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Stadtleben

»Ich will nicht, dass meine Tochter mit diesem Gefühl aufwächst«

Gehen oder bleiben? Warum eine syrische Familie in Sachsen keine Zukunft sieht

  »Ich will nicht, dass meine Tochter mit diesem Gefühl aufwächst« | Gehen oder bleiben? Warum eine syrische Familie in Sachsen keine Zukunft sieht

Mitte Dezember 2018: Im Flur der Wohnung von Familie Issa stapeln sich bereits Koffer und Kisten. Nur wenige Tage nach unserem Gespräch wird Herr Issa einen Transporter beladen und sich nach drei Jahren in Leipzig erneut auf den Weg machen. Bevor er die Reise 500 Kilometer in Richtung Westen antritt, erklärt er noch, warum er in Sachsen keine Zukunft für seine Familie sieht.

kreuzer: Warum wollen Sie weg aus Sachsen?Issa: Ich bin seit drei Jahren in Leipzig und habe jeden Tag das Gefühl, diskriminiert zu werden, weil meine Hautfarbe ein bisschen anders ist. In der Straßenbahn schauen die Leute mich misstrauisch oder böse an. Manchmal habe ich richtig Angst. Ich will nicht, dass meine Tochter mit diesem Gefühl aufwächst. Im Westen sind die Menschen daran gewöhnt, dass Ausländer zum Stadtbild gehören. Das kennen hier viele anscheinend gar nicht oder wollen das nicht akzeptieren. In Nordrhein-Westfalen, wo wir jetzt hinziehen, gibt es viele Deutsche mit Migrationshintergrund, die schon in der dritten Generation dort leben und die gleiche Hautfarbe wie wir haben.

kreuzer: Warum haben Sie in Leipzig manchmal Angst?Issa: Einmal brachte ich meine Tochter zum Kindergarten, als eine Frau von der anderen Straßenseite zu uns herüberwechselte und vor uns auf den Boden spuckte. Meine Tochter hat das zum Glück nicht mitbekommen und wir wurden bisher auch nicht körperlich angegriffen, aber was passiert, wenn es
 schlimmer wird? Damals ist meine Entscheidung gefallen: Ich will hier nicht leben. Dabei versuche ich, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Mit meiner Tochter rede ich auf der Straße nur auf Deutsch. Wenn ich Straßenbahn fahre, achte ich immer darauf, meine Tasche nicht auf den Sitz zu stellen, trotzdem bleibt der Platz neben mir fast immer leer. Es ist eine misstrauische Stimmung hier. Seit drei Jahren habe ich einen Schrebergarten. Im Frühling sagte mir ein Freund im Verein dort, dass er Ärger bekomme, weil ich den Rasen noch nicht gemäht und das neue 
Gemüse angebaut hatte. In anderen Gärten sah es nicht anders aus. Trotzdem würde man ihn nur wegen unseres Gartens ansprechen. »Einfach, weil du Ausländer bist«, hat er gesagt. Immer wieder habe ich überlegt, in Leipzig ein Geschäft zu eröffnen. In Syrien war ich immer selbstständig. Aber hier habe ich Angst, dass etwas passiert, wie ja kürzlich auch in Chemnitz.

kreuzer: Wie unterscheidet sich Ihr Leben hier von Ihrer Vergangenheit in Syrien?Issa: Wir kommen aus einer aufgeschlossenen und sehr säkularen Gegend in Syrien. Wir sind Atheisten, wir essen alles (lacht). Dass wir nicht religiös sind,
war einer der Hauptgründe, warum wir nach Ausbruch des Krieges fliehen mussten. Vorher hatte ich in Homs eine kleine Firma. Die Unterschiede sind nicht groß, trotzdem fühlen wir uns in Leipzig fremd.

kreuzer: Gibt es auch positive Erinnerungen an Leipzig, die Sie mitnehmen?Issa: Wir haben hier viele Freunde gewonnen. Aber die meisten kommen nicht gebürtig aus Leipzig. Eine junge Frau aus München war mit ihrem Freund bei uns im Garten zu Besuch. Sie war geschockt darüber, wie Leute hier über Ausländer reden. Ich denke, dass die Leute hier einfach viel mehr Erfahrungen mit Ausländern machen müssen. Aber ich habe nicht mehr die Kraft dafür, dies zu leisten. Wenn ich die Möglichkeit habe, meiner Tochter eine entspanntere Zukunft zu bieten, muss ich die nutzen.


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