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Stadtleben

Ein Jahr Krieg in Nahost – ein Jahr Kampf um die Köpfe

Wie die propalästinensische Gruppe Handala in Leipzig agiert

  Ein Jahr Krieg in Nahost – ein Jahr Kampf um die Köpfe | Wie die propalästinensische Gruppe Handala in Leipzig agiert  Foto: kreuzer

Mit dem dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begann ein verheerender Krieg im Nahen Osten, dessen Ende und Ausmaß bisher noch nicht abzusehen sind. Seitdem gibt es auch hier eine politische Auseinandersetzung in linken Milieus um die Positionierung und die Deutungshoheit zum Krieg. In Leipzig gilt die propalästinensische Gruppe Handala als eine der umtriebigsten Akteurinnen. Wir blicken auf deren Agieren im letzten Jahr.

Am 7. Oktober 2024 jährte sich der Überfall der Hamas auf Israel. Neben israelsolidarischen Demonstrationen mobilisierten auch propalästinensische Gruppen auf den Straßen Leipzigs unter dem Motto  »76 Jahre Besatzung. 76 Jahre Widerstand. Freiheit für Palästina!«, darunter die Gruppe Handala.

Handala – benannt nach der Comicfigur des palästinensischen Zeichners Naji Salim Hussain Al-Ali – trat 2021 das erste Mal mit einer Einladung zum gemeinsamen Fastenbrechen in Leipzig in Erscheinung. Laut eigener Aussage setzt sich die Gruppe aus »Palästinenser:innen in der Diaspora und Palästinasolidarischen« zusammen. Ein knappes Jahr später folgte die erste Demonstration. Handala bedankte sich damals unter anderem bei der stalinistischen Kleinstpartei MLPD für deren Teilnahme.

Machtübernahme der Taliban in Afghanistan als »antiimperialistischer Sieg« gefeiert

Bis Oktober 2023 fiel Handala eher durch unregelmäßige, anlassbezogene Demos und Veranstaltungen auf – zwischen Gründung 2021 und Beginn des Krieges 2023 lediglich fünf. Seit Oktober vergangenen Jahres fanden 24 Kundgebungen und Demonstrationen statt, meist mit ungefähr 1.000 Teilnehmenden. Hinzu kamen Workshops, Lesungen, Filmvorführungen und öffentlichkeitswirksame Aktionen sowie zunehmend radikalere Statements und Forderungen. In einem Instagram-Post der Gruppe vom 17. Oktober 2023 heißt es: »Die israelischen Minister sprechen es aus: Ein Genozid findet in Gaza statt!«, was selbst die allerrechtesten Politiker im Kabinett des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu  nie gesagt haben.

Zu diesem Zeitpunkt bereits sehr auffällig ist die Nähe zur sogenannten Kommunistischen Organisation (KO), einer überschaubaren Leipziger Gruppe mit stalinistischer Ausrichtung und viel Sympathie für islamistische Personen und Verbände. Ein mittlerweile gelöschter Post im Telegram-Kanal der KO von 2021 feierte die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan als »antiimperialistischen Sieg«. Der verstorbene Führer der islamistischen Miliz Hisbollah, Hassan Nasrallah, wird auf der Instagramseite der KO unumwunden und unkritisch als Ikone des bewaffneten Kampfes gegen Israel gefeiert.

In einem Redebeitrag der KO am 22. September während einer Handala-Demo bejubelte die Gruppe zudem den Einschlag einer Rakete in Tel Aviv, die die vom Iran gesteuerten Houthi-Milizen aus dem Jemen abgefeuert hatten. Zugleich versprach man den »Untergang des Systems Israel«.

Nähe zum verschwörungsideologischen Milieu

In ihrer Stellungnahme »Zur Strategie und Taktik des palästinensischen Befreiungskampfes« schreibt die KO im Dezember 2023, »dass eine gewisse Zusammenarbeit mit der Hamas möglich und in bestimmten Fällen anzustreben ist – und gleichzeitig die Hamas in dem Maße angeprangert und entlarvt werden sollte, in dem ihre Aktionen dem Widerstand und dem bewaffneten Kampf schaden.«

Im März berichtete die LVZ über die Verleihung des Leipziger Friedenspreises an Handala. Der Preis wird von der unabhängigen Initiative »Leipzig gegen Krieg« verliehen, zu der unter anderem der umstrittene Aktivist Mike Nagler gehört. Nagler fällt immer wieder durch seine Nähe zu Russland und dem verschwörungsideologischen Milieu auf, ist zum Beispiel bei Compact-TV aufgetreten, dem YouTube-Kanal des rechtsextremen Magazins Compact.

