den Süden.23.8., 21.30 Uhr, Sommerkino auf der Feinkost