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Macht und Banalität

Wie Runde-Ecke-Chef Tobias Hollitzer das Erbe des Leipziger Herbstes verspielt

  Macht und Banalität | Wie Runde-Ecke-Chef Tobias Hollitzer das Erbe des Leipziger Herbstes verspielt

In keinem anderen Museum von Bedeutung hätte ein Mann wie Tobias Hollitzer auch nur den Hauch einer Chance auf einen Leitungsposten. Und doch ist er Chef der Stasigedenkstätte Runde Ecke in Leipzig, eines zentralen Ortes der Erinnerung an DDR, Diktatur und den Herbst 89. Wie kann das sein?

»Hollitzer muss weg!« Immer wieder begleitete diese Forderung die Recherche zu dieser Geschichte. Nur im Ton leicht variierend erklärten viele Angesprochene Tobias Hollitzer für untragbar als Chef des Museums in der Runden Ecke. Solche Einschätzungen kamen aus der Runden Ecke selbst, aus der Politik und der Verwaltung. Nur mit Klarnamen wollte niemand zitiert werden. Zu groß ist der Respekt – oder die Angst – vor der Macht des Museumschefs. Man müsse ja auch in Zukunft irgendwie miteinander klarkommen, war als Begründung oft zu hören. Hollitzer sei ein herrischer Charakter, der gern einmal herumschreit, heißt es. Jenseits seiner zweifelhaften Personalführung, die mit Verdächtigungen und Überwachung operieren soll, bemängeln Kritiker eine einseitige Geschichtsvermittlung in der Runden Ecke, die auf erinnerungspolitische Deutungsmacht abzielt. Sie bezweifeln Hollitzers historisch-didaktische Kompetenz und stoßen sich am als anmaßend wahrgenommenen Auftreten gegenüber der Stadt Leipzig und ihren Vertretern.

Person und Institution lassen sich in dieser Hinsicht nicht klar trennen, weshalb Tobias Hollitzer und die Runde Ecke gemeinsam Betrachtung finden müssen. Das größte Problem liegt im System der Runden Ecke selbst: Es ist ein Laienmuseum, geführt von Menschen, die persönlich involviert waren in die Vorgänge, über die sie informieren, die sie einordnen sollen. Dies erklärt sich aus der Geschichte des Museums – und vielleicht war es ein paar Jahre lang auch gut so. Das Gedenken an Stasi, DDR, Diktatur, den Herbst 89 ist wichtig – erst recht in Zeiten, in denen die Demokratie wieder in Frage gestellt wird. Diese Wichtigkeit spiegelt sich beispielsweise auch in der Finanzierung der Runden Ecke wider. Neben umfangreichen Mitteln der Stadt Leipzig erhält das Museum Förderung des Landes Sachsen und des Bundes. Das Museum in der Runden Ecke bekommt Mittel aus dem bundesweiten Gedenkstättenförderprogramm, ohne dass eine externe Expertenkommission die Ausstellung begutachtete.

Eine Gedenkstätte, ein Museum von dieser Bedeutung sollte von Experten, von Historikern, Museumsdidakten, Zeitgeschichtlern geleitet werden. Denn mit Laien und Zeitzeugen gibt es ein Problem. Sie sind persönlich involviert, oft politisiert, finanziell abhängig von ihrem Thema und ihren Posten, unqualifiziert und neigen im schlimmsten Fall auch noch zur Selbstheroisierung. Wer Teil dieser Geschichte war, hat es sehr schwer, angemessen über Zeitgeschichte zu informieren. Tobias Hollitzer ist kein Profi und verhält sich auch nicht so – noch dazu hat er seinen Posten in einem fast dynastischen Akt von seiner Mutter übernommen.

Auch dies ist ein Vorgang, der unprofessionell wirkt und außergewöhnlich ist, undenkbar beispielsweise, dass der Chef eines anderen wichtigen Museums seinen Posten an den Sohn übergibt. In der Runden Ecke war das möglich. Die Hollitzers wurden aus den Umbrüchen von 89 heraus in eine machtvolle Position gespült, für die sie nicht qualifiziert waren und für die es keine funktionierende demokratische Kontrolle gab.

