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Literatur

Die Beschwörung der Gegenseitigkeit

Johann Brandstetter bewahrt Vergängliches

  Die Beschwörung der Gegenseitigkeit | Johann Brandstetter bewahrt Vergängliches

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal entdeckt Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz in Johann Brandstetters und Andreas Webers »Über Leben. Die Wiederentdeckung der Natur« das Wunder und die Faszination der Natur.

Der vielfach ausgezeichnete Illustrator Johann Brandstetter hat sich in seinen Werken schon öfter der Natur zugewandt. Auf der ganzen Welt beobachtet er die Flora und Fauna seiner Umgebung und zeichnet, was er vorfindet.

Auftakt zu seinem Werk »Überleben« ist diesmal aber das Verschwundene. Die hundertjährigen Silberweiden an den Inn-Auen sind gefällt worden. Brandstetter ist bekümmert, zeichnet die Bäume aus dem Gedächtnis. »Licht regnet, Licht stürzt, die Erinnerung explodiert im bildnerischen Rückruf zum Phantomschmerz», schreibt Philosoph und Biologe Andreas Weber, der das Vorwort zum Bildband beigesteuert hat. Ein würdiger Auftakt ist der Text des Autors, der den Impuls des Illustrators einzubetten weiß in seine Philosophie der Gegenseitigkeit aller Lebewesen dieser Erde. Er stellt fest, dass das Naturgetreue in Brandstetters Bildern heute wieder ein Wert ist, den die Menschen schätzen, jetzt, da das, was da abgebildet ist in all seinen Details, verschwindet. »Die Schönheit der Bilder ist ein Echo auf die inmitten des Lebens empfangene Schönheit und schenkt sie zurück.«

Bis ins Kleinste erklärbar

Da sitzen sich Feldhase und Fuchs auf einer Doppelseite gegenüber und jedes einzelne Haar in ihren Pelzen ist da, wo es eben hingehört – das Fell ist auserzählt, würde man dazu sagen, handelte es sich um Literatur. Diese Details sind anrührend und machen die Tiere in ihren Ökosystemen wieder zu dem, was sie sind: Keine Wunder, aber wunderbar und faszinierend. Eine Faszination, die sich nicht auf Zauberei und Verschleierung gründet, sondern, im Gegenteil, auf das bis ins kleinste Teilchen erklärbare Zusammenspiel von Materien. Kein Kitsch, der hier wirkt, sondern Natur, wie sie eben ist. Oder, wie Brandstetter selber sagt: »Ich verbinde Verliebtheit und Forschergeist.«

Aber auch, was heute nicht mehr ist, hat der Illustrator gezeichnet, um es zu bewahren. Dodos und Dinosaurier, und die abholzten Silberweiden der Inn-Auen. Und ganz richtig schlussfolgert Weber schließlich auch: »Eine Kunst, die ›Über Leben‹ handelt, übernimmt die politische Verantwortung in dem Moment, in dem sie ästhetische Position bezieht. Der Kern beider ist die kosmische Verpflichtung, Leben zu spenden. Wird sie eingehalten, bleibt diese Welt unsterblich – und erneuert sich in jedem schöpferischen Augenblick.«


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