3,6 Millionen Euro Plus bei den Fördermitteln: Es ist ein großer Erfolg, den die Leipziger Freie Szene eingefahren hat. Was genau dieser bedeutet, wissen ihre Vertreter aber derzeit noch nicht. An konkrete Antworten zur aktuellen Situation der Freien Szene zu kommen, erwies sich als gar nicht so einfach.
Mit einer über mehrere Monate dauernden Kampagne hat die Freie Szene, also alle nicht stadteigenen Kulturträger und Künstler, Öffentlichkeitsarbeit für sich selbst gemacht, Druck aufgebaut und Politiker überzeugt. Die Unternehmung der Initiative Leipzig plus Kultur namens »Kulturstark« hat sich gelohnt. Im Januar beschloss der Leipziger Stadtrat, den Etat der Freien Szene für das Doppelhaushaltsjahr um 3,6 Millionen Euro zu erhöhen, und entsprach damit der Forderung der Kampagne – ein beachtlicher Aufwuchs der Fördermittel um 61 Prozent. Das ist eine deutliche Anerkennung der Leistung der Kulturszene im Sinne des freien Geistes und der freien Kunst und sendet bundesweit ein Signal. Zusammen mit der im Mai 2017 vorgestellten neuen Fachförderrichtlinie Kultur (s. kreuzer 07/2017) ist damit ein wesentlicher Schritt erfolgt. Alles in Butter?
An konkrete Antworten zur aktuellen Situation der Freien Szene zu kommen, erwies sich als gar nicht so einfach. Der kreuzer hatte alle Spartenvertreter um ihre Einschätzung gebeten, weil sich die Förderlage beispielsweise zwischen bildender Kunst und E-Musik, Literatur und Theater unterschiedlich gestaltet. Das Ergebnis fiel mäßig aus. Mal hieß es, der kreuzer könne froh sein, dass man überhaupt mit ihm spreche. Ein kreuzer-Kommentar, der die utilitaristische Argumentation der »Kulturstark«-Kampagne kritisierte, stieß offensichtlich vielen Akteuren sauer auf. Einige Spartenvertreter wollten sich erst einmal innerhalb ihrer Sparte verständigen und meldeten sich nicht mehr zurück. Andere verwiesen auf den Sprecherrat. Torsten Reitler, kommissarischer Sprecher für die Sparte Musik, antwortete auf kreuzer-Fragen. Die Auswirkungen des Haushaltsbeschlusses auf die Fördermittelzusagen könne er noch nicht abschätzen. Die Kampagne nennt er einen »Meilenstein für Leipzig« mit »Potenzial, die herrschenden prekären Arbeitsbedingungen für freie Kulturmacher deutlich zu verbessern«. Das sei nur möglich gewesen durch eine »langfristige Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Freier Szene«.
Sebastian Weber, Mitglied des Sprecherrates, lobt dieses Dreieck enger Kooperation. Weber traf sich mit dem kreuzer zum persönlichen Gespräch. Er bittet um Nachsicht, dass derzeit nicht jede Sparte mit einem Sprecher vertreten sei – spartenübergreifende Aussagen seien daher auch nicht möglich. Überhaupt habe das unterschiedslose Zusammenhalten aller Sparten den Erfolg der Kampagne ausgemacht. »Vor einem Jahr hätte das keiner für möglich gehalten, auch jene nicht, die auf unserer Seite standen. Das ist ein Paradigmenwechsel, ich sehe da generell ein Umdenken in Deutschland. Man begreift einfach, wie Kultur entsteht, wie wichtig die Freie Szene dafür ist und wie prekär sie arbeitet.« Wissen zu sammeln und zu verbreiten sei daher ein Teil der Kampagne gewesen, erst seit Kurzem werde etwa zur Szene wissenschaftlich geforscht. »Ich würde das gern als Aufbruch in neue Zeiten verstehen. Ob das so ist, wird man erst später wissen.« In Hamburg und Nordrhein-Westfalen seien die Budgets für die Freien Szenen gestiegen, auch auf Bundesebene sieht Weber dahingehend Bewegung. »Leipzig hat da jetzt vorgelegt, da können wir auch ein bisschen stolz sein.«