In ihrer Studie über Erinnerungsorte hält die Historikerin Carola S. Rudnick für Leipzig fest: »Dies hatte primär zur Folge, dass die Geschichtsaufarbeitung in der ›Runden Ecke‹, die von vornherein politisiert war, nicht nur ausschließlich einen delegitimatorischen Charakter besaß, sondern zusätzlich zu Selbstheroisierung und vermehrt zu Verklärungen neigte.«

Im Fokus stehen die Art und Weise, wie Hollitzer sich als Erbe der Revolution inszeniert und eine Politik der Stasi-Gedenkstätte fortführt, die in die Erpressung der Stadt hinsichtlich ihrer Stellung als Wiege der Wende mündet. Denn die Stadt ist auf die Gedenkstätte angewiesen, die ihr wie ein manifestiertes Zertifikat die historische Bedeutung als »Heldenstadt der Friedlichen Revolution« ausstellt. Und nicht zuletzt entfaltet die Runde Ecke einige Wirkung, wenn sie jährlich rund 130.000 Besuchern ein einseitiges Geschichtsbild vermittelt.

Ein Wespennest

Die Geschichte dieser Recherche beginnt mit einer Mitteilung des Kulturamtes vor einem Jahr. Darin heißt es: »Die Stadt Leipzig hat großes Interesse an einer zeitgemäßen und ansprechenden Darstellung der Ereignisse, die zur Friedlichen Revolution im Herbst 1989 geführt haben.« Die Stadtverwaltung gab der Runden Ecke die Zusage, zum 30. Jubiläumsjahr 2019 die Modernisierung der Sonderausstellung »Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution« zu unterstützen. Diese hatte die Runde Ecke vor zehn Jahren im ehemaligen Stasi-Kinosaal im Schulmuseum nebenan aufgebaut. Großen Wert legt das Kulturamt auf eine »wissenschaftlich fundierte« Darstellung. Ein Jahr danach wollte der kreuzer nachhaken, wie es um die Modernisierung der Schau steht. Immerhin reichte die Stadt dem Museum in den letzten Haushaltsjahren jeweils 150.000 Euro aus. Die Nachfragen stachen in ein Wespennest, in dessen Zentrum Tobias Hollitzer steht.

Da gibt es zum Beispiel den in der Sache kundigen Marian Lange, ein Insider, der selbstverständlich anders heißt.* Lange über Hollitzer: »Eine Person, über die wir relativ wenig wissen, trägt hier die Geschicke der gesamten Gedenkstätte. Sie agiert selbstherrlich, prägt den Ort mit ihren eigenen Ansichten, ohne dass das kritisiert werden darf. Diese Art der Geschichtsvermittlung und Erinnerungskultur ist höchst problematisch.« Gerald Krauss, ein zweiter Insider, der seinen wahren Namen lieber nicht öffentlich nennen will, fragt: »Warum sagt die Stadt nicht: ›So, mein Guter, haste wieder nichts gemacht – nun ist Schluss‹?« Immer wieder ließen sich Politik und Verwaltung auf der Nase herumtanzen.

Gern hätte der kreuzer mit Tobias Hollitzer gesprochen und ihm die Gelegenheit eingeräumt, zu den vielfältigen Vorwürfen Stellung zu nehmen, sie zu entkräften oder zu diskutieren. Jedoch reagierte er wochenlang weder auf E-Mails noch Anrufe. Mal wussten seine Mitarbeiter von nichts, dann war er nicht im Hause oder man nahm gar nicht erst ab. Kurz vor Drucklegung dann die Nachricht vom Chef selbst: Man stehe für ein Gespräch nicht zur Verfügung. Auch das ist ein typisches Manöver von Tobias Hollitzer: bei Kritik abtauchen und darauf vertrauen, dass alles so bleibt, wie es ist.

 

Karriere als Zeitzeuge

Hollitzer wird 1966 in Leipzig geboren. Sein Vater Siegfried war bei der Jüdisch-Christlichen Arbeitsgemeinschaft in der evangelischen Kirche beschäftigt. Die Mutter Irmtraut, eine Pfarrerstocher, Buchbinderin und ausgebildete Sängerin, ist 1989 Gründungsmitglied des Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit Leipzig. Im Jahr 2000 übernimmt sie die Leitung des Stasi-Museums Runde Ecke, das vom Verein Bürgerkomitee getragen wird – und gibt sie sieben Jahre später an ihren Sohn Tobias ab.

