Rechtsextreme Aufkleber, eingeritzte Hakenkreuze an Haltestellen und faschistische Parolen in der Öffentlichkeit: Ein Gastbeitrag über rechte Raumnahme in Kleinzschocher und wie Anwohnerinnen und Anwohner dagegen aktiv werden.
»Unser Land – Unsere Werte«, »I Love HTLR«, »Nazi Kiez«. Sticker mit diesen Botschaften kleben an vielen Stellen in Kleinzschocher – am Dönerimbiss, im alten Güterbahnhof, an Straßenschildern und Regenrinnen. Kleinzschocher, das ist der Stadtteil, der im Osten vom Volkspark begrenzt, im Westen durch eine Bahntrasse eingerahmt und dessen nördliche Grenze die Antonienstraße rund um den Adler ist. Die Antonienstraße scheint auch eine ideologische Grenze zu sein, zumindest was die Inhalte von Aufklebern und Graffiti angeht: Nördlich davon, im Szenekiez Plagwitz, sind linke Botschaften omnipräsent – »ANTIFA AREA« verkündet die Brücke, die beide Stadtteile trennt. In Kleinzschocher und im weiter südlich gelegenen Großzschocher sind hingegen rechte Aussagen auf Graffiti und Aufklebern weit verbreitet.
»Hot Spots« rechter und rechtsextremer Präsenz zeichnen sich vor allem rund um die Getränkemärkte im Viertel ab, wo seit längerem besonders viele rechte Aufkleber und Schmierereien zu finden sind. Zeitweise wurden ganze Straßenzüge mit dem gleichen Stickermotiv beklebt, was auf ein mehr oder weniger organisiertes Vorgehen hindeutet.
Botschaften vom rechten Rand
Die Botschaften variieren dabei in der Art ihrer Aussage und der Härte. So finden sich viele schwarz-gelbe Aufkleber mit Aussagen wie »Deine Heimat – deine Werte«, die von der Identitären Bewegung stammen. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk, das mit medienwirksamen Aktionen vor allem junge Menschen anspricht. Nach außen hin werben sie für »Heimatliebe« und »Patriotismus«, dahinter versteckt sich rechtsextreme Ideologie – seit 2016 wird die Identitäre Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet.
Im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 bestimmten in Kleinzschocher vor allem Aufkleber des Bündnis »Ein Prozent« das Straßenbild. Das Bündnis ist ein Kooperationsprojekt der Neuen Rechten, das rechtsextreme Anliegen und Personen finanziell und organisatorisch unterstützt. Dahinter stehen Mitglieder der AfD und deren Jugendorganisation, der Identitären Bewegung, sowie prominenten Akteuren der Neuen Rechten wie Herausgeber Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer. Ihre Aktionen reichen von der Unterstützung flüchtlingsfeindlicher Proteste über eigene Wahlbeobachtungen der Bundestagswahl hin zu geplanten Siedlungsprojekten auf dem Land im Sinne einer »patriotischen Raumnahme«.
Neben diesen neueren Erscheinungen des rechten Spektrums finden sich auch Aufkleber mit eindeutig neonazistischen Botschaften: »Nazi Kiez« mit durchgestrichenem Logo der Identitären Bewegung, die wohl als zu soft empfunden wird, Aufforderungen für den »Nationalen Sozialismus« einzutreten oder Sticker der Partei »Der III. Weg«. Letztere ist eine radikale neonazistische Partei, die sich als rechte Konkurrenz zur NPD versteht und in »Inhalt und Inszenierung stark auf den historischen Nationalsozialismus bezogen« ist. Häufig sind diese Aufkleber umrahmt von Stickern der Fanszene von Lokomotive Leipzig.
Rechte Raumnahme ohne Widerspruch?
Die verantwortlichen Personen verbreiten ihre Botschaften mitunter auch am helllichten Tag, wie etwa ein junger Mann, der auf einer Strecke von Kleinzschocher bis nach Plagwitz zahlreiche Straßenschilder und Haltestellen mit dem antisemitischen Schriftzug »ANTI ZION« beschmierte. Vielen Bewohnerinnen und Bewohnern Kleinzschochers scheinen die oft menschenfeindlichen Botschaften nicht aufzufallen oder egal zu sein. Viele der Sticker und Schmierereien waren teilweise wochen- oder sogar monatelang im Viertel präsent.
Möglicherweise fühlen sich Anwohner auch eingeschüchtert und nehmen deshalb die rechte Raumnahme hin. Mehrere befragte Personen gaben an, dass ihr Lebensgefühl im Viertel definitiv durch die Präsenz rechter Positionen mitbestimmt werde. Wenn eine Botschaft wie »Nazi Kiez« unwidersprochen an Straßenschildern und Laternen hängt oder wenn rechtsextreme Musik in der Öffentlichkeit gespielt wird, entsteht verständlicherweise ein Gefühl der Bedrohung.
Allerdings blieb es zuletzt nicht nur bei einer gefühlten Bedrohung durch rechte Aggression. Wenn klare Bekenntnisse zum Nationalsozialismus keinen Aufschrei verursachen, scheint auch der Weg zu Übergriffen auf Andersdenkende nicht mehr weit zu sein: So wurden im Sommer 2018 mehrere antisemitische und sexistische Bedrohungen im Viertel dokumentiert. Ende 2017 gab es sogar einen brutalen Angriff auf eine Familie im Kiez.
Vernetzter Widerstand im Stadtteil
Gegen diese Entwicklungen regt sich allerdings auch Widerstand im Stadtteil. 2016 hat sich die Bürgerinitiative »Kleinzschocher wird bunt« gegründet, die mit regelmäßigen Aktionen versucht, auf die rechte Raumnahme aufmerksam zu machen und ihr Paroli zu bieten. Zu einem von der Initiative organisierten Bürgercafé im Sommer 2018 kamen auch Vertreter der Stadt Leipzig und Polizisten aus dem Revier Südwest. Rechtsextreme Aktivitäten und damit einhergehende Bedrohungen in Kleinzschocher schienen den Polizisten und den städtischen Beteiligten allerdings bislang neu zu sein. Für die Zukunft sind weitere Aktionen wie Stadtteilrundgänge und Workshops für Anwohner geplant, bei denen diese lernen können, mit guten Argumenten auf rechtsextreme Aussagen zu reagieren.
Einzelne Anwohner haben sich zudem über Soziale Medien organisiert, um neue rechtsextreme Sticker schnell aus dem Straßenbild entfernen zu können oder diese auch zur Anzeige zu bringen. In den letzten Monaten konnte sich so zumindest das öffentliche Bild ein wenig wandeln: Nur noch vereinzelt sieht man Aufkleber mit rechtsextremen Botschaften im Stadtteil, was auch damit zu tun hat, dass sie mittlerweile viel schneller entfernt werden. Anders sieht es noch im angrenzenden Großzschocher aus: Dort zeichnen noch immer rechte Parolen auf Stickern das Straßenbild – bisher ohne sichtbaren Widerspruch.