Es ist August. Die Sonne brennt auf Leipzig nieder. Als wir das Viet Village betreten, trägt das Wetter dazu bei, dass wir uns auf den Straßen von Hanoi wähnen. Überall stehen Tonkrüge, Pflanzen hangeln sich von den Wänden. An der Wand lehnt ein türkisfarbenes Gitter aus Metall, wie wir es von den Straßenzügen unserer Reisen durch Vietnam kennen. Dazwischen sorgen alte Kameras, Bücher und Schwarz-Weiß-Fotos für ein Gefühl von Vergangenheit. Es ist das vergangene Vietnam, das hier im Lokal im Leipziger Musikviertel auflebt. Ein wohliges Gefühl von Nostalgie. Rezepte aus über einhundert Jahren will das Viet Village mit modernen Einflüssen kreuzen. Vegetarische Gerichte mit der fleischlastigen Küche Vietnams. »Asian Fusion Food Experience« nennt der Betreiber Van Hien Chu das.
Vor einem Jahr kam er aus Berlin nach Halle und eröffnete das Viet Village. Ein Jahr später folgte nun Leipzig. Das Konzept ist das gleiche. Das authentische Flair der Straßenküchen spiegelt sich in den Gerichten ebenso wider wie in der Einrichtung. Die Tische, Hocker und Bänke sind aus massivem, hellem Holz gestaltet, an den Wänden hängen die typischen Hüte der Reispflückerinnen und überall Pflanzen. Die dunklen Kabel, die die kunstvoll gestalteten Lampen über unseren Köpfen mit Strom versorgen, sind in nachgebildeten Hochspannungsleitungen gefasst. Ein Lautsprecher, einst für die Ansprachen ans Volk gedacht, schweigt erfreulicherweise.
»Innen lebt das Flair der Straßenküchen«
Heute Abend sitzen die meisten Gäste draußen, denn der Freisitz zur Beethovenstraße wirkt doch recht ruhig und gemütlich. Keine Spur vom allgegenwärtigen Knattern der Mopeds und Mofas, die jene Straßen von Ho Chi Minh City zu Tausenden beherrschen. Der Blick in die Karte offenbart ein reichhaltiges Angebot an Vorspeisen, Hühnchenspieße mit Erdnuss-Saté, gefüllte Reispapier-Taschen, dazu selbst gemachte Saucen. Wir entscheiden uns für zwei Garnelen-Kreationen. Frittierte-Süßkartoffel-Streifen ergeben ein quadratisches Nest, auf dem eine Garnele thront, die bis zum Schwanz kross gebraten auf der Zunge zergeht. Die zweite in einem knusprigen Mantel aus jungem, grünem Jasminreis mit Kräutern ergänzt hervorragend die fruchtige Note der Maracujasauce. Je zwei dieser Varianten gibt es für die 4,50 Euro dekorativ angerichtet mit Salat an der Seite. Die Hauptgerichte bieten viel Fleisch in unterschiedlichen Darreichungsformen, in Lotblättern etwa, also vietnamesischen Pfefferblättern, paniert, gebacken oder als Curry. Viele der Gerichte werden in verschiedenen Versionen angeboten, mal mit Schweine-, mal mit Rindfleisch oder mit Garnelen. Einige Fischgerichte ergänzen das Angebot. Für Vegetarier bietet die Karte zwei reich gefüllte Seiten zum Stöbern, darunter Tofu-Variationen gewürzt mit Tamarinde oder Erdnusssauce. Auch vegetarische Vorspeisen sind im Angebot.
Das Lachsfilet in einem knusprig gebackenen Teigmantel sitzt auf Saisongemüse mit Zucchini, Möhrenstreifen, Bohnen und Erbsen in gold-gelbem, mild-scharfem Kokoscurry. Dazu wird ein kleiner Topf Jasminreis gereicht. Meine Begleitung wählt eine Schale Reisnudeln in einer klaren Sauce mit Sesamaroma, obenauf liegen gebratene Frühlingsrollen in Scheiben geschnitten mit einer würzigen Füllung und gerösteten Zwiebeln, Zitronengras und Kräutern. Erdnüsse und Minzblätter sind bei allen Gerichten gegenwärtig und verleihen ihnen unvergleichlichen Duft und feines Aroma. An Trinkbarem gibt es eine überschaubare Weinkarte sowie viele verschiedene Cocktails für die späten Abende. Wir begnügen uns mit einem hellen, leichten Saigon Bier und grünem Tee mit Limette, Ingwer und Minzblättern, fantasievoll angerichtet in einer Art Einmachglas mit verschnörkeltem Strohhalm. Zum Abschluss des gelungenen Ausflugs in die südost-asiatische Küche warten verschiedene Kaffee-Kreationen, auch hier fürs Auge schön angerichtet, zum Beispiel mit einer weißen Schicht Kondensmilch, auf der der aromatische dunkle Kaffee sitzt. Als Nachspeisen werden uns Eis oder Joghurt, süßlicher roter Reis, garniert mit einem Klacks Sahne, Kokosflocken und Erdnüssen empfohlen.
LARS TUNÇAY