Hollitzer junior bezieht seine Autorität aus seiner Biografie als Revolutionsheld, obwohl konkrete Informationen über seine Rolle im Herbst 89 rar sind. Sein 10.-Klasse-Abschlusszeugnis – 43. POS, Max-Planck-Straße – aus dem Jahr 1982 bescheinigt ihm sehr gute Noten, auch in den Fächern Staatsbürgerkunde und Einführung in die sozialistische Produktion. »Er beteiligt sich rege an Diskussionen«, lautet die Beurteilung, »äußert offen und ehrlich seine Meinung. Lobenswert ist seine ständige Bereitschaft zur gesellschaftlich-nützlichen Tätigkeit. Aktive gesellschaftliche Arbeit leistet er im Timurstab der Schule.«

Aufgrund seiner kirchlichen Bindung erhält Hollitzer, so seine Selbstauskunft, keine Zulassung zum Abitur. Er ist als Möbeltischler tätig, engagiert sich in Umweltgruppen. Im Juni 1989 half er mehreren Quellen zufolge mit der Gestaltung von Flugblättern und einer Ausstellung bei der Organisation des Pleiße-Gedenkmarschs. Zu der Besetzergruppe der Runden Ecke – ob die Stasi tatsächlich besetzt wurde oder sich besetzen ließ, ist nicht eindeutig geklärt – stieß er später. In der Nacht jenes 4. Dezember 1989 stand Hollitzer zwar vor den Toren der Leipziger Stasi-Zentrale, als andere Bürgerrechtler bereits drin waren – kam aber nicht hinein. Er ging dann in die Kreisdienststelle Leipzig-Stadt in der Gustav-Mahler-Straße 1 und protokollierte gemeinsam mit Ilona Weber und Christian Hönemann die Situation vor Ort. Der taz gab Hollitzer 2004 zu Protokoll, wie »elektrisiert« er an jenem Abend der Besetzung war. Ein Offizier habe ihm zugeflüstert: »Herr Hollitzer, der Raum hier enthält das Geheimste des Geheimen.«

 

Geschichtsvermittlung mit dem Pritt-Stift

Mit dieser Biografie im Rücken wird er Stasi-Archivbeauftragter für den Bezirk Leipzig mit Volkskammerauftrag. Von 1991 bis 2007 ist Hollitzer Sachgebietsleiter und stellvertretender Außenstellenleiter der Stasi-Unterlagenbehörde (BStU) in Leipzig. Als er die Behörde verlässt, übernimmt er die Runde Ecke, die zuvor seine Mutter Irmtraut leitete. »Es wird kolportiert, dass Hollitzer bei der BStU wegen Unfähigkeit entlassen wurde und quasi als Abfindung die Leitung der Runden Ecke bekam«, sagt Marian Lange. Andere vertrauenswürdige Quellen berichten, es habe Ärger gegeben, weil Hollitzer BStU-Material »zweitverwertet« und zweckentfremdet haben soll.

Die Runde Ecke wird vom Verein Bürgerkomitee Leipzig geführt – ist also, abgesehen von der Finanzierung, dem Zugriff der Stadt entzogen. Mutter Hollitzer sei bis heute sehr präsent, erzählt Lange. Sie geistere ohne offizielle Funktion herum, nerve das Personal und nötige Passanten, Führungen und Veranstaltungen zu besuchen. »Das Ausstellungskonzept erschöpft sich seitdem darin, dass Hollitzer mit dem Pritt-Stift durchläuft. Was herunterfällt, wird wieder angeklebt. Es gibt fähige Leute in der Runden Ecke, die lässt er aber einfach nicht zum Zug kommen. Da gibt es kein gemeinsames Entwickeln. Die Mitarbeiter sollen funktionieren, während er den großen Chef heraushängen lässt«, sagt Lange. Üblich seien abwertende Sprüche über »Frauen mit Doktortitel«. Seine autoritäre Kontrolle reicht bis zum Durchwühlen von Papierkörben, ist zu hören. Lange übt grundsätzliche Kritik an der Art der Gedenkstättenführung. »Hollitzer ist nicht besonders stressresistent, keine Führungspersönlichkeit.« Er hänge stundenlang tatenlos im Büro rum, um »dann am nächsten Tag die Leute mit unerledigten Arbeiten unter Stress zu setzen. Ist der Druck zu groß, dann wird er laut.« Auch Zuverlässigkeit sei nicht seine Stärke: »Er lässt selbst den Oberbürgermeister oder andere wichtige Persönlichkeiten bei verabredeten Terminen schon mal eine halbe Stunde warten.«

