Bisher hielt sich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung zurück mit Äußerungen zur Silvesternacht in Connewitz. Nun fordert er eine politische Aufarbeitung der Geschehnisse – aber erst nach dem OBM-Wahlkampf.
kreuzer: Brauchen wir im Fall Connewitz neben der juristischen auch eine politische Aufarbeitung der Geschehnisse der Silvesternacht?Burkhard Jung: Ich halte das eigentlich für zwingend. Ich will nicht damit hinter dem Berg halten, ich hatte unter vier Augen ein langes Gespräch mit dem Polizeipräsidenten, wo ich ihn natürlich befragt habe, zur Strategie und zur … Fangen wir mal anders an. Erst mal: ganz klare Solidarität mit dem Opfer. Das muss ganz klar sein. Da darf nichts wackeln, da muss ganz klar sein: Man tritt nicht auf einen Menschen ein. Und zweitens, natürlich habe ich im Rechtsstaat die Aufgabe, kritisch zu hinterfragen. Die Polizei ist doch kein Heiliger. Was habt ihr getan? Wie ist eure Strategie? Was für Verlautbarungen kommen da und ist das vielleicht überzogen worden? Was können wir für die Zukunft daraus lernen? Die dritte Ebene ist: Wie können wir zivilgesellschaftlich und politisch diskutieren, was in einem solchen Raum möglich ist, was nicht möglich ist und welche Akteure wir bewegen müssen?
kreuzer: Wie soll das passieren?Jung: Wir müssen reden. Erstens zur Gewaltfrage. Das ist wirklich dran. Es darf keine klammheimliche Freude im Raum stehen, so nach dem Motto: »Das haben die nun davon.« Nein! Nehmen wir mal an, nehmen wir nur mal an, die Polizei hat provoziert. Wenn ich links bin – dann darf ich mich nicht provozieren lassen! Das ist das eine. Das andere ist, die politische Debatte zu führen. Was sind die Grenzen der politischen Äußerungen einer Polizei? Die müssen wir vorher miteinander vereinbaren, was geht und was nicht geht. Müssen wir doch ein Versammlungsverbot in der Neujahrsnacht verhängen, oder ist das genau die falsche Antwort? Geht es um ein zentrales Fest, das wir feiern müssen? Anstatt zu böllern und jeder macht alkoholisiert seine Raketen-Abschießerei, die ja eigentlich unerträglich ist? Die Debatte müssen wir führen