Neben der KO beteiligen sich noch weitere Gruppen aus dem links-autoritären Spektrum wie ZORA, Young Struggle und Rote Wende an den von Handala organisierten Demonstrationen und Veranstaltungen, ebenso der antizionistische »Jüdisch-Israelische Dissens« (JID). Eine JID-Aktivistin machte im März 2024 international Schlagzeilen, als sie Bundeskanzler Olaf Scholz zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse im Gewandhaus zusammen mit anderen anschrie und für die deutschen Waffenlieferungen an Israel kritisierte.

Besetzungen von Uni-Räumen

Bis zu diesem Zeitpunkt trat Handala hauptsächlich durch Demonstrationen in Erscheinung. Mit der Gewandhaus-Aktion verlagerte sich die Gruppe aber mehr und mehr auf die medienwirksame Produktion von Skandalen. Überregional Beachtung fanden auch die Besetzungen verschiedener Hochschulräume in Leipzig im Mai und Juni unter Beteiligung Handalas.

Hauptsächlich verantwortlich für die Besetzungen zeichnet sich das Bündnis »Palestine Campus«, ein Zusammenschluss verschiedener linksautoritärer Gruppierungen. Verbale und physische Übergriffe auf andere Studierende, unverhohlener Antisemitismus und ein Klima der Angst prägten die Besetzungen an der Uni sowie der HGB: »Viele Studierende trauen sich nicht mehr in die Hochschule und meiden diese, benutzen ausschließlich Hintereingänge oder betreten das Hochschulgebäude nur noch zu bestimmten Uhrzeiten«, heißt es in einem offenen Brief von Studierenden und Alumni der HGB.

Bei der Räumung des Audimax am 7. Mai 2024 setzten die propalästinensischen Aktivistinnen und Aktivisten einmal mehr auf die Skandalkarte und beklagten massive Polizeigewalt, wobei weder das von Palestine Campus veröffentlichte Videomaterial diesen Vorwurf bestätigt noch die Beobachtungen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität, deren Gedächtnisprotokolle dem kreuzer vorliegen.

Fokussierung auf linke und antifaschistische Gruppen und Personen

Im Juli folgte die nächste öffentliche Aktion, ähnlich der im Gewandhaus vier Monate zuvor. Nur traf es diesmal SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius, der von einem Handala-Mitglied während einer öffentlichen Wahlkampf-Veranstaltung wiederholt unterbrochen wurde. Auch wenn diese Aktion keine ähnliche Reichweite wie die zur Buchmesse-Eröffnung im Gewandhaus erzeugte, die Taktik, möglichst prominente Politikerinnen und Politiker als Multiplikator für die eigene Agenda zu nutzen, ist offensichtlich. Vor allem an der SPD (und später auch an der Linkspartei) hat sich Handala dabei abgearbeitet, wie auch eine Plakataktion und ein mutmaßlicher Einbruch im SPD-Bürgerbüro Zentrum-Ost zeigen. Handala zeigte sich auf der eigenen Instagramseite sehr erfreut über den Vorfall.

Obwohl sich Handala stets als links und antifaschistisch tituliert, konzentrieren sich die Gruppe und ihre Verbündeten mit ihren Aktionen ausschließlich auf linke und antifaschistische Projekte und Personen. Aktionen der Gruppe gegen die CDU und AfD sucht man vergeblich.

Am 6. August kam es zu einem weiteren produzierten Skandal der Gruppe: die Störung eines Vortrages im Atari, einem linken Szene- und Kulturtreffpunkt in Reudnitz. Drei Mitglieder von JID störten nach den übereinstimmenden Berichten von Augenzeugen, deren Gedächtnisprotokolle dem kreuzer vorliegen, einen Vortrag unter dem Titel »Is Palestine a feminist issue?« der Gruppe »Punks against Antisemitism« mit lauten Zwischenrufen und verhinderten so die Veranstaltung. JID selbst sprach von »kritischen Nachfragen« gegenüber der Referentin Cordula Trunk, eine Behauptung, die durch die unabhängigen Schilderungen aus den Gedächtnisprotokollen der anwesenden Personen nicht standhält. Die anschließende Durchsetzung des Hausrechts durch einen Verweis der drei JID-Mitglieder wurde im Anschluss sowohl von JID selbst als auch von Handala zu einem queerfeindlichen, antisemitischen und rassistischen Gewaltakt hochstilisiert, »Antideutsch = Ultradeutsch« wurde zu einem neuen Slogan. Mit anderen Worten: Wer sich als israelsolidarisch versteht, stünde dem Faschismus nahe. Wer links ist, könne also nicht solidarisch mit Israel sein. Im Statement von JID wird das Atari zudem als Ort »systematischer Gewalt« bezeichnet, einer Gewalt, die nach den Augenzeugenberichten so nie stattgefunden hat.

