Der sächsische Verfassungsschutz kooperiert mit Universitäten. Zuletzt hatte die Nachricht darüber, dass es auch an der Uni Leipzig einen Termin des Rektorats mit dem VS gab, für Wirbel gesorgt. Nun wurde bestätigt, dass das mitunter zu Entlassung von Uni-Mitarbeitern führt. Zwischen 2006 und 2018 sind insgesamt 20 Fälle benannt, in denen der Geheimdienst Informationen an Bildungsstätten weitergab. Nur selten werden die Fälle öffentlich gemacht.
Mischt sich der Verfassungsschutz in die Freiheit der Hochschulen ein, versucht er dort gegen unangenehme Mitarbeiter und Studierende vorzugehen? Zwei Meldungen aus den letzten Wochen ließen bei einigen Menschen diesen Eindruck entstehen: Zuerst flog ein Spitzel des Verfassungsschutzes in Göttingen auf. Er hatte sich dort in der studentischen Selbstverwaltung engagiert. In Leipzig gerieten die regelmäßig stattfindenden Kritischen Einführungswochen ins Visier. Zuerst war es nur ein Verdacht, den die Studenten äußerten, nach mehreren Medienberichten und einigem Aufruhr bestätigte schließlich der Sprecher der Universität Leipzig dem kreuzer: »Ja, es gab einen Termin« – zwischen Rektorin Beate Schücking und dem sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath. Die Folge: eine zwischenzeitliche Absage einiger Veranstaltungen. »Auch wenn sich die Universität Leipzig durch ein persönliches Gespräch mit uns Studenten davon hat überzeugen lassen, die Veranstaltungen doch zu genehmigen, ist es ein Schock gewesen, dass die Universität Leipzig lieber mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeitet, als sich schützend vor uns zu stellen«, sagte Frank Aurich, aktiv bei den Kritischen Einführungswochen, dem kreuzer. Es bleiben Fragen: Sieht der Verfassungsschutz die Universität als Bedrohung an? Engagiert er sich öfter an den Bildungsstätten? Und wie reagieren sächsische Unis auf Interventionen des Inlandsgeheimdienstes?
Das herauszubekommen ist gar nicht einfach. Der Verfassungsschutz ist nun mal ein Geheimdienst und auch die Universitäten sind nicht zur Auskunft verpflichtet, wenn es zu einem Austausch von Informationen kommt. Hinweise finden sich trotzdem – im Bericht des sächsischen Datenschutzbeauftragten. Dieser informiert in regelmäßigen Abständen über seine Arbeit. Im 18. Tätigkeitsbericht beanstandet er, das Landesamt für Verfassungsschutz hätte personenbezogene Daten eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an eine sächsische Hochschule und später an eine nicht-öffentliche Forschungseinrichtung übermittelt. Die jeweiligen Arbeitsverhältnisse wurden beendet und der Mitarbeiter versuche seitdem – erfolglos – herauszubekommen, ob tatsächlich stattgefundene »mündliche Übermittlungen« des Verfassungsschutzes an seine früheren Arbeitgeber die Ursache dafür waren. Während die Speicherungen der Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz vom Gesetz gedeckt seien, musste der Datenschutzbeauftragte hinsichtlich der Übermittlungen der Daten »Versäumnisse und Gesetzesverstöße feststellen«, die »zu handfesten, existenziell bedrohlichen Konsequenzen« für den Betroffenen führten, »ohne dass er irgendwann in die Lage versetzt worden wäre, Rechtsschutz erlangen zu können«.
Ähnliches hat auch Kerem Schamberger erlebt. Der wissenschaftliche Mitarbeiter promoviert derzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München über kurdischen Journalismus. Die Stelle musste er sich erkämpfen. Denn als die Universität ihn einstellen wollte, funkte der Inlandsgeheimdienst dazwischen, nahm sich lange Zeit, um die »Verfassungstreue« von Schamberger zu überprüfen. »Das war tierisch belastend«, erzählt der gebürtige Münchner. »Ich plante damit, eine Stelle anzutreten und ein festes Gehalt zu beziehen. Ich hatte ja auch laufende Kosten. Auf einmal stand ich dann da, ohne zu wissen, ob es klappt.« Von Beginn des Einstellungsprozesses bis zum Antritt seiner Stelle vergingen sechs Monate. Der Verfassungsschutz nahm sich Zeit, Schambergers Einstellung zu überprüfen. Hinzu kam ein Kompetenzgerangel zwischen Universität, dem Inlandsgeheimdienst und dem bayerischen Kultusministerium. »Es war ein Kampf wie David gegen Goliath«, erzählt Schamberger. Dass er die Stelle schließlich antreten konnte, führt der Kommunikationswissenschaftler darauf zurück, dass er seinen Fall öffentlich gemacht hat. Danach hätte es viel Druck auf die Behörden gegeben. Das sei aber nicht für jeden Betroffenen ein gangbarer Weg: »Man steht dann brutal im Fokus«, sagt Schamberger. Seit sein Fall publik geworden ist, melden sich immer wieder Menschen bei ihm, deren Anstellung vom Verfassungsschutz verzögert werde. Dabei geht es nicht nur um Universitäten; auch an Schulen und sogar städtischen Museen hätte es solche Fälle gegeben. Nicht alle machen das öffentlich, viele entscheiden sich dafür, einen anderen Job zu suchen: an einer nicht-staatlichen Einrichtung, wo der Verfassungsschutz keinen Zugriff hat.
