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Politik

Videoüberwachung von Tausenden

Das neue Polizeigesetz – erklärt an Beispielen. Heute: Gesichtserkennung gegen Kriminalität

  Videoüberwachung von Tausenden | Das neue Polizeigesetz – erklärt an Beispielen. Heute: Gesichtserkennung gegen Kriminalität

Der von der Sächsischen Staatsregierung unter Federführung des Innenministeriums in seiner ersten Fassung im April vorgestellte Entwurf für ein neues Polizeirecht hat nunmehr nach einer Überarbeitung im Ministerium den Sächsischen Landtag erreicht. Auch der überarbeitete Entwurf sorgt weiterhin für kontroverse politische Diskussionen. Einige Bestimmungen erweisen sich dabei als besonders konfliktträchtig und sollen daher in einer kurzen Artikelserie einzeln beleuchtet werden. Diese Serie setzt nun eine Betrachtung von § 59 des geplanten neuen Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes fort. Mit ihm will der Gesetzgeber erklärtermaßen juristisches »Neuland« betreten.

Das Gesetz im Ganzen richtet sich an den Polizeivollzugsdienst, also die uniformierte Polizei im Dienst des Freistaates Sachsen. Die konkrete Vorschrift betrifft das sächsische Grenzgebiet zu Polen und Tschechien bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern. Was zunächst nach einem schmalen Streifen klingt, erfasst wegen der geographischen Besonderheiten des Freistaates praktisch die gesamten Landkreise Görlitz und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie den Erzgebirgskreis, dazu erhebliche Teile des Vogtlandkreises sowie des Landkreises Mittelsachsen und reicht bis nach Dresden und an die Stadtgrenzen von Chemnitz heran.

In diesem örtlichen Geltungsbereich der Norm soll der Polizeivollzugsdienst künftig zur Verhütung grenzüberschreitender Kriminalität in Form der Begehung bestimmter, im Gesetz abschließend aufgezählter schwerer Straftaten personenbezogene Daten erheben dürfen. Diese Datenerhebung kann durch »den offenen Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufzeichnungen des Verkehrs auf öffentlichen Straßen« erfolgen. Daneben können »Informationen über Ort, Zeit und Verkehrsrichtung der Nutzung« erfasst werden. Dieses Paket an Daten ist sodann »automatisiert mit anderen personenbezogenen Daten abzugleichen«.

Hinter dieser rechtstechnisch gehaltenen Sprache verbirgt sich die Ermächtigung dazu, per Videotechnik nicht nur die Kennzeichen aller Fahrzeuge zu erfassen, die eine bestimmte Straße befahren, sondern auch Ort, Zeit und Verkehrsrichtung ihrer Bewegung und vor allem die biometrischen Daten der Fahrzeuginsassen. All diese Daten können miteinander verknüpft und bis zu 96 Stunden lang gespeichert werden. Während dieser Zeit sollen sie automatisiert mit dem Register der zur polizeilichen Beobachtung ausgeschriebenen Personen abgeglichen werden. Ergibt sich eine Übereinstimmung mit Einträgen in diesem Register, kommt sogar eine längerfristige Speicherung der Daten in Betracht. Eingegrenzt wird die Vorschrift freilich dadurch, dass die Überwachung nur in den Straßenkorridoren erlaubt sein soll, die von herausgehobener Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität sind. Eine flächendeckende Überwachung aller Straßen im Grenzgebiet ist so nicht möglich. Dementsprechend verbietet das Gesetz ausdrücklich nicht nur den flächendeckenden, sondern auch den Einsatz dieser Überwachungsmaßnahme im Dauerbetrieb.

Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger wird die neue Vorschrift gewichtige Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erlauben, weil biometrische Daten, Kraftfahrzeugkennzeichen, aber auch der Umstand der Benutzung einer bestimmten Straße Bezüge zum Einzelnen haben. Der Eingriff wird noch dadurch intensiviert, dass diese Daten miteinander in Verbindung gebracht und mit polizeilichen Datenbanken abgeglichen werden. Zudem entfaltet die Bestimmung eine erhebliche »Streubreite«. Sie erfasst nämlich nicht nur die zur Beobachtung ausgeschriebenen Personen, sondern alle Menschen, die während der Videoüberwachung einen bestimmten Straßenabschnitt passieren – sei es, um zur Arbeits- oder Ausbildungsstelle zu kommen, sei es zu privaten Zwecken. Dies können, je nach überwachtem Straßenabschnitt und Dauer des Überwachungsvorgangs, mehrere Hundert oder Tausend Personen sein. Auf ein Überfahren der Grenze zu Polen oder zu Tschechien kommt es nicht an; es genügt vielmehr die Benutzung des jeweils überwachten Straßenabschnitts. Die Begrenzung der möglichen Videoüberwachung auf für die Begehung von schweren Straftaten besonders bedeutsame Straßenabschnitte und das Verbot flächendeckender sowie dauerhafter Überwachung mildern die Schwere des Eingriffs zwar ab, heben ihn aber nicht vollständig auf.

In der künftigen, auch im Landtag zu führenden politischen Debatte wird es also vor allem um die Frage gehen, ob die Verhütung von grenzüberschreitenden und die Grenznähe ausnutzenden Straftaten, denen der Gesetzgeber eine hohe »Sozialschädlichkeit und Gefährlichkeit für die Aufrechterhaltung der inneren Rechtsordnung« im Freistaat attestiert, eine solche Beschränkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts einer Vielzahl von Personen rechtfertigt.


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