Vorwürfe gegen das Werk 2

Einen Tag später mobilisierten Handala und JID zu einer Kundgebung vor dem verschlossenen Atari, in der das linke Zentrum als queer- und transfeindlich und die Mitglieder des Projekts ausschließlich und entgegen den Tatsachen als »weiße Cis-Männer« bezeichnet wurden.

Tatsächlich machen Handala und verbündete Gruppen keinen Unterschied zwischen Israelsolidarität und Rechtsextremismus, »Antideutsche« und israelsolidarische Linke wurden über den Sommer 2024 zunehmend als rassistischer und faschistischer Hauptfeind markiert - während rechtsextreme Gewalt bundesweit stark zunimmt und die AfD einen Wahlerfolg nach dem anderen einfährt. Für Handala, JID, KO, Young Struggle und Zora scheinen rechtsextreme Umtriebe generell ein blinder Fleck zu sein, was angesichts der selbst proklamierten Rolle als politische Fürsprecher von Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten besonders zynisch wirkt.

Aktuell sieht sich das Werk 2 mit Vorwürfen seitens Handala und JID konfrontiert, eine gemeinsam geplante Diskussionsrunde abgesagt zu haben. Belege hierfür bleiben allerdings aus und die Gruppen berufen sich ausschließlich auf das eigene dazu veröffentlichte Statement.  Die Betreiberinnen und Betreiber des Werk 2 haben sich dazu bisher nicht öffentlich geäußert.

Druck auf Linken-Politiker Juliane Nagel und Nam Duy Nguyen

Auch versuchten Handala und Verbündete, Demos gegen die AfD oder eine falsche Sozial- und Wirtschaftspolitik mit dem Thema »Palästina« neu zu besetzen – die anschließende Kritik dafür oder den Ausschluss von einer Demo hat Handala als rassistisch und »antideutsch« abgeschmettert. Etwa bei einem Vorfall bei der »Zusammen gegen Rechts«-Demo im Januar.

Zur Landtagswahl in Sachsen machte die Gruppe zudem Druck auf Juliane Nagel und Nam Duy Nguen, die jeweils ein Direktmandat für Die Linke im neuen sächsischen Landtag holten. Handala verlangte von beiden ein eindeutiges Bekenntnis zu Palästina und sich »für ein Ende des Völkermordes und der Kolonisation Palästina (sic!)« einzusetzen. Außerdem warf die Gruppe Nagel Rassismus vor.

Handala gerierte sich über das vergangene Jahr mehr und mehr als Teil eines linken Netzwerks, das für sich eher den Kampf um das Narrativ und die Deutungshoheit in Anspruch nimmt. Offensichtliches Ziel ist die Durchsetzung eines linksautoritären Weltbildes. Besonders online wurde dies über die letzten Monate mehr als deutlich: Mitglieder der islamistischen Qassam-Brigaden als Stichwortgeber, Beiträge, die Israel den Initiator eines »neuen dunklen Zeitalters« nennen oder Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden, der Hamas und der Hisbollah als »wichtige Politiker« bezeichnen. Selbstkritische Analysen oder gar Kompromisse sucht man bei Handala, KO und JID vergeblich, für sie ist die Lage klar: Alle Aggression geht von Israel aus und Widerstand heiligt alle Mittel – bis zur Zerstörung des einzigen jüdischen Staates auf der Welt. Offensichtlich und ungelöst bleibt der Widerspruch aus der Verschränkung vom religiösen Extremismus der Hamas, der Vereinnahmung queerer Sprechorte und einem autoritären Stalinismus.

Falschmeldungen, verzerrte Darstellungen der Geschichte Israels und Palästinas, die Kaperung von Demonstrationen, bewusst erzeugte Skandale und die Alternativlosigkeit zur Vernichtung Israels haben im vergangenen Jahr die öffentliche Nahost-Debatte in Leipzig zu großen Teilen mitbestimmt. Mit der Eskalation des Krieges in Libanon, Iran und möglicherweise auch Syrien wird auch Handala sehr wahrscheinlich weiter um die Deutungshoheit kämpfen.


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