Der Leipziger Literarische Herbst startet dieses Jahr mit neuem Team, neuem Konzept und neuem Programm.
Seit 1991 kommen fast jedes Jahr Autoren, Schriftsteller, Verleger und Leser für eine Woche im Oktober beim Leipziger Literarischen Herbst zu einem »Forum der Begegnung« zusammen, »das Literatur- und Kulturschaffenden die kritische Auseinandersetzung mit drängenden Problemen und Fragen der Gegenwart ermöglicht«. So lautete (auf der Website des Festivals im Jahr 2018) vielversprechend die Theorie, doch die Besucherzahlen hielten sich in Grenzen, das Festival geriet, vor allem aus finanzieller Not, zur Nabelschau lokaler Akteure. Der Balanceakt, trotz geringer Mittel ein vielfältiges Programm anbieten zu können, erschöpfte sich meist in dem Bemühen, ortsansässige Vereine in das Programm einzubinden und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: kommunale Literaturförderung und ein kostengünstiges Programm.
Um das Festival neu zu beleben, lud Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke bereits Ende 2017 zum Austausch an den Runden Tisch. Nach den Gesprächen bewarben sich vier Kulturschaffende mit einem modernen Konzept für die Neuausrichtung des Festivals. Die neuen Verantwortlichen sind keine Unbekannten in der Literaturlandschaft Leipzigs und – das lässt auf einen entscheidenden Vorteil hoffen – auch darüber hinaus.
Claudius Nießen, erst Student, dann Geschäftsführer am Deutschen Literaturinstitut, organisiert heute erfolgreich Kulturveranstaltungen in ganz Leipzig und spricht monatlich auf Detektor.fm mit Autorin Franziska Wilhelm im Podcast »Seite 37« über Literatur. Anja Kösler hat schon größere Veranstaltungen auf die Beine
gestellt als den Literarischen Herbst; für das Lesefestival »Leipzig liest« koordiniert sie seit 2013 die Veranstaltungen, die in der Stadt Leipzig stattfinden. Autor und Journalist Nils Kahlefendt arbeitet für Hörfunk, Printmedien und Kulturinstitutionen vor allem zu Themen aus der Buchhandels- und Verlagslandschaft; nicht nur als Kuratoriumsmitglied im Verein der Hotlist engagiert er sich seit Jahren für unabhängige Verlage. Jörn Dege, Geschäftsführer des DLL und Herausgeber der Buchreihe Volte bei Spector Books, macht das literarische Quartett komplett.
Innerhalb kürzester Zeit und mit gleichbleibend niedrigen finanziellen Mitteln haben sie ein vielfältiges Programm auf die Beine gestellt. Die neue Website verrät: Es wird unkonventionell, international und interdisziplinär. Ein kleiner Ausblick. Die Reihe »Lyrikhotel«, bei der Leipziger Lyriker Kolleginnen zu Orten ihrer Wahl einladen, will den Raum, in dem Dichtung stattfindet, neu definieren – vom Möbelhaus bis zur Hostellobby. Beim Debütabend im Ost-Passage Theater stellen junge Autoren ihre Romane vor, der Kriminaldauerdienst liefert Genreliteratur im Schwurgerichtssaal. In der GfZK feiert die
Literaturzeitschrift Edit die »hybride Kunst des Essays« und vergibt nach einem Sonnabend voll Jazz und Performance am Sonntag den fünften Edit-Essaypreis. Die klassische Autorenlesung gibt es natürlich auch – unter anderem mit Nora Bossong, Nell Zink, Rafik Schami und Tomas Espedal. Das Grande Finale ist übrigens an gänzlich unerwarteter Stelle zu finden: Im Leipziger Zoo werden Sonntagnachmittag preisgekrönte Illustratoren wie Ole Könnecke und Nadia Budde ihr Können beim Livezeichnen und in interaktiven Lesungen unter Beweis stellen. Wenn dann die Nacht hereinbricht, öffnet sich für alle Gäste noch einmal das Gondwanaland.
Beginnend mit der Eröffnung im Alten Rathaus mit dem Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Sebastião Salgado, lässt dieses Programm auf das hoffen, was Leipzig als Buch- und Buchmessestadt dringend braucht: ein außenwirksames, gut kuratiertes Literaturfestival, das sich nicht auf die Präsentation der stadteigenen Autoren beschränkt, sondern sich öffnet und einen Ort schafft, an dem literatur-
begeisterte Menschen zusammenkommen können. Doch die Vorfreude hat einen bitteren Beigeschmack. Schon im August verriet Dege eine ihrer Strategien: Es gibt keine Gehälter, um mehr Geld ins Programm zu stecken. Dass sich Dege, Kahlefendt, Nießen und Kösler für ihre Arbeit kein Gehalt auszahlen können, ist kein selbstloser Akt für die Kunst, sondern ein unhaltbarer Zustand, der dem Land Sachsen und dem Kulturamt zu denken geben muss.