Mit Politik und Verwaltung werde man weiter im Gespräch sein, sagt Weber. »Das war kein einmaliges Feilschen um mehr Geld, sondern wir sind auf dem Weg zu einem anderen Verständnis von Kultur und ihren Produktionsbedingungen. Selbst wenn es nur darum ginge, Mindestlöhne zu zahlen, hätten wir erst ein Drittel der Mittel erreicht, die wir für Leipzig bräuchten, und noch nichts fürs Land.« Auch sei es trotz der Erhöhung noch nicht möglich, alle Instrumente der Fachförderrichtlinie auszuschöpfen. Darum wünscht er sich ein grundsätzliches Umdenken. »Der Stadtrat hat sich ja deutlich über den Verwaltungsvorschlag von einer Million gestellt.«
Weber betont mehrfach die Zusammenarbeit von Szene, Politik und Verwaltung. »Jede vorhandene Kritik steht da hintan. Es gibt bei uns überhaupt kein Bedürfnis, hier irgendetwas zu bemäkeln. Es gibt bei allen drei das Verständnis, dass es jetzt weitergeht mit der Diskussion.« Es solle keineswegs der Eindruck entstehen, dass die Szene irgendeine Unzufriedenheit artikulieren wollte.Aber natürlich stehen weitere »Herausforderungen« an. »Nun müssen wir darüber sprechen, was wir mit dem Geld machen und wie es mit der Evaluierung der Fachförderrichtlinie läuft.« Diese ist für 2020 geplant. Ein Punkt, der immer wieder zu Diskussionen führt, ist der Verteilerschlüssel zwischen institutioneller und Projektförderung. Institutionelle Förderung betrifft kulturelle Einrichtungen und Festivals, Projektförderung zum Beispiel eine Inszenierung, einen Auftritt, also einzelne Projekte. Letztere sollte, so der Wunsch der Szene, besser berücksichtigt werden. Konkret schlägt die Initiative nach eigenen Berechnungen vor, dass 31 Prozent der Erhöhung der Projektförderung zufallen und der Rest in die Institutionsförderung fließen sollen.Weber sieht gute Hoffnung in der Szene, dass Förderinstrumente wie die Debüt- oder Konzeptionsförderung endlich einmal zur Anwendung kämen. Das sei bisher nicht der Fall gewesen, aber dann könne man ermessen, welche Instrumente sinnvoll seien. »Da geht es jetzt darum, Datenbasis zu schaffen, damit wir evaluieren können, was funktioniert und was nicht. Das ist die nächste Baustelle.« Andere Baustellen seien die Kooperation zwischen Eigenbetrieben und Freier Szene sowie die Einbeziehung der Szene in städtische Großveranstaltungen. Letzteres sei problematisch, weil das Geld für die jährlichen Jubiläen- und Jubelfeste nicht vom Kulturamt, sondern vom Stadtmarketing ausgegeben werden. Bei Clara Schumann habe das für die Szene gut funktioniert, so Weber, beim Runden der Friedlichen Revolution im Oktober sei das »schlimm gescheitert«. »Da gibt es viel Ärger bei allen, die davon betroffen sind.«
Dass mittlerweile veröffentlicht wurde, wer in den jeweiligen Fachbeiräten sitzt, sei eine gute Reaktion der Stadt Richtung Transparenz gewesen. Daher ist das kein großes Thema mehr in der Szene. Um die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Szene zu verbessern, hat das Kulturamt sogar eine eigene Stelle geschaffen, die als Schnittstelle zur Szene dienen soll. Auch das begrüßt Weber. »Natürlich gibt es immer irgendetwas zu kritisieren, aber es hat sich viel getan und die Kommunikation ist gut. Nichts ist wichtiger, als zusammenzusitzen und die Dinge durchzusprechen. Und da ist der Austausch mit den Vertretern im Kulturausschuss und dem Kulturamt gut.« In der Freien Szene kämen einem manche Verwaltungsprozesse noch immer zu langsam vor. »So arbeitet halt eine Verwaltung. Man hat aber nicht mehr dieses Kafka-Gefühl, dass da diese Mauer ist, hinter die man nicht kommen kann.«