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Politik

Die Tiefe der DDR

Warum wählen Ostdeutsche besonders oft rechts?

  Die Tiefe der DDR | Warum wählen Ostdeutsche besonders oft rechts?


Der Ostdeutsche wählt besonders oft rechts. Doch das liegt nicht an Zumutungen nach der Wende, sondern zeugt von einem völkischen Ideal, das schon vor 1989 populär war.

Was ist ostdeutsch? Was ist Ostdeutschland? Gibt es den Ostdeutschen? Kaum eine Debatte ist in den letzten Monaten so heftig und intensiv geführt worden wie die Frage um ostdeutsche Selbstbilder, um Selbstanerkennung und Selbsterkenntnis. Dass die Ostdeutschland-Debatte eine solche Hochkonjunktur besitzt, ist zunächst einmal ebenso begrüßenswert wie erwartbar. Dreißig Jahre nach 1989, dreißig Jahre nach den Leipziger Montagsdemonstrationen und der Öffnung der Mauer verwundert es jedenfalls wenig, dass im Vorfeld der großen Jubiläen das Thema aufploppt. Für Historiker etwa sind dreißig Jahre nachgerade der neuralgische Punkt, an dem Befragung einsetzt – schließlich: Archive öffnen sich, Jahrestage wollen befragt und eingeordnet werden, Generationen wechseln. 

Aber anders als die Leichtigkeit, mit der 1998 etwa die endgültige Historisierung des Jahres 1968 einsetzte und den Mythos darum eindampfte, in langfristige Entwicklungen einbettete und ein aufgeklärteres Sprechen – mit allen Rückzugs- und Verteidigungskämpfen – über 1968 begann, fehlt es der ostdeutschen Debatte an ebenjener Leichtigkeit. Verbissen werden positive Bilder gegen den ignoranten Westen verteidigt, heftig wird die Zurücksetzung nach 1989 beklagt, intensiv wird am möglichst widerspruchsfreien Bild des Ostdeutschen gebaut. Der Grund dafür ist recht simpel und verweist zugleich auf die Virulenz, aber auch Aufgeladenheit der Debatte: Sie dockt eben nicht unmittelbar an die ostdeutsche Freiheitsrevolution von 1989 an, sie beginnt nicht mit dem Niederringen von Diktatur, Mauer und Stacheldraht, sondern sie setzte bereits 2015 ein, als im Osten der Bundesrepublik, insbesondere in Sachsen, die rechte Regression in einer neuen (alten) Qualität zu wüten begann. Ist der Osten, der Ossi besonders rechtsextrem? 

Konnten die 68er West im Rahmen der historischen Einordnung ihres Tuns und Treibens bei allen Übertreibungen, bei allen problematischen Spätfolgen – etwa dem Terror der RAF – zumindest für sich reklamieren, eine verkrustete Gesellschaft aufgebrochen zu haben, an deren Ende, mit einigen Abstrichen, dennoch so etwas wie Verfassungspatriotismus und Fundamentalliberalisierung stehen mögen, so begann die Neu- und Wiederbeschäftigung mit Ostdeutschland – mal wieder – mit brennenden Unterkünften von Geflüchteten, mit rechtem Terror und wütenden alten, rechten, vor allem Männern auf den Straßen Dresdens.

Pegida, Freital, Heidenau gehören zum Bild des Ostens

Es mag richtig sein, dass Pegida, Freital, Heidenau nicht den Osten abbilden, aber sie taten es eben auch. Und so verwundert es nicht, dass die Ostdeutschland-Debatte von vornherein eine Schwere besaß, die am Ende die Debatte nicht eben einfach machte und von der – ein ebenso trauriger wie dramatischer, aber auch symptomatischer Treppenwitz der Geschichte – ausgerechnet die extrem rechte AfD profitierte, indem sie sich zum Sachwalter des Ostens aufschwang. Dies, und hier lässt sich das Zentrum der Ostdeutschlanddebatte durchaus verorten, ist ein Kernproblem des Redens über den Osten. Indem Verfalls-, Anschluss-, gar Kolonialisierungsgeschichten erzählt werden, wird eine Verbindung aus Protest und Niedergang geschaffen, die in der Selbstanerkennungssuche zu manch absurden Schlüssen führt. Wenn etwa Jana Hensel meint, ostdeutsche Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus damit erklären zu müssen, dass so das »westdeutsche Toleranzgelaber aufgespießt« würde. »Wann hat es eigentlich angefangen, dass ›die Ostdeutschen ernst nehmen‹ vor allem meint, dass in vermeintlich liberalen Mainstream-Medien illiberale, chauvinistische sowie reaktionär-revisionistische Aussagen wieder und wieder aufgewärmt werden?«, fragte jüngst halb verzweifelt und halb resigniert der Historiker Patrice G. Poutrus. Schließlich wird so verdeckt, wo das spezifisch Ostdeutsche im deutschen Rechtsradikalismus seine Wurzeln hat – nämlich in der Tiefe der DDR. 

