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Stadtleben

Euro-Scene in der Kritik

Das Leipziger Tanz- und Theaterfestival soll ein Terror verharmlosendes Stück zeigen

  Euro-Scene in der Kritik | Das Leipziger Tanz- und Theaterfestival soll ein Terror verharmlosendes Stück zeigen  Foto: The Freedom Theatre

»Wir fordern die Ausladung der Inszenierung.« – Die Artists against Antisemitism sind deutlich. Die Leipziger Gruppe, ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern, bezieht sie aufs Stück »And here I am«, das auf dem Programm des diesjährigen Tanz- und Theaterfestivals Euro-Scene im November steht. Auch andere sehen die Einladung der Inszenierung des palästinensischen Freedom Theatre kritisch. Grund: angeblicher Antisemitismus und Terrorverharmlosung.

Entzündet hat sich der Streit an einem Spiegel-Artikel, der vor allem vom Ex-Jihadisten Zakaria Zubeidi handelt. Der Artikel nennt ihn Co-Gründer des Theaters, als solcher taucht er auch auf Unterseiten des Theaters auf. Aber nicht in der Teamdarstellung oder in der Selbstdarstellung, wirft Euro-Scene-Festivalleiter Christian Watty ein. »Der wird nirgends auf der Website genannt«, verteidigt er sich im Gespräch mit dem kreuzer. »Ich weiß nicht, welche Funktion er hat. Er wurde damals als 13-Jähriger als Terrorist verurteilt, weil er Steine auf einen Panzer geworfen hatte. Nach einer Begnadigung sitzt er seit Jahren wieder im Gefängnis, man kann nirgends lesen, warum.« Auf Watty sei Druck aufgebaut worden, Menschen hätten sich per E-Mail als Journalisten ausgegeben, ihm mit Fristen »in unangenehmem Ton« die Pistole auf die Brust gesetzt: »Zu versuchen, mich in die Enge zu treiben, bei so einem sensiblen Thema, das geht nicht«, sagt er nun.

Geschichte vom Jihad

Watty lobt den Geist des palästinensischen Theaters, der von Vermittlung getragen sei. Das habe er auch von vielen Gesprächspartnern erfahren. Das Freedom-Theater fußt auf dem Theater der Steine, das die Israelin Arna Mer-Khamis in den achtziger Jahren im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin gründete. Aus dessen Trümmern formte ihr Sohn Juliano Mer Khamis 2002 das Freedom Theatre. Eine Schauspielschule entstand, Bildungsarbeit begann und das Theater ging auf Tournee. Nach Khamis’ Ermordung durch mutmaßliche Islamisten, operiert ein Teil des Theaters von London aus.

»Auch in deutschen Fernsehshows erzählen verurteilte Verbrecher ihre Geschichte. Das ist für mich erst einmal kein Grund, das Theater nicht einzuladen, weil ein ehemals Krimineller auftritt«, erklärt sich Watty. Die Artists against Antisemitism Leipzig kritisieren hingegen die fehlende Kontextualisierung in der Festival-Ankündigung des Stücks. »Vom ›Straßenkampf‹ ist im Beschreibungstext die Rede«, sagt Andrea Müller im kreuzer-Gespräch. »Dass sich dieser auf den islamischen Jihad bezieht, steht dort nicht.« Beim islamischen Jihad handelt es sich um eine palästinensische islamistische Terrororganisation. Müller heißt eigentlich anders und ist bei den Artist against Antisemitism Leipzig aktiv, die in einen offenen Brief die Ausladung der Produktion fordern. Außerdem habe sich das Theater einer »kulturellen Intifada« verschrieben, noch Mitte Oktober 2023 den bewaffneten palästinensischen Widerstand unterstützt. Mit »Intifada« werden im Allgemeinen die palästinensischen Aufstände benannt. »Auf der Euro-Scene hat ein Stück Deutschlandpremiere, in dem ein ehemaliger Terrorist von Erfahrungen aus dem bewaffneten Kampf gegen Israel erzählt, während sich das dazugehörige Theater nie vom vernichtungsantisemitischen Terrorismus abgrenzte«, kritisiert Müller.

Widerstand und Intifada

Laut Watty toure das Stück problemlos seit 2017 durch Europa, auch derzeit. Es habe immer mal Vorwürfe gegeben, aber es sei mehrfach »überprüft« worden. Er selbst habe es im vergangenen Jahr wenige Wochen nach dem 7. Oktober gesehen. »Ich habe da nicht einen skandalisierenden Artikel gelesen.« Falls Antisemitismus und Jihadismus propagiert werden, dann sei das eine Frage der Justiz, sagt Watty: »Ich habe schon überlegt, die Compagnie wegen Antisemitismus und Jihadismus anzuzeigen, damit sich die Justiz darum kümmert.« Beides sei zurecht verboten in Deutschland. »Ich bin Festivaldirektor, lade ein Kunstwerk ein, eine Geschichte um ihrer selbst willen.« Im Stück gebe es »für unsere Ohren problematische Szenen, wenn die zweite Intifada losgeht.« Das Umfeld des Protagonisten radikalisiere sich, so Watty. »Das habe ich als authentischen Bericht erlebt, aber auch als Komödie, wie es ist, als Kind unter solch absurden Verhältnissen aufwachsen zu müssen. Die werden zu Milizen herangezogen, die haben nie Demokratie und Menschenrechte gelernt.«

