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»Eine schöne Entschleunigung«

Wolfgang Hanzl, Besitzer des Fotoladens Studio 80, über Plagwitz, analoge Fotografie und was die Zukunft bringen wird

  »Eine schöne Entschleunigung« | Wolfgang Hanzl, Besitzer des Fotoladens Studio 80, über Plagwitz, analoge Fotografie und was die Zukunft bringen wird

Das Studio 80 in der Walter-Heinze-Straße nahe der Karl-Heine-Straße gehört zu den wenigen Leipziger Fotostudios, die analog und digital arbeiten. Wolfgang Hanzl kennt die Gegend seit den achtziger Jahren. Da qualmten noch die Schornsteine und niemand wäre auf die Idee gekommen, über den Kanal zu schippern.

kreuzer: Sie sind Besitzer des Fotostudio 80: Das klingt nach Fotos auf Fotopapier. Sind Sie das alte Gewissen von Plagwitz oder wie würden Sie sich selbst beschreiben?Wolfgang Hanzl: (lacht) Na, als altes Gewissen von Plagwitz würde ich mich nicht sehen wollen. Ich bin Fotograf, irgendwann war es mal ein ganz normaler Beruf, der mir Spaß gemacht hat, in den ich über Jahre erst hineingewachsen bin. Da die analoge Fotografie damals alternativlos war, ging es halt nur analog, und das Studio 80 ist Anfang des Jahres 1980 gegründet worden.Wir wollten es nicht »Foto Lehmann/Schulze/Meyer« nennen, weil das war irgendwie zur damaligen Zeit ein bisschen altbacken. Außerdem gab es viele solcher Fotostudios, die namensbezogen geführt wurden. Das wollten wir nicht, weil die Dienstleistungs- und Porträtfotografie gar nicht an erster Stelle stand. Für die bevölkerungsbedarfsorientierte Fotografie wurden uns zwei Tage auferlegt. Dienstags und Donnerstags mussten wir für Passbilder und Ähnliches öffnen.Die Hauptaufgabe bestand darin, für die Betriebe und die DEWAG (Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft, staatliche Werbeagentur der DDR, d. Red.) Werbefotos aufzunehmen, Industriefotos oder Dokumentationen von Produktionsprozessen. Die Dienstleistung spielte nur eine untergeordnete Rolle.

kreuzer: Wie kann man sich Plagwitz zu Beginn der achtziger Jahre vorstellen?Hanzl: Hier war alles bewohnt. Es war der Hauch der alten Karl-Heine-Zeit, dass die, die hier gearbeitet haben, im Regelfall hier auch gewohnt haben in teilweise recht schlichten Wohnungen und Häusern. Das sieht man teilweise heute noch oder kann es erahnen.

[caption id="attachment_76015" align="alignleft" width="320"] Wolfgang Hanzl: »Das ist wie manches im Leben: Wenn es
passiert, nimmt man es gar nicht wahr«[/caption]

kreuzer: Was unterschied die damalige Karl-Heine-Straße von der heutigen?Hanzl: Die Karl-Heine-Straße war eine Verkehrsader, die rechts und links bewohnt wurde. Quer über die Straße gingen noch Eisenbahngleise, die die ganzen anliegenden Betriebe versorgten. Das war die Funktionalität, die sich der Karl Heine ausgedacht hat und war so in den Restbeständen spürbar.

kreuzer: Wie kann man die Atmosphäre der Karl-Heine-Straße von damals beschreiben?Hanzl: In der Straße war eigentlich außer dem funktionalen Verkehr nichts los. Es war eine tendenziell leere Straße, wo zwar eine Straßenbahn durchfuhr, aber ansonsten war die nur voll, wenn entweder Schichtwechsel war oder die Leute einkaufen gingen. Einkaufen konnte man hier drüben im Joseph-Konsum. Er hatte ein sehr gutes Angebot. In der Merseburger Straße befanden sich noch ein paar Lädchen, die aber vorrangig der Versorgung zuzuordnen waren. Man kaufte hier regulär das ein, was man zum Leben auch brauchte, und gastronomisch war gar nicht so viel los.Ein tolles, von mir geschätztes Café, das Karl-Heine-Café, ist jetzt ein Tierfuttergeschäft. In diesem Café waren wir sehr oft, als wir im Studio 80 noch gebaut und gebastelt haben, um aus einem sehr desolaten Gewerberaum was halbwegs Brauchbares zu machen. Es war so ein bisschen der kultige Anlaufpunkt.Es gab ein paar richtig prollige Kneipen, in die alle hingingen, um sich nach Feierabend ein Bierchen zu gönnen und ein paar Skatkarten auf den Tisch zu hauen. Sehr proletarisch orientiert, die ganze Ecke.