 

Revolutionär mit Wagenburgmentalität

Gerald Krauss berichtet dem kreuzer vom weiteren Wirken von Irmtraut Hollitzer. »Sie weiß schon, dass ihr Sohn nicht in der Lage ist, die Gedenkstätte zu leiten. Als Mutter nimmt sie ihn in Schutz, übernahm Termine, die er nicht erfüllen wollte.« Laut Krauss bestimmt Tobias Hollitzer nach speziellen Regeln, wer Zeitzeuge ist und wer nicht. Zeitzeugen müssten in sein System der Konfliktunfähigkeit und Kommunikationslosigkeit passen. Wer gegen Hollitzer ist – ist gegen die Revolution, fasst Krauss die Einstellung des Museumschefs zusammen. Er hält die fehlende Kommunikation in der Runden Ecke für ein grundsätzliches Problem. »Auf einer Mitarbeiterversammlung zur Lage des Hauses hielt Hollitzer ein Referat und Ende.« Krauss attestiert Mutter und Sohn Hollitzer eine Scheuklappenmentalität: Über Probleme werde nicht gesprochen, Kritik dürfe nicht vorkommen. »Gedanken von anderen Menschen existieren für sie nicht – und sich dann als Bürgerrechtler hinstellen, das empfand ich als untragbar.« Er erhielt eine Abmahnung, weil er Hollitzer im Beisein eines Filmteams nicht angemessen gegrüßt habe, erzählt Krauss.

Krauss berichtet vom Ausschneiden von Zeitungsartikeln über die Arbeit der Gedenkstätte, die dann in Ordnern abgeheftet wurden. Im 21. Jahrhundert stellt die Kulturtechnik des analogen Archivs jenseits einer verschlagworteten Datenbank nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dar. Krauss, dem die Bild vorgesetzt wurde, kritisierte die Medienauswahl. Hollitzers Antwort: »Linke Zeitungen kommen mir nicht ins Haus.« Diese Aversion gegenüber Links drücke sich auch darin aus, dass ihm Oberbürgermeister Burkhard Jung nicht geheuer sei. Als Mitglied der SPD sei der ja ein Roter. Solcherart persönliche Befindlichkeiten hält Krauss in Museen, die der objektiven Wissensvermittlung dienen sollen, für einen schlechten Kompass (siehe dazu auch das Interview auf Seite 24). Krauss’ Bericht zufolge ignoriert Hollitzer regelmäßig Fristen für Anträge und Konzepte – ohne Konsequenzen zu spüren.

 

Too big to fail

Tatsächlich verpasste das Bürgerkomitee die Frist für die Abgabe des Antrags auf Kulturförderung für 2019, wie die Stadt auf Nachfrage mitteilt. Normalerweise bedeutet dies das Ende der Förderung. Auf ihrer Website informiert die Stadt potenzielle Antragsteller unter der Frage »Welche Möglichkeiten gibt es, wenn ich die Frist verpasst habe?« deutlich: »Leider keine. Die Fristen sind verbindlich und müssen eingehalten werden.« Nicht so bei der Runden Ecke. Nachdem kein Antrag eingegangen sei, habe man die Runde Ecke informiert, berichtet das Kulturamt, woraufhin der Antrag vom Geschäftsführer persönlich vorbeigebracht wurde. Dieser versicherte schriftlich, den Antrag rechtzeitig in die Post gegeben zu haben. Nachgeprüft werden konnte das nicht. Anschließend prüfte die Stadt »umfassend«, ob der Antrag doch noch ins Förderverfahren aufgenommen werden  kann – schließlich hatte man im Stadtrat ja gerade beschlossen, die Fördersumme auf 150.000 Euro anzuheben. Am Ende bekam die Runde Ecke das Geld, laut Kulturamt aus zwei Gründen. Erstens: »Die Summe stand aufgrund des Ratsbeschlusses nicht für die finanzielle Förderung anderer Anträge zur Verfügung.« Und zweitens: »Das Museum in der Runden Ecke und dessen Träger sind für die Stadt Leipzig und daüber hinaus von besonderer Bedeutung. Im Jahr 2019 jährt sich der 9. Oktober 1989 zum 30. Mal. Die Arbeitsfähigkeit der Einrichtung soll nicht gefährdet werden.« Die Runde Ecke war für die Stadt im Jubiläumsjahr too big to fail. »Hollitzer versteckt sich hinter der Revolution, herrscht über seine Ecke«, meint Krauss. »Zeit wirds, dass die Gedenkstätte in die Leitung von Wissenschaftlern übergeht.«