Denn der Kern des ostdeutschen Rechtsrucks nahm seinen Ausgang ausgerechnet in den Stadien des DDR-Fußballs, breitete sich vom Berliner BFC Dynamo auf weitere Stadien aus. Nicht zufällig jedenfalls ist die lange Geschichte rechter Fankultur bei Lokomotive Leipzig bis in die Jetztzeit, etwa im Umfeld von Legida, dem Sturm auf Connewitz oder den gewalttätigen Angriffen auf einen Türsteher auf Mallorca in jüngster Zeit lokalisierbar und historisch eingeordnet verlängerbar. Auch der ostdeutsche Antifaschismus stammt, mit etwas zeitlichem Versatz, noch aus den Tiefen der DDR. In Potsdam, Halle und anderswo entstand im antifaschistischen Staat eine staatsunabhängige Antifa. Der im Angesicht rechter Übergriffe etwa auf die Berliner Zionskirche auch längst sichtbare gewalttätige Rechtsradikalismus hatte das Entstehen einer staatsunabhängigen Antifa hervorgerufen und wirkt, als Gegenwehr gegen rechte Hegemonieversuche, bis heute spezifisch fort. 

Auch die Revolution von 1989, die lange – und von ihrer Intention her auch zu Recht – als friedliche Freiheitsrevolution gefeierte Erhebung gegen die Herrschaft der SED, zeugt von jener frühen Teilung. Natürlich war der Ruf »Wir sind das Volk« zunächst ein emanzipatorischer, ein Aneignungsruf, der das »Wir« der Bevölkerung gegen das »Die« der Obrigkeit im Arbeiter-und-Bauern-Staat zurückforderte. Aber es gab eben auch 1989 jene, und Peter Richter berichtet davon in seinem wunderbaren Roman »89/90«, die schon 1989 das »Wir« mit dem »Volks«gedanken zu einen suchten – durchaus in einem völkischen Sinne: »Die Vorstellung eines ethnisch homogenen Volkes war an der Oberfläche zunächst kaum sichtbar, zeigte ihre Virulenz aber schon in den rassistischen Pogromen der frühen 1990er Jahre und jüngst in der Welle fremdenfeindlicher Hetze und Gewalt gegen Migranten sowie in den Wahlerfolgen der AfD«, so kürzlich der Historiker Ralph Jessen. 

Steigende Zustimmung zum Nationalsozialismus in der späten DDR

Paradigmatisch wird dies erkennbar, wenn man sich spezifische Alterskohorten ansieht. So konnte zwar mit dem Antifaschismus der »Aufbaugeneration und ihren Kindern ein politischer Mythos geschaffen werden«, so die Historikerin und Politologin Raina Zimmerling, »doch hatte er nicht ausreichend Kraft, sich auf die folgenden Generationen zu übertragen«. Im Gegenteil, zeigte doch etwa eine zu DDR-Zeiten geheim gehaltene Studie des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung zum Geschichtsbewusstsein der DDR-Jugend, dass »inzwischen die aufklärende und erzieherische Wirkung des erstarrten DDR-Antifaschismus auf die Jugend gering war«. Insbesondere die Jahrgänge ab 1970 zeigten jedenfalls eine deutlich reserviertereHaltung gegenüber der DDR, dem Sozialismus und dem Antifaschismus und zugleich eine sich erhöhende Zustimmung zum Nationalsozialismus. Für den Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe eine Erklärung für die rechten Gewaltausbrüche in den frühen Neunzigern: »Bei den in den 70er Jahren und später in der DDR Geborenen beginnt die Distanz gegenüber antisemitischen, nationalistischen und rechtsextremen Einstellungen nachzulassen – was die rechtsextreme Jugendszene Ende der 80er Jahre und den rechtsextremen und fremdenfeindlichen Gewaltausbruch in den neuen Bundesländern bis 1993 erklärt.« Und, das wird anzufügen sein, bis zu den Wahlen der vergangenen Wochen war es ebenjene Kohorte, deren überwiegend männliche Anteile zur wichtigsten Wählergruppe der AfD in Ostdeutschland aufstiegen.

