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Stadtleben

Zeichen für Demokratie

»Pathos-Denkmal«, »Revolutionskitsch« – ein Kommentar zum Wendedenkmal

  Zeichen für Demokratie | »Pathos-Denkmal«, »Revolutionskitsch« – ein Kommentar zum Wendedenkmal

Dreißig Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch muss kein kitschiges Denkmal den öffentlichen Raum belagern, wenn die Stadtgesellschaft das nicht möchte. Ein Kommentar aus dem Juli-Heft.

Am Anfang steht meist ein gut gemeinter Gedanke. So wie der einer US-amerikanischen Bildhauerin, die beim Besuch von Leipzig die Geschichte des Herbstes 89 in eine eherne Form bringen wollte. Die Texanerin Miley Tucker-Frost gießt üblicherweise gern Adler und wild galoppierende Mustangs in Bronze.

Als vor über zehn Jahren der Oberbürgermeister dann auch noch die Patenstadt Houston besuchte, ergab sich die Gelegenheit, dass Frau Tucker-Frost Herrn Jung das Modell überreichte. Es handelte sich um ein Relief, auf dem zwei endlos wirkende Menschenströme zu einem Paar im Vordergrund führen. Dieses zündet eine Menge am Boden stehender Teelichter an. Die Künstlerin wollte auch das Publikum einbeziehen: Es hätte mit Taschentüchern die Teelichter polieren können – offensichtlich frei nach dem Gedanken: Möge der revolutionäre Geist niemals erlöschen.

[caption id="attachment_77422" align="alignright" width="179"] Kunst-Redakteurin Britt Schlehahn.[/caption]

Der Oberbürgermeister bedankte sich nicht nur, sondern ließ erkennen, dass das Modell gar in echt realisiert werden könnte. Aber im Portfolio eines Stadtoberhauptes steht nicht, dass er oder sie über die alleinige ästhetische Kompetenz in der Stadt verfügen muss. Da gibt es noch die Volksvertreter im Stadtrat, aber auch Fachkräfte in Gremien wie dem Forum für Kunst im öffentlichen Raum. Jedenfalls beschied man dem Modell in Leipzig ein vernichtendes Urteil, einige sprachen von »Pathos-Denkmal« oder »Revolutionskitsch«. Das ist eigentlich ein sehr gutes Zeichen, denn es weist darauf hin, dass den Menschen der öffentliche Raum nicht egal ist und sie Anteil an dessen Gestaltung nehmen möchten – frei nach Motto »Wem gehört die Stadt?« und im direkten Anschluss daran: Wie kann sich eine Stadt gegen schlechte Kunst wehren?

Heute, mehr als zehn Jahre später, hat sich das Modell geändert: Eine fünfköpfige Menschenkette, ausgestattet mit Schärpen, auf denen »Keine Gewalt« steht, steht hinter einem Paar, das Teelichter anzündet. Nun sollen die Fachkräfte erneut entscheiden, ob diese nicht weniger kitschige Überarbeitung aufgestellt werden darf.

Streng genommen ist das Denkmal auch kein Geschenk an die Stadt, sondern an das Bürgerkomitee mit Sitz in der Runden Ecke. Nur, wo soll es denn dort aufgestellt werden? Vor dem Haus sind schon allerhand historische Objekte versammelt: die DDR-Peitschenlampen, ein Baugerüst mit Reklameanschlag, eine Tonsäule und das Axel-Springer-Denkmal in Form eines Berliner Mauerstücks samt Texttafel in feinster westdeutsch-konservativer Deutungshoheit der Bild-Zeitung zu den Ereignissen in der DDR. Reicht das nicht aus?

Und Oberbürgermeister dürfen auch einmal irren und können sagen: »Ach, was ist damals nur in mich gefahren? Ich verstehe es selbst nicht mehr und meine Stadtgesellschaft erst recht nicht. Ich bitte um Entschuldigung und wir lassen die Sache einfach.«

Falls jemandem das Ensemble gefallen sollte, der kann es ja Frau Tucker-Frost abkaufen und sich in den Garten stellen, gern in der zur Straße abgewandten Seite.

 

Dieser Text stammt aus dem kreuzer 07/19. 


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