 

Authentizität und Macht

Hollitzers Macht leitet sich davon ab, dass er sagen kann, dabei gewesen zu sein. Das erkennt man gut am Umgang vieler Medien mit ihm. Sie lieben Zeitzeugen, auch dank der jahrelangen Arbeit des TV-Historikers Guido Knopp. ZDF-Moderator Knopp schob Sekretärinnen und anderes Personal vor die Kamera, damit sie etwas »Authentisches« über die NS-Zeit oder Hitlers Privatleben sagen. Sie waren ja schließlich dabei. Historiker nennen diese effektheischende Methode, die auf die historisch-kritische Einordnung der Zeitzeugenaussagen verzichtet, »Knoppismus«. Ähnlich geschieht es im medialen Umgang mit – nicht nur – Tobias Hollitzer.

Mit seinem »Dabeigewesensein« bezeugt er die Echtheit seiner Darstellung und Deutung. Das macht sein symbolisches Kapital aus. Für die Medien wird er zugleich zur Ikone für die Ereignisse 89. Das ist nicht nur problematisch für das vermittelte Geschichtsbild, sondern entwickelt ein Machtverhältnis. In Leipzig kommt man nicht vorbei an Hollitzer und der Runden Ecke, wenn es um den Mauerfall geht.

Durch das Authentizitätsgebot des Ortes erfolgte, berichtet Krauss, weder eine Sanierung des Museums, noch sah er jemals eine Putzkraft in den Räumen. Der LVZ erklärte Museumschef Hollitzer 2016: »Wir haben keinen Zweifel daran, dass die Räume so authentisch bleiben müssen. Auch die Besucher, die wir befragt haben, sehen das so.« Marian Lange bestätigt das: »Die Ausstellung gilt ihm als authentisch und nach wie vor als gültig, obwohl sie nach fast dreißig Jahren dringend einer Kommentierung bedürfte.«

Hinzu kommt die moralische Autorität, die lange mit dem Begriff »Bürgerrechtler« mitschwang – und die Hollitzer jahrelang ausfüllte. Auch daraus folgt ein Machtverhältnis gegenüber Kritikern, vor allem denjenigen, die offenbar keine Bürgerrechtler sind. Erst seit Kurzem, seit dem Aufkommen von AfD und Pegida, wird klar, dass Bürgerrechtler nicht unbedingt gleich Demokrat ist. Und tatsächlich fiel auch Hollitzer in den letzten Jahren immer wieder durch Äußerungen auf, die von einem ganz bestimmten Demokratie- und Moralverständnis geprägt waren.

 

Destruktive Gremienarbeit

Das seltsame Gebaren, seinen Auftritt als Diva, pflegt Hollitzer auch außerhalb der Runden Ecke. So kam es in der Initiativgruppe »Tag der Friedlichen Revolution«, dem Dachorganisator des Leipziger Lichtfestes, immer wieder zu Querelen. Hollitzer war hier Sprecher, legte das Amt aber im Juni 2017 nach internen Spannungen nieder. Zwar sollten diese nicht nach außen dringen, aber die persönlichen Zerwürfnisse waren derart massiv, dass sich nichts deckeln ließ. So schreibt Rolf Sprink, ehemaliger Leiter der Volkshochschule, in einem offenen Brief von Hollitzers »immer selbstherrlicher ausgeübten Sprecherfunktion«. Für scheidende Sprecher sieht die Geschäftsordnung eine Stellvertreterposition vor. Dass die Gruppe Hollitzer diese Funktion verwehrte, war ein klares Signal dafür, dass das Gremium ihn nicht mehr wertschätzte. In dem Moment begann, so berichtet Sprink, Hollitzers destruktive Gremienarbeit.