Warum dieser Exkurs in die Geschichte der DDR, wo doch Treuhandpolitik, gebrochene Versprechen von »blühenden Landschaften«, der westdeutsche Elitentransfer und das ökonomische Abgehängtsein im Osten – das zumindest auf der Ebene von Vermögen und Erbschaften tatsächlich eine heftige Schieflage produziert hat – als Erklärungsmuster für den Osten auf der Hand zu liegen scheinen? Nun, dieser Exkurs ist deshalb notwendig, weil er auf innerostdeutsche Entwicklungen Bezug nimmt, die von keinem angrenzungswürdigen Außen ein Teil der Erklärung sind. Es ist der Versuch, die unsägliche Infantilisierung des Ostdeutschen, der den Verhältnissen nur beiwohnte, ins rechte Licht zu rücken. Denn es ist nun mal so, dass die Ostdeutschen – hier verstanden als Wählende und Akteure der Postwendejahre – mehrheitlich dem Westen die Schlüssel in die Hand gaben, jahrelang ostdeutsche Produkte boykottierten und so den Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft zumindest mit ermöglichten und – etwa in Sachsen – bis weit in die Nullerjahre hinein ausgerechnet jene CDU wählten, die doch für all das politische Verantwortung trägt. 

Es ist dies eine unbequeme Sicht auf die Lage in Ostdeutschland, die dreißig Jahre nach 1989 natürlicherweise zur Einordnung herausfordert. Und es ist, mit Blick auf Aufarbeitungs- und historische Verarbeitungsprozesse, auch ein normaler Effekt. Belastete Vergangenheiten, davon zeugt der beiderseitige Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte, werden erinnerungslogisch häufig abgespalten, Schuldigkeiten delegiert, Vorwürfe umgedreht. Das ist ein normaler Prozess der Erinnerungskultur, der am Anfang solcher Debatten steht. Aber um das zu brechen, ist es wichtig, sich mit offenem Visier der Vergangenheit zu stellen, sie anzunehmen, die sprichwörtlichen Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Das aber findet im selbstethnisierenden Teil der Diskussion um Ostdeutschland nicht statt, im Gegenteil, an ihren Extrempunktengemeindet die AfD die »Wende« ein und in der populären Debatte wird der ostdeutsche Opferdiskurs gepflegt und mit einer westdeutschen Schulddebatte angereichert. 

Und natürlich hat der Westen seinen Anteil an den Schwierigkeiten im Osten, Rückgabe vor Entschädigung, in der Breitenwirkung viel verheerender als die Treuhandpolitik, aber auch der massive Eliten- und Geldtransfer westdeutscher Nazikader in den Osten – bis hin zu Höcke, Gauland und Kalbitz – darf natürlich nicht unerwähnt bleiben. Doch per Wahl legitimiert haben solche Prozesse noch immer ostdeutsche Wählerinnen und Wähler, sei es, indem sie dem ersten großen Populisten Helmut Kohl folgten oder heute den extrem rechten (westdeutschen) »Populisten« von der AfD, worauf der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hinzuweisen nicht müde wird.

Wir sollten stärker in den Osten schauen

Wie weiter also im Jahr dreißig nach 1989? Statt einer generalisierbaren Antwort sollen hier einige Hinweise folgen. Der erste: Um zu verstehen, was in Ostdeutschland los ist, wie Ostdeutschland zu begreifen ist, sollten wir weniger in den Westen schauen als vielmehr in den Osten, den Osten Deutschlands, der ja Resonanzraum ist, historisch, lebensweltlich, in der Erzählung der Generationen. Aber das muss der Ausgangspunkt des Nachdenkens sein, nicht dessen Ende. Es hilft dabei zweitens, den Blick noch weiter ostwärts zu richten, auf jene Traditionsüberhänge in anderen östlichen Transformationsstaaten: Autoritätshörigkeit, Parteien, Staatserwartung. Darüber müssen wir reden, statt eine Identität drüberzulegen und zu verwischen. Drittens müssen wir viel stärker auf innerostdeutsche Differenz schauen. Dass in Rostock nur 12,8 Prozent bei der Europawahl AfD wählten, die Partei von Urban und Kalbitz aber in manchen Regionen Sachsens und Brandenburgs nahezu mehrheitsfähig ist, verweist auf Traditionslinien, die womöglich noch in die Zeit vor der DDR reichen. Überdies dürfte, analog zu »Westdeutschland«, ostdeutsch als Kategorie der Selbstbeschreibung nicht gleichermaßen treffen. Sachsen fühlen sich Umfragen zufolge mehr als Sachsen, der Norden, Mecklenburg, fühlt sich eher norddeutsch und im Eichsfeld spielen katholische Prägungen eine spezifische Rolle.