kreuzer: Nach 1989 wurde Plagwitz immer leerer, dann kam plötzlich der Boom und das in nicht einmal dreißig Jahren. Wie erlebten Sie diesen Wandel?Hanzl: Das ist wie so manches im Leben: Wenn es passiert, nimmt man es gar nicht wahr. Es ist ja nicht so, dass hier irgendeiner kommt und seinen Zauberstab dranhält und sagt »Simsalabim« und dann ist alles schön und anders. Die Prozesse haben ein bisschen gedauert. Manche haben auch nicht funktioniert. Es sollten ja auch Hochhäuser gebaut werden, was ich mir mit Schrecken immer vorgestellt habe. Früher war es ein arbeitsbezogenes Leben hier in der Ecke; ob die Leute alle glücklich waren, ist eine andere Frage, aber irgendwie haben die ihr Leben gelebt.

kreuzer: Heute gilt die Karl-Heine-Straße als Boulevard …Hanzl: Sie ist das Pendant zur Karl-Liebknecht-Straße. Man nutzt eine Tangente, die ziemlich schnurgerade rein- oder rausführt. Man ist der Karli durch die breiteren Fußwege ein bisschen überlegen, was sich bei der ein oder anderen Veranstaltungen schon als sinnvoll erwiesen hat. Möglicherweise ist das eine gute Chance: Bisschen Kultur, Freizeit, der Karl-Heine-Kanal, das war früher ein ziemlich fürchterliches Gewässer. Dass da jemals irgendjemand Boot fährt, war auch nicht unbedingt vorstellbar (lacht).

kreuzer: Damals gehörte das Studio 80 zum produzierenden Gewerbe?Hanzl: Wir hatten in der Josephstraße noch ein Studio, was es heute gebäudetechnisch nicht mehr gibt. Dort haben wir die ganzen wirtschafts- und industriebezogenen Fotos gemacht. Damit war man im Viertel nur ein kleiner Betrieb. Aber wir arbeiteten mit den großen Betrieben zusammen, wie den Leipziger Bekleidungswerken Vestis, dem VEB Schwermaschinenbau S. M. Kirow oder dem VEB Bodenbearbeitungsgeräte Karl Marx.

kreuzer: Wie kamen Sie zum Fotografieren?Hanzl: Ich habe während der Schulzeit schon angefangen, hobbymäßig zu fotografieren. Manches war dem geschuldet, dass damals alles ewig dauerte: Wenn wir von den Schulfahrten wiederkamen und unsere Filme in die Drogerie geschafft haben, dann haben die gesagt: »Gucken Sie mal in acht bis zehn Wochen wieder vorbei.«Es war interessant, einfach mal den Versuch zu unternehmen, das selbst zu praktizieren. Mit einigen Versuchen und viel Improvisationsvermögen sind die ersten Filme entwickelt worden und die ersten eigenwilligen Bilder entstanden. Das war eine gute Basis, verbunden mit dem Spaß an der Verbindung zwischen Fotografieren und diesem damals doch sehr alchemistischen, chemischen Vorgang. Das war ein tolles Gefühl, das man heute gar nicht mehr vermitteln kann.

kreuzer: Studierten Sie an der HGB?Hanzl: Nein, ich fing erst einmal an, eine journalistische Karriere anzustreben, habe in Berlin gearbeitet und bin dann durch private Umstände wieder nach Leipzig und zum Studio 80 gekommen. Meine damalige Frau hatte als Porträtfotografin einen hohen Anteil bei der bevölkerungsbedarfsorientierten Fotografie. Ich habe diese Werbe- und Wirtschaftsfotos gemacht. Das waren Sachaufnahmen, unter anderem für Foron. Das war ein DDR-Betrieb, der vom Topf bis zur Tiefkühltruhe alles Mögliche hergestellt hat. Da hätte ich wahrscheinlich 300 Jahre alt werden können unter den damaligen Bedingungen und hätte immer zu tun gehabt. Das war ein sehr berechenbarer Auftrag über das Jahr, wurde auch angemessen gut bezahlt, sodass man vernünftig gut leben konnte und sich nicht wirklich Sorgen machen musste, ob man den Job dann wiederkriegt, außer man war richtig schlecht.Es gab eine Honorarliste, die wurde staatlich vorgegeben und danach hatten sich alle zu richten. Das fand ich ein interessantes, besseres Maß, um – unter den analogen Bedingungen – gute Aufträge zu realisieren. In der ganzen Zeit bis an die Wende ran habe ich mich über Aufträge nie beklagen können und habe es teilweise nicht mal geschafft, die alle zu realisieren.