Selbstherrlich gab sich der Museumschef auch bei der Beiratswahl des Lichtfest-Kuratoriums im November 2018. Er meinte wohl, er sei automatisch gesetzt. Als er nicht gewählt wurde, nannte er das Verfahren »undemokratisch«. Dass die Wahl satzungsgemäß erfolgte, interessierte ihn offenbar wenig. Im Nachgang taten sich in der Runde derartige Verwerfungen auf, dass vom Rausschmiss die Rede war. Es hieß, einige Beiratsmitglieder hätten beschlossen, Hollitzer aus dem Gremium zu entfernen – was der Beirat in einer öffentlichen Positionierung bestritt. Doch bleiben die nach außen gesickerten Vorwürfe, Hollitzer habe die Arbeit des Beirats delegitimiert und behindert. Rolf Sprink ist verwundert, wie sich »gekränkte Eitelkeit kontraproduktiv Luft machen kann«: »Ein fataler Fall ist Tobias Hollitzer. Weder inner- noch außerhalb der Initiativgruppe ›Tag der Friedlichen Revolution‹ lässt er Gelegenheiten aus, ihr … zu schaden.«

 

Ärger mit dem Nachbarn

Auch mit dem benachbarten Schulmuseum liegt Hollitzer im Clinch. Dieser betrifft die Nutzung des ehemaligen Stasi-Kinosaals, der im vierten Stock des Schulmuseums liegt. Hier wird ebenjene Sonderausstellung »Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution« gezeigt, die die Stadt Leipzig seit einem Jahr zu gern modernisiert hätte und dafür auch bezahlen will. Das Schulmuseum möchte den Saal auch nutzen, versuchte 2016 seine Räumung zu erzwingen. Hollitzer gab nicht nach, worauf der Museumsbeirat mit einem offenen Brief reagierte: Der Runde-Ecke-Chef schlachte die Friedliche Revolution für seine Zwecke aus. Den Brief unterzeichnete unter anderem Ulrich Brieler, Referatsleiter für Wissenspolitik im Rathaus.

»Ohne Rechtsgrundlage« nannte Stadtsprecher Matthias Hasberg die Duldung der Ausstellung im Kinosaal vor drei Jahren gegenüber der Ostthüringer Zeitung. Bereits 2012 forderte der Stadtrat das Bürgerkomitee zur Freigabe der Räumlichkeiten auf, wie es ursprünglich vereinbart war. Die 2009 eingerichtete Schau hätte längst abgebaut sein müssen, damit Schulmuseum und Runde Ecke den Saal im Wechsel nutzen können. Dass das Bürgerkomitee einen demokratischen Stadtratsbeschluss ignoriert und damit durchkommt, ist ein bemerkenswerter Vorgang.

 

Deutungshoheit über die Demokratie

Tobias Hollitzer erweckt insgesamt den Eindruck, Demokratie nur dann gut zu finden, wenn sie seiner Lesart entspricht. An der Ausrichtung des Lichtfests beklagte er – womit er nicht allein ist –, dass aktuelle Entwicklungen wie Proteste gegen den Rechtsruck oder Flüchtlingspolitik unterm Dach des Lichtfests verhandelt werden. »Ich kann nicht alles, was irgendwie mit Demokratie oder demokratischem Zusammenleben zu tun hat, in das Lichtfest und in die Erinnerung an die friedliche Revolution packen«, erklärte er der Nachrichtenagentur EPD. Der 9. Oktober sei kein Anlass, »um aktuelle politische Botschaften unters Volk zu bringen oder die Ereignisse von vor 30 Jahren ins Heute zu ziehen«. Sitzblockaden gegen Legida seien nicht mit den Ring-Demonstrationen von 89 zu vergleichen, weil damals Protest verboten und gefährlich gewesen sei. Beim Lichtfest sieht er nur einen Fokus: »Es geht um die Einmaligkeit des Ereignisses der friedlichen Revolution. Es geht darum, sich immer wieder deutlich zu machen, was damals, friedlich, möglich gewesen ist.«

Was die Vergangenheit und das Gedenken dem Menschen für die Zukunft aufgeben können, ist eine viel diskutierte Frage. Die Antwort für seine Person scheint Hollitzer allerdings schnell parat zu haben. So beansprucht er nicht nur die Deutungshoheit für 89 und zieht daraus Legitimation, sondern zeigt sich bezüglich der Gegenwart mit bemerkenswerten Ansichten. Dass er die Totalitarismustheorie vertritt, ist nicht überraschend. Daraus resultiert unter anderem die Extremismusformel: Sie setzt jenseits empirischer Befunde Rechts und Links gleich und behauptet, selbst eine neutrale und damit demokratische Mitte einnehmen zu können. Entsprechende Veranstaltungen fanden in der Runden Ecke statt.

