Im zweiten Teil ihrer Kolumne beschäftigt sich das Blogkollektiv »zwangsbeglückt« mit der gewünschten Normalität des Klubs RB Leipzig
Die sportliche Wachablösung der Münchener Bayern musste Rasenballsport Leipzig im direkten Aufeinandertreffen am 4. Spieltag vorerst verschieben. An jenem Samstagabend gelang dem Konstrukt aber ein anderer Coup, der den Vorsprung des Branchenprimus auf anderem Feld eindampfte. Die bayerische Reporterlegende Waldemar Hartmann verkündete in der Halbzeitpause durchs Stadionmikrofon: »Ich bin ein Leipziger!«
Waldemar Hartmann ist der Idealtyp des weißbiertrinkenden Lebemanns. In der ARD verkörperte er über Jahrzehnte die Rolle des jovialen Duz-Journalisten. Bislang allerdings war das lebende Urgestein fußballerisch auf den FC Bayern München festgelegt. Unzählige Male moderierte er Meisterfeiern am Marienplatz und jubelte mit, als hätte er selbst gewonnen. Dass sich Hartmann an jenem Samstag nicht nur als Neu-Leipziger und Kretschmer-Unterstützer (»Das war ja am Ende doch ganz erfolgreich«), sondern auch als RBL-Edelfan feiern ließ, sagt viel über die sehnsüchtige Selbstverortung von RB Leipzig und seinen Anhängern aus.
Zehn Jahre nach der Übertragung des Oberliga-Spielrechtes des SSV Markranstädt, neun Jahre nach dem Umzug ins Zentralstadion und drei Jahre nach dem Aufstieg in die Bundesliga will man nicht mehr die Ausnahme im Spielbetrieb sein, sondern als das anerkannt werden, wofür man seit 2009 Geld und Menschen in Bewegung gesetzt hat – ein deutscher Spitzenclub. Nach Rangnicks Abschied und der Nagelsmann-Verpflichtung schlägt das Pendel im dritten Bundesligajahr deutlich stärker in Richtung Establishment als zur Fußballrevolution.
Das lässt sich auch daran beobachten, dass die rasenballsportlichen Selbstbehauptungskämpfe nun nicht mehr von Vereinsoberen und Anhängern, sondern von den Übertragungsrechteinhabern Sky und BILD geführt werden. Die Sky-Feldreporter brachten am ersten Spieltag exponentiell mehr Unverständnis für den Schweigeprotest der Union Berlin-Fans auf, als erfahrene RB-Fans – denen an der Alten Försterei schon ganz andere Zumutungen als schweigende Ablehnung in die Nase stiegen. Und auch die BILD-Zeitung bemüht sich seit Saisonbeginn redlich, RB Leipzig als Bereicherung für das Premiumprodukt Bundesliga zu verteidigen. Sportchef Straten kann Kritik an RB nur noch Verblendeten und Hassern zugestehen, schließlich tut RB der Liga gut. Sein britischer Gast-Kolumnist Rob Hughes klärt Fußballdeutschland auf: »Dietrich Mateschitz‘ Leipzig spiegelt jedoch lediglich den Zustand der Welt wider.«
Gut. Dann versetzen wir uns in das Selbstbild von RBL im Jahre 10 nach Dieter und nehmen Rob Hughes beim Wort. Was für eine Welt ist das, die sich in RBL spiegelt? Es ist eine Welt, die Widerspruch nur schwer aushalten kann. Eine Welt, in der nicht-kritisierbar sein soll, was erfolgreich ist. Eine Welt, in der immer nur andere für das verantwortlich sind, was man selbst tut. Eine Welt, in der ein pensionierter Fernsehmann die Identitätsbildung von Leipzig als »liebenswertes« Nicht-Berlin vornimmt, und sich dabei nicht entblödet, Kennedy zu zitieren. Eine ziemlich verrückte Welt, bei der es nicht verwundert, dass sie sich nichts sehnlicher wünscht, als von allen als normal wahrgenommen zu werden.