Nicht zuletzt, und das ist ein Pfund der Debatte um Ostdeutschland: Es gibt ihn, #denanderenOsten, #dasandereSachsen, jene ostdeutsche Gegenwehr gegen ein Übermaß an identitärer Aufladung, gegen die rechte Regression, gegen Rassismus und Antisemitismus als Normalzustand. Wir sollten anfangen, offensiv darüber zu sprechen, wo sich in Ostdeutschland emanzipatorische und progressive Initiative findet, wir sollten sprechen über Rostock, Leipzig, aber auch über ländliche Gebiete, in denen sich die Gesellschaft wehrt gegen rechte Vereinnahmungs- und Identitätsdiskurse. Wenn das Jahr 2019 einen ähnlichen Startschuss markiert, wie es das Jahr 1968, wenn auch etwas überhöht, für die Bundesrepublik war, dann stehen die Chancen gut, dass auch die ostdeutsche Gesellschaft dereinst fundamentalliberalisiert ist, Patriotismus allenfalls für die unveräußerlichen Menschenrechte empfindet und ein Bindestrich-Deutschsein nicht mehr in den Vordergrund rückt. Aber wie gesagt, wir stehen erst am Anfang dieser Debatte. Wir müssen lernen, uns weniger mitgemeint und angegriffen zu fühlen, die Debatte als Herausforderung zu verstehen und für neue Utopien zu kämpfen, die ganz unabhängig von Identität, Abwertung und Ressentiments erkämpfenswert sind. 


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3 Kommentar(e)

Alexander Gutland 08.10.2019 | um 21:09 Uhr

Lühmann, das ist ein großartiger Text mit sehr viel Intelligenz und großem Wissen geschrieben. Meinen vollsten Respekt! Ich hoffe, viele lesen ihn und lassen sich anregen! Beste Grüße - Alexander Gutland

Naima Y. 15.10.2019 | um 00:30 Uhr

Ein Blick in die Ferne vereinheitlicht kurzum; der verdeutschte Mitbürger sieht sich in der afrikanischen Wüste oder im güldeneren Middle East Kulturell schnell vereint. Vielen fehlt diese weite Reise einer anderen Sicht, denn da braucht es selbst für Handgepäck mehr als nur eine zeitgeistige Baumwolltasche. Und immer die Frage, wenn einer schon seit 25 Jahren in Dresden wohnt und froh froh verbeamtet ins Ministerium übergesiedelt ist und damals aus der niedersächsischen Provinz kam, ist der dann zum Ossi geworden im eigenen toleranten Integrationsprozess. Und nun Jauchs spezialfrage: ist Frau Dr Merkel ossi oder wessi, sie ist doch die Kanzlerin. Mann! Ob sie als Frau nach Ost Tarif bezahlt wird? Demokratieforschung verstehen und umsetzen direkt vor Ort. Grüße nach Göttingen aus Leipzig, dem Schreiberling.

Martin 16.10.2019 | um 17:35 Uhr

Teils sehr schwacher Artikel und politisch-demokratisch / wissenschaftlich schlicht falsch. Für einen Außenstehenden wie mich wirkt dies sehr "hetzerisch" geschrieben. "Rechts" ist immer gleich genauso viel Rassismus, wie "links" immer gleich Stalinismus ist. Generell scheint die ganze links / rechts Sache mehr denn je politisch verwirrend anstatt aufklärend zu sein. "Patriotismus allenfalls für die unveräußerlichen Menschenrechte empfinde" Seid froh, dass es 1945 so viele Patrioten in anderen Ländern gab, sonst wäre die Welt jetzt eine andere. Der Autor sollte etwas mehr zu differenzieren lernen.