Auf einem Bürgerforum im Volkshaus im Dezember 2016 fragte Hollitzer laut LVZ: »Wo sind die Mahnwachen vor den Wohnungen der AfD-Abgeordneten, die in Leipzig verwüstet wurden? Wo ist die Reaktion der Bürgerschaft auf die Verwüstung der Wohnung eines Fans des Fußballvereins Lok durch Gewalttäter?« Dass es sich bei dem Lok-Fan um einen bekannten Rechtsextremen und Ex-Legida-Chef handelte, erwähnte Hollitzer nicht. Bezüglich der Legida- und Pegida-Aufzüge verwahrte sich Hollitzer, da war er ganz Revolutionswächter, gegen die Vereinnahmung der Montagsdemonstrationen. Aber er warb um Verständnis und Gesprächsbereitschaft: »Man muss dann natürlich auch bereit sein, gemeinsam mit anderen darüber zu sprechen, wie die wahrgenommenen Missstände oder die Unzufriedenheiten geändert werden können«, sagte er der Deutschen Welle. Ein von Hollitzer mitverfasster offener Brief anlässlich des Legida-Geburtstags im Januar 2016 verurteilt vorrangig den ausgemachten »organisierten linksterroristischen Untergrund«, der sich in der Stadt »etabliert« habe. Jeder Hinweis auf Gewalt seitens der Legida-Teilnehmenden gegenüber Journalisten und Gegendemonstranten fehlte.

 

Wächter der »Heldenstadt«

Zwischen Privatmeinung und öffentlicher Rolle ist bei Tobias Hollitzer oft schwer bis nicht zu unterscheiden. Er ist als Kopf der Runden Ecke zudem Hüter des Etiketts »Heldenstadt«, zu der erklärte Christoph Hein Leipzig auf der Demonstration in Ost-Berlin am 4. November 1989, vier Wochen vor Besetzung der Runden Ecke. Hierin kann man einen weiteren Grund vermuten, warum Hollitzer immer wieder mit seiner Art und Weise durchkommt, ihm öffentlich kaum widersprochen wird. Denn Leipzig braucht das Museum aus Legitimationsgründen – und fürs Marketing. Die Engführung der dortigen Darstellung, dass das Ende der DDR von Leipzig aus mit den Montagsdemonstrationen und der Stasi-Erstürmung eingeläutet wurde, kommt der Stadt und ihrer Vermarktung zupass. Der Verweis auf den historischen Ort macht die Runde Ecke besonders wertvoll.

Die Fokussierung auf die Bürgerbewegung als Einzelursache hebt die Bedeutung Leipzigs hervor, die maßgeblich auf der Sicht und der Interpretation der Revolutionswächter beruht. Die Stadt ist auf diese als Testimonials, Werbebotschafter, angewiesen. Und das scheinen Hollitzer und die Seinen zu wissen und können damit Druck ausüben. Mit der Warnung, an die Öffentlichkeit zu gehen, richtete das Museum in der Runden Ecke schon 2002 an den damaligen Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee die kaum verhohlene Drohung: »Wenn Leipzig sich weiterhin öffentlich als ›Stadt der Friedlichen Revolution‹ positionieren will, ist die beantragte Summe für unsere Gedenkstättentätigkeit und politische Bildungsarbeit unabdingbar nötig. Sollte sich die Stadt weigern, die ›Runde Ecke‹ als ein wichtiges Symbol des Herbstes 89 in angemessener Form zu unterstützen, sähen wir uns gezwungen, Leipzig das Recht abzusprechen, sich als ›Stadt der Friedlichen Revolution‹ zu bezeichnen ...«