kreuzer: Sie sprachen bisher von der analogen Fotografie. Wann begann das digitale Zeitalter bei Ihnen?Hanzl: Erst nach der Wende. Zum Beispiel haben wir unter anderem nach der Wende sieben Jahre die Leipziger Messe presseseitig betreut, mit einem recht hohen Aufwand, und haben das aber analog realisieren müssen und sind durch Umstrukturierungen nicht mehr so viel zum Einsatz gekommen. Zu der Zeit haben wir uns aus Hamburg die erste digitale Kamera geholt und sie mit einem damalig hochmodernen Mac-Rechner ausprobiert. Ich erinnere mich erstens an diese grotten-grausame Qualität. Zum anderen haben wir an die Bundespressestelle in Bonn eine ganze Nacht lang zwei Bilder gesendet, weil die Telefonleitungen das gar nicht schneller ermöglicht haben.

kreuzer: Wie empfanden Sie diesen Wechsel? Was zeichnet für Sie die analoge und was die digitale Fotografie aus?Hanzl: Grundsätzlich ist es eigentlich egal. Wenn man gefordert ist, ein vernünftiges, ordentliches Bild zu machen, ist es piepe, worauf man es belichtet. Aber, der Pferdefuß ist, dass die digitale Fotografie derartig kommerzialisiert und so perfektioniert worden ist.Das war im analogen Zeitalter oft die Hemmschwelle. Deswegen hat man sich den Fachmann geholt. Diese Fachkompetenz wird heute noch hier und da gebraucht. Es gibt Fälle, da nützt die digitale Fotografie nicht unbedingt was, weil man ein bisschen mehr wissen muss – beispielsweise bei Innenaufnahmen mit großen Glasflächen. Es wird oft eine oberflächliche, schnelle Knipserei für irgendeinen Zweck praktiziert, und manchmal merkt man, dass das so nicht geht. Ein Großteil der Leute ist Gott sei dank doch ein bisschen eitel, so dass die dann bei bestimmten Verwendungszwecken auf ein professionelles Foto zurückgreifen.

kreuzer: Kommen heute viele Leute zu Ihnen, die analoge Fotos entwickeln lassen wollen?Hanzl: Ja, es gibt welche, die zum Beispiel vom Opa eine Kamera gefunden haben in irgendeinem Karton, manchmal – interessanterweise – noch mit einem Film drin, den sie dann hier rausmachen lassen und dann sagen: »Entwickeln Sie mal, wir wollen gucken, was da drauf ist.«Das ist die klassische, schöne, bekannte Spannung: Mal sehen, ob was drauf ist, was man ja im Digitalen nicht mehr kennt. Wir brauchen für die analoge Fotografie ein bisschen Zeit, die Filmentwicklung braucht ein bisschen Zeit, die Folgeprozesse brauchen Zeit, ehe man da mal wirklich ein Bildchen in der Hand hält. Das ist nach wie vor eine schöne Entschleunigung.Dann gibt es viele, die vorsätzlich analog fotografieren. Es gibt Leute, die relativ gut bezahlte Jobs haben, die sich professionelle analoge Technik kaufen, inzwischen für wenig Geld, und damit dann schon ganz gute Ergebnisse erzielen. Es ist eine interessante Entwicklung. Wir hängen bloß, was sich grade im Moment darstellt, von unseren Zulieferern ab: Wenn die nicht mehr können und wollen, wird das Ganze sehr gefährlich.

kreuzer: Gibt es noch genügend Unternehmen, die die Chemie und das Fotopapier herstellen?Hanzl: Nee, gibt es nicht mehr. Das ist das Dumme. Der einzige Hersteller ist momentan nur noch Fuji, also ein Monopolist, der in Holland produzieren lässt und augenblicklich der einzige Versorger ist, zumindest von konventionellen Papieren. In der Nähe von Berlin arbeitet noch ein Unternehmen, das im Schwarz-Weiß-Segment ganz gut aufgestellt ist und eine Nische bedient. Aber ansonsten weiß keiner so richtig, wo das hingeht. Es gab ja den interessanten Fall mit Polaroid, die von heute auf morgen weg waren und inzwischen wieder 120 Leute beschäftigen und einen steigenden Umsatz verzeichnen. Keiner ahnt, wo es hingeht.