Wie viele solcher Fälle gibt es in Sachsen? Enrico Stange fragte nach. Der Abgeordnete der Linksfraktion im sächsischen Landtag wollte von der Staatsregierung wissen, wie viele Male das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten an Hochschulen weitergab. In der Antwort der Staatsregierung werden in den Jahren 2006 bis 2018 insgesamt 20 Fälle benannt. 18 Mal gab das Landesamt Informationen an Universitäten weiter, zweimal an private Forschungseinrichtungen. Selten werden die Fälle öffentlich gemacht, die betroffenen Personen müssen über den Datenaustausch nicht informiert werden. Stange findet es problematisch, dass der Verfassungsschutz die Definitionsgewalt darüber innehält, welche Personen und Gruppierungen sowie welche Auffassungen und Haltungen als extremistisch gelten. »Wegen der daraus folgenden negativen Konsequenzen für die Genannten greift der Verfassungsschutz repressiv ein, was der Trennung in Deutschland zwischen Polizei, Gericht und Verfassungsschutz zuwiderläuft«, resümiert er gegenüber dem kreuzer.
Ob dies demokratisch sinnvoll ist, beantwortet Stange mit einem klaren »Nein«. Anders sieht es Martin Döring. Der Sprecher des sächsischen Verfassungsschutzes verweist im Gespräch mit dem kreuzer darauf, dass es der gesetzliche Auftrag der Behörde sei, gegen extremistische Bestrebungen vorzugehen. Genauso wie die Behörde Kleingartenvereine vorwarnen müsse, wenn Rechtsextremisten sich bei ihnen treffen, um Aktionen zu planen, würde man Universitäten warnen, wenn sich dort Linksextremisten treffen. Wie etwa im Falle der Kritischen Einführungswochen an der Universität Leipzig. Dort seien zwei Gruppen an den Veranstaltungen beteiligt gewesen, die unter den gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes fallen. »Wenn wir Informationen darüber haben, dass Extremisten, zumal gewaltaffine, versuchen, in diese öffentlichen Räume einzudringen, müssen wir natürlich handeln und unserer behördlichen Frühwarnfunktion gerecht werden«, sagt Döring. Das gelte für jede Form von Extremismus: »Würden wir zum Beispiel Kenntnis darüber erlangen, dass in Universitätsräumen nationale kritische Einführungswochen unter Beteiligung von Rechtsextremisten stattfinden sollen, würden wir die Universität ja auch darüber in Kenntnis setzen«. In dem Leipziger Fall sei der Verfassungsschutz auf die Universität zugegangen, meist sei es aber anders herum: »Oft fragen die Universitäten bei uns an. Und wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, dass wir dem Anfragenden Informationen zukommen lassen, dann machen wir das«, sagt der Behördensprecher. Die Anschuldigungen, der Verfassungsschutz würde damit in die Freiheit der Hochschulen eingreifen, hält Döring für schlichtweg absurd: »Entgegen dem verschwörungstheoretischen Geraune haben wir ja gar keine Möglichkeit, Druck auszuüben oder exekutiv zu handeln. Was die Universitäten mit unseren Informationen anfangen, bleibt ihnen überlassen«.
Das Leipziger Rektorat hätte also durchaus anders handeln können, zuerst den Dialog mit den Studierenden suchen können. Wie Hajo Funke. Als Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin hat er Bekanntschaft mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen an den Universitäten gemacht, wie er dem kreuzer erzählt: »Meine Erfahrung war immer, dass es am besten ist, die Dinge mit den Betroffenen selber zu regeln.« Er empfiehlt den Universitäten, einen eigenen Kurs zu fahren und eigene Maßstäbe darüber zu entwickeln, was ein freier Diskurs ist, aber auch eine Grenze zu ziehen dort, wo Hass und Rechtsextremismus anfangen. Der Politikwissenschaftler hat mehrere Bücher über den Inlandsgeheimdienst geschrieben. Ein proaktives Eingreifen durch den Verfassungsschutz »passt nicht zum Klima einer freien Geistesrepublik«, sagt der emeritierte Professor. Er kritisiert: »Der Verfassungsschutz ist für die Frühaufklärung zuständig, er soll nicht exekutiv eingreifen. Es fehlt eine funktionierende Kontrolle. Die Instanzen, die wir zur Kontrolle haben, sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind«.
Parlamentarier fordern derweil in vier kleinen Anfragen Auskunft über die Art des Austausches zwischen Verfassungsschutz und den sächsischen Hochschulen. René Jalaß, Hochschulpolitischer Sprecher der Linken in Sachsen, hat die Anfrage eingereicht. Er hofft zu erfahren, inwieweit das »Landesamt für Verfassungsschutz Menschen und Gruppen an den sächsischen Hochschulen beobachtet, welchen Austausch es mit den Hochschulleitungen darüber gibt und in welchem Umfang das passiert«, sagt er gegenüber dem kreuzer.
Während der Vorfall also inzwischen auch die sächsische Staatsregierung beschäftigt, beginnt die finale Phase der Planungen für die nächste Kritische Einführungswoche. Die Studierenden wollen sich ab April kritisch mit der Gesellschaft und ihren Bildungsinstitutionen auseinandersetzen, wie Frank Aurich erzählt. Ein besonderer Fokus soll dabei auf den Landtagswahlen in Sachsen liegen, bei denen ein weiterer Stimmzuwachs der AfD droht.