Weil bisher alle anderen Deutungen von 89, gerade die differenzierten, in Leipzig erfolgreich weggebissen wurden, kann die Runde Ecke ihren Status behaupten. »Die unterdrückten Bürger nahmen den einst Mächtigen ihre schärfste Waffe – das Herrschaftswissen. Sie holten sich ihre Würde zurück und ermöglichten für die Zukunft eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte.« Hollitzers Worte lassen sich schwer ohne Selbstbezug interpretieren. So werden seit 1990 Kämpfe ausgetragen, die nicht nur die Anerkennung der noch heute hier agierenden Bürgerbewegten aushandeln sollen. Bei der Wahrung des Status als nationale Gedenkstätte geht es in der Runden Ecke nicht zuletzt um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Und Leipzig, da es sich als »Stadt der Friedlichen Revolution« etablierte, macht sich von dieser vereinsgeführten Gedenkstätte abhängig. Aus diesem Pakt konnte sich die Stadt bisher offensichtlich nicht lösen und die Geschichtslaien am Dittrichring spielen seit 30 Jahren ihren Bonus aus.

 

Modernisierung bleibt aus

Bleibt die abschließende Frage nach der Modernisierung der Sonderschau. Laut kreuzer-Quellen findet eine solche nicht statt, es werde kein Konzept erarbeitet. Kulturamtsleiterin Susanne Kucharski-Huniat schreibt auf kreuzer-Anfrage: »Das Museum in der Runden Ecke ist mehrfach durch die Stadt Leipzig aufgefordert worden, die Sonderausstellung zu überarbeiten.« So soll »die Ausstellung am jetzigen Standort im Kinosaal des Saalbaus überarbeitet und verkleinert werden, auch um eine bessere Nutzung des Saales für Veranstaltungen zu ermöglichen. Dem Bürgerkomitee Leipzig e. V. ist für die Überarbeitung der Ausstellung Unterstützung zugesagt worden. Seitens des Vereins wurde aber keine Unterstützung abgefordert. Ob es gelingt, die Ausstellung noch bis zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution zu qualifizieren, kann seitens der Stadt Leipzig nicht eingeschätzt werden. Das Unterstützungsangebot steht nach wie vor.« Dass die Stadt das erwartet, scheint Hollitzer nicht zu stören. Der Revolutionswächter wacht unbekümmert über seine Revolution.

Bautzen hat es vorgemacht, dass ein Konzept geändert werden kann, ohne als Gedenkstätte in Vergessenheit zu geraten. Hohenschönhausen arbeitet seit der Kündigung vom ehemaligen Leiter Hubertus Knabe ebenfalls daran. Hollitzers Visionen beschränken sich darauf, neue Räume für den Rundgang zu erschließen. Etwa Kellerräume oder die Kegelbahn, wo sich heute noch die Relikte aus der DDR türmen, um den Wunschzustand »40 Jahre DDR« und die Heldentaten seiner bewegten Jugendtage möglichst lange zu konservieren.

 

* Über die Ex-Insider Marian Lange und Gerald Krauss können wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine weiteren Angaben machen. Die wahren Namen sind der Redaktion bekannt.

Dieser Text erschien zuerst in der kreuzer-Ausgabe 06/19.

 


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2 Kommentar(e)

Roland Mey 31.05.2019 | um 19:51 Uhr

Mit dem Satz "In keinem anderen Museum von Bedeutung hätte ein Mann wie Tobias Hollitzer auch nur den Hauch einer Chance auf einen Leitungsposten" irrt der Kreuzer total. Das Gegenteil ist richtig: Kein wissenschaftlich seriöser Bericht über die Friedliche Revolution von 1989 ohne Literaturangaben zu Hollitzers Publikationen über dieses Thema! Ich kenne mich in dem Bereich aus und fordere den Kreuzer auf: Veröffentlichen Sie als Beweis für meine Sachkenntnis meinen schwarz-humoristischen Aufsatz "Die Wahrheit über das Ende der SED-Diktatur" den ich als Anhang einer Mail der Kreuzer-Redaktion übermitteln werde. Roland Mey

Klugscheißer 18.06.2019 | um 18:24 Uhr

Also Herr Mey, dann nennen Sie mir doch mal einen Tischler, der in Deutschland Museumsdirektor geworden ist, außer Herrn Hollitzer :D Im Übrigen würde keine seriöser Historiker für sich beanspruchen "die Wahrheit" über ein geschichtliches Ereignis zu veröffentlichen, vielmehr werden aus Quellen Erkenntnisse gewonnen, die dem wissenschaftlichen Diskurs und der Dialektik unterliegen. So viel zu ihrem "Werk"