Mit Kunst Widerstand zu leisten, sei »common sense« im Kulturbereich. »Das Wort Intifada stößt uns hier auf, ja, mir auch. Aber das heißt erst einmal ›Erhebung‹. Das gleich als Chiffre für Jihadismus zu nehmen, halte ich für vermessen. Widerstand an sich ist doch nicht gleichbedeutend mit Genozid.« Und: »Wenn die dritte Intifada darin besteht, dass alle anfangen Theater zu spielen und Gedichte zu schreiben, dann haben die was gut gemacht.«

Theater der Propaganda

Das kann Thomas Feist, Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für das Jüdische Leben, nicht gelten lassen. »In den Äußerungen des Theaters über soziale Netzwerke wird der Terroranschlag des 7. Oktober 2023 verharmlost«, schreibt Feist auf kreuzer-Anfrage. »Insofern ist die Einschätzung des Festivalleiters zumindest naiv, wenn nicht gar realitätsfremd. Um ein Beispiel zu bemühen: Niemand hätte vor 35 Jahren ernsthaft behauptet, dass eine Darbietung des Oktoberklubs oder des Erich-Weinert-Ensembles nichts mit ›Kunst ist Waffe‹ zu tun hätte.« Für beide DDR-Gruppen diente Kunst als Propagandamittel. Feist weist darauf hin, dass Watty die Realität in den von Fatah oder Hamas kontrollierten palästinensischen Gebieten ignoriert. »Es gibt de facto keine Trennung in kulturellen/politischen und militärischen Bereich der Intifada. Es findet eine Zensur statt, die nur das auch genehmigt, was dem Ziel der Bekämpfung des israelischen Staates und seiner Bevölkerung untergeordnet ist.« Natürlich sei das Wort gegenüber der Gewalt zu bevorzugen, räumt Feist ein. Aber: »Dass Propaganda besser ist als Terror – dem könnte man zustimmen, wenn nicht beides Mittel im Kampf gegen das Existenzrecht Israels wären, die sich ergänzen.«

Stiller Boykott Israels

»Eine kulturelle Vernichtung ist auch keine legitime Forderung. Außerdem ist auf der Programmseite des Theaters mehrfach zu lesen, dass das Theater bewaffneten und kultureIlen Widerstand zusammendenkt.«, sagt Aktivistin Müller. Sie spricht von einem stillen Boykott israelischer Kulturschaffender, der auch auf der Euro-Scene stattfinde. Denn trotz ausgewiesenen Nahost-Schwerpunkts ist bei dieser Festivalausgabe keine einzige israelische Position vertreten. »Da fehlt Israel als ein zentraler Player, die einzige Demokratie in der Region, an dem sich so viele abarbeiten.« Dass eine solche vor zwei Jahren zu sehen war, wie Festivalleiter Watty betont, reicht Müller nicht aus. Sie führt zusätzlich die Social-Media-Präsenz der Regisseurin und künstlerischen Coleiterin des Freedom-Theatres Zoe Lafferty an, »die sich aktivistisch und militant äußert«, und die Unterstützung der Kampagne zum Israel-Boykott BDS durch das Freedom-Theatre. Der hier geteilte Aufruf, israelische Künstler nicht auftreten zu lassen, findet sich faktisch auf der diesjährigen Euro-Scene umgesetzt. Die Leerstelle fülle auch das Begleitprogramm nicht. »Im Gegenteil werden der Schauspieler und die Regisseurin von ›And here I am‹ mit extra Talk-Panels beim Festival und der gleichzeitigen Tagung des Internationalen Theaterinstituts in Leipzig noch herausgehoben.«

Er lehne die Boykott-Bewegung gegen Israel ab, sagt Christian Watty, auch wenn diese nur in Deutschland problematisiert werde. Die BDS-Bewegung ist besonders im sich linksliberal verstehenden westeuropäischen Kulturbereich sehr einflussreich. »Ich kann verstehen, dass das problematisch ist. Aber was würden wir machen? In dem Kontext, in dem diese Leute aufwachsen?« Dass das Theater den Terror nicht verurteilt, sieht auch er kritisch. Aber solche Urteile seien eben leicht von der bequemen Couch aus zu fällen. »Kann man da unsere Wertmaßstäbe applizieren?«, fragt der Festivalleiter. Dass der Inszenierung anderswo eine Bühne gegeben wird, ist für Andrea Müller »kein Grund, auch hier antisemitische Kunst zu zeigen.« Sie vermisst die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Kritik. »Als öffentlich gefördertes Festival wäre es Wattys Verantwortung, Antisemitismus keinen Raum zu bieten. Daher fordern wir die Ausladung der Inszenierung.« 


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