Wir sind stärker, wenn wir uns zusammentun«, mit dieser Erkenntnis taten sich vor zehn Jahren in Lindenau die Akteure vom Kunstraum D21, der Projekt- und Hörgalerie A und V sowie dem Kunstraum Kuhturm zusammen. Es entstand ein Dreigestirn für zeitgenössische Kunst zwischen Demmering-, Kuhturmstraße und Lützner Straße und das Netzwerk der unabhängigen Kunsträume Leipzig Lindenau, das Lindenow – unter dem Motto »Denn es ist jetzt, und Jetzt ist immer«. 2018 lädt das Netzwerk nun im zehnten Jahr zu einem Kunst- und Kulturrundgang in den Leipziger Westen ein.
Bereits 2005 eröffneten vier Studierende der HGB den Kuhturm, dem ein Jahr später D21 in einem ehemaligen Friseurladen in der Demmeringstraße 21 folgte. Gerade erschien das Buch »D21 Kunstraum Leipzig 2006–2016: I will never make it«. A & V begann 2007 mit ihrer Arbeit.
Ein Jahr später zog die NPD-Zentrale in die Odermannstraße 8 und markierte ihr Gelände mit hohem Blechzaun, Hundeklappe und Fahnenstangen. So hieß es für die Kunsträume, nicht nur gemeinsame Kunstereignisse zu organisieren, sondern Haltung einzunehmen, zeitgenössische Kunst auf ihre politische Relevanz zu befragen oder neue Formen der Vermittlung zu schaffen. Ein Jahr später organisierte das Netzwerk begleitete Rundfahrten mit einem Doppelstockbus unter dem Motto »Ich sehe was, was du nicht siehst – weil Nationale Zentren leider keine Hirngespinste sind«. Die Höhe des Busses bot einen Blick über den Zaun in der Odermannstraße, als Begleiterin trat die Linke-Politikerin Kerstin Köditz auf und Jörg Sundermeier, Verleger des Verbrecher Verlags, las aus dem Roman »Fliegeralarm« von Gisela Elsner.
Abseits der selbstverwalteten Kunsträume hatte der Verein Leipziger Jahresausstellung bereits 2002 mit dem Projekt »Stadthalten« künstlerische Positionen als Stadtsanierungsprojekt um den Lindenauer Markt initiiert. Hierbei wurde Kunst gegen die Verwahrlosung von brach liegenden Grundstücken verortet. Übrig blieben die heute noch zu sehenden Arbeiten zwischen Markt und Demmeringstraße. Damals war die Aktion eine große Sache und gewann den Sonderpreis zum Deutschen Städtebaupreis 2004. Bereits ein Jahr später gewann das Plagwitzer Architekturbüro Weis & Volkmann in einem Gutachterverfahren den ersten Platz für die Gestaltung und Planung eines Discounters am Lindenauer Markt anstelle der damals dort stehenden Imbissbuden und grünen Freiflächen. Der Raum wurde dichter und um die Pläne des Discounters tobte ein Kulturkampf. Als 2012 der Klotz am Lindenauer Markt eröffnete, dem einige Zeitgeister die Ästhetik eines Flakbunkers bescheinigten, gab es eine Kompromisslösung. Unter dem Motto »10 Kunsträume« sollten die zehn Schaufenster entlang der Marktseite und der Kuhturmstraße unter Leitung des Lindenauer Stadtteilvereins jeweils in einem anonymen Wettbewerb ausgeschrieben werden, um Platz für »anspruchsvolle künstlerische Gestaltung« zu schaffen. Kaufland sollte dabei nicht mitmischen. Die erste und bisher einzige Auflage gewann Diana Wesser mit ihrem eher soziokulturell angelegten Projekt »PROtest«. Hierbei konnten Anwohner beispielsweise auf selbst gemalten Plakaten ihre Wünsche artikulieren. Die so entstandenen Pappen hingen dann in den Schaufenstern und gaben über die Zeit hinweg ein sehr trauriges Bild ab. Lindenow 2018 erinnert an die damalige Initiative. Mit Art n More (Paul Bowler und Georg Weißbach) tritt im Oktober eine Position an, die sehr plakativ Gestaltung mit einfachen Inhalten verbindet. Die Schaufenster am Kaufland sind einer von mehr als 50 Orten, wo am ersten Oktoberwochenende Kunst zu besichtigen ist. Dem Open Call von Lindenow folgten Kunstschaffende von Lindenau, Plagwitz bis Leutzsch. Diese hohe Zahl an Präsentationsorten ist nicht zu verwechseln mit Produktionsorten, denn die wurden über die Jahre hinweg immer weniger. Nach einem regen Zuzug um die 2010er-Jahre mit dem Kunstraum Ortloff am Straßenbahnhof Angerbrücke, der Praline in der Lützner Straße oder dem Ping Pong in der Endersstraße verschwanden bis heute viele Kunsträume wieder.
Und es verschwanden nicht nur Ausstellungs- und Kulturräume. Innerhalb von Lindenow 2018 zeigt die Schau »Destillate« Arbeiten von ehemaligen Lindenow-Teilnehmern, die sich mit dem Verschwinden von Räumen und Utopien beschäftigen. Zu sehen ist die Ausstellung im ehemaligen Discounter an der Merseburger/Ecke Lützner Straße. Dort begann bereits Mitte der neunziger Jahre die Sanierung. Anstelle der damals entstandenen Gourmet-Passage und des Kaisers sind heute Billigketten angesiedelt. Das neue Kaufhaus Held steht schon lange leer. Es gibt also noch Unorte im Gentrifizierungsgebiet, die sich dem Kapitaldruck entziehen. Dass Kunst diese zumindest kurzzeitig zum Leben erweckt, bildet eine Konstante des Lindenow. Führungen zeigen an dem Wochenende die wechselvolle Geschichte von Stadtraum und Kunsträumen, bevor danach im Oktober wieder der Alltagstrott beginnt.