Anlässlich der Jüdischen Woche zeigen das Stadtgeschichtliche Museum und das Ariowitsch-Haus Werke der beiden jüdischen Künstler Raphael Chamizer und Amos Jaskiel. Die Ausstellungen zeigen, wie viel in der Stadt noch aufgearbeitet werden muss.
Als Dan Chamizer in den neunziger Jahren das erste Mal Leipzig – die Geburtsstadt seines Großvaters Raphael Chamizer – besuchte, stand auf dem Alten Israelitischen Friedhof in der Berliner Straße die Skulptur »Die Trauer«. Sie zeigt eine in sich zusammengesunkene, nackte Frau. Im Sommer 1938 hatte die Familie Leipzig verlassen. Die Skulptur war das letzte Zeichen seines Großvaters in der Stadt.
Die Skulptur ist längst verschwunden und befindet sich nun im geschlossenen Raum auf dem Gelände des Neuen Israelitischen Friedhofs. Offensichtlich war der Anblick einer nackten Frau auf dem Friedhof nicht mehr vertretbar. In der aktuellen Studioausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums hängt sie als Reproduktion von der Wand und ist ein Beispiel aus der künstlerischen Produktion von Raphael Chamizer.
Zeugnisse einer künstlerischen Position
Geboren 1882 als Sohn des Orientalistik-Professors und Buchdruckerei-Direktors Moritz Chamizer in der Windmühlenstraße 28, studierte er an der Leipziger Universität Medizin, eröffnete in der Nordvorstadt seine erste Praxis. Nach einem Besuch in Florenz im Herbst 1924 begann er mit der Bildhauerei. In der heutigen Ferdinand-Lassalle-Straße 22 (Villa Najork) richtete er sich ein Atelier ein, Anfang der dreißiger Jahre bezog er das ehemalige Atelier von Max Klinger in der Karl-Heine-Straße. 1927 zeigte der Leipziger Kunstverein in seinen Räumen im Museum der bildenden Künste eine erste Schau, in der unter anderem »Die Trauernde« zu sehen war.
Seine in Leipzig geborenen Söhne Immanuel und Gideon arbeiteten ebenfalls im Kunstfeld. Immanuel Chamizer besuchte die hiesige Kunstakademie. In der Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum sind unter anderem fünf Kunstbücher von ihm zu sehen, die sein Sohn Dan dem Stadtgeschichtlichen Museum übergab. Vor allem das Buch »Das Märchen vom modernen Mann« aus dem Jahr 1929 erinnere ihn erschreckend an die Gegenwart, sagte Dan Chamizer. Sie sind daher nicht nur Zeugnisse einer künstlerischen Position, sondern verraten zugleich viel über den damaligen Zeitgeist.
Es gibt noch viel zu tun
Im Ariowitsch-Haus erinnert ab Donnerstag ebenfalls eine Ausstellung an einen vergessenen jüdischen Künstler der Stadt: Amos Jaskiel. Der Vater Malermeister, wurde Jaskiel 1894 in Czenstochau (Polen) geboren. Jaskiel verließ – wie er im »Jüdischen Jahrbuch für Sachsen 1931/32« schrieb – 1914 seine Heimat und gelangte über Dresden sechs Jahre später nach Leipzig. Im hiesigen Adressbuch ist er als Kunstmaler in der Zeitzer Straße 23 (heute Karl-Liebknecht-Straße) gelistet. Die hohen Gebühren der Kunstakademie verleideten ein längeres Studium dort, sodass er vor allem als Theatermaler im Leipziger Schauspielhaus und an der Kleinkunstbühne »Retorte« tätig war.
Jaskiel starb 1987 in Haifa. In der Sammlung des Museums der bildenden Künste ist er mit einem Bild vertreten. »Das weiße Haus« zeigte er 1927 auf der ersten Juryfreien Kunstausstellung. Das Gemälde fügt sich in seine zahlreichen Stadtlandschaften.
Es gibt noch viel zu tun, um die lokale Kunstgeschichte – vor allem in der Zeit von 1933 bis 1945 – aufzuarbeiten. Die Ausstellungen zeigen exemplarisch die Werke von zwei Künstlern. Ihr Leben und Arbeiten in der Messestadt und wie sich dieses nach 1933 veränderte, wer welche Rolle mit welchen Auswirkungen in der Stadtgesellschaft spielte – das sind nur einige Punkte, die immer noch im Dunklen liegen.