kreuzer: Werden digitale und analoge Fotografie weiter gemeinsam existieren?Hanzl: Es wird immer eine Frage der Wirtschaftlichkeit sein und wie weit der Nutzer mitgeht. Der Trend geht dahin, dass ein Dia-Film im Einkauf 25 Euro kostet. Den legt man in seine Kamera ein und überlegt wahrscheinlich wirklich 36 Bilder lang, ob man draufdrückt oder nicht. Dann bringt man den belichteten Film in eines der wenigen Labore, die das noch praktizieren, und die werden dann wahrscheinlich auch irgendwas um die 20 Euro aufrufen. Man hat fast 50 Euro investiert, um sich 36 Kleinbild-Dias angucken zu können. Inwieweit das für jemanden interessant ist, ist eine andere Frage, und zum zweiten kommt immer bei der analogen Fotografie auch die chemische Veränderung der Chemikalien im angesetzten Zustand dazu.Ich kann die Chemikalien kein Dreivierteljahr aufheben oder einfrieren und bei Bedarf auftauen. Das ist ja der Witz. Sie müssen benutzt werden. Erst dann sind sie richtig gut. Daran wird die analoge Fotografie wahrscheinlich irgendwann ein bisschen scheitern. Ich will es nicht hoffen, ich darf das auch so nicht sehen.

kreuzer: Papierabzug oder Druck? Ist das die nächste Frage?Hanzl: Ich habe grade vor ein paar Tagen mal wieder die Beobachtung gemacht, dass die modernen Belichter, damit meine ich die Fotografen, die jetzt als solche agieren, dass sie andere Qualitätsansprüche besitzen. Sie haben die Sehgewohnheiten verloren, die zum Beispiel in der analogen Fotografie sehr wichtig waren und von den Nutzern, auch von professionellen Nutzern, noch gefordert waren als Qualitätskriterien, die heute schon teils völlig außer Kraft sind, weil man einfach neue Sehgewohnheiten besitzt. Ein Bild hat heute, vom qualitativen Erscheinungsbild, einen anderen Wert.

kreuzer: Sie sprechen vom Bild und nicht vom Foto? Ist ein Handybild Fotografie oder einfach nur Wischbilder?Hanzl: Bei Handyfotos würde ich sagen, dass da interessante Zufallsprodukte dabei sind. Das ist dem Umstand geschuldet, dass überall schnell draufgehalten wird. Wie bei einem Großteil meiner aktuellen Pressekollegen, die bei Presseterminen ganz viele Fotos machen, und dann von 250 Fotos eins aussuchen, was dann gedruckt wird. Das ist eine andere Herangehensweise. Die Bilderflut, die im Digitalen bis hin zum Handy erzeugt wird, wird natürlich als Endprodukt bei späterer Betrachtung immer mal das ein oder andere, exklusive, super-fetzige Foto hervorbringen.Dann kommt hinzu: Wenn man sich bei einem Foto Mühe gibt, vom Fotografieren bis hin zum Ausarbeiten hinterher, kommen die Zweifel: »Na, da hast du doch mit Photoshop was gemacht!« Es war aber kein Photoshop im Einsatz.

kreuzer: Wie sähe für Sie die ideale Fotografie aus?Hanzl: Ich glaube, die ideale Fotografie gibt es nicht. Erstens: Wenn man in die Geschichte der Fotografie schaut, dann ist es ja erst einmal nur das Festhalten von einem Moment, der wichtig oder scheinbar wichtig ist, bis dahin, dass man heutzutage vielleicht etwas darüber verkaufen oder darstellen will. Es ist ja so ein Mischmasch aus handwerklicher Dienstleistungsfotografie, die heute auch viele Quereinsteiger betreiben. Ab und zu wird einfach mal was Tolles entstehen und das ist, finde ich, auch das Faszinierende an der Fotografie. Das Tolle war in der analogen, professionellen Ära, dass es einem als Berufsfotograf eher abgenommen und honoriert wurde, wenn man mal wirklich was Tolles zustande gebracht hat. Heute ist es eben eher so, dass durch die digitale Fotografie auch der materielle Wert vom Foto dramatisch runtergefahren wird. Vom Auftraggeber wird einem, im Regelfall, bis auf wenige Ausnahmen, gesagt: »Für das bissel Pillepalle kriegst du 50 Euro.« Da kannst du schon froh sein, dass du das kriegst, weil es ist ja nichts außer einem Foto. Das ist natürlich ein bisschen deprimierend, wenn man das andere mal erlebt hat.

kreuzer: Besitzen Sie einen Lieblingsfotografen?Hanzl: Es gibt in jedem Genre tolle, engagierte Leute. Das Wesentliche ist, dass man mit Freude und Engagement an die Fotografie rangeht, und da ist das Damoklesschwert immer das wirtschaftliche Überleben. Da ist es immer toll, entweder man hat einen Haufen Kohle und kann dann nebenbei fotografieren, ganz geniale Voraussetzung, oder man macht irgendwas anderes, wie viele meiner Semi-Profis, die Zahnärzte oder Betriebsdirektoren sind, die nebenbei fotografieren und einfach Zeit für das schöne Bild haben. Das ist natürlich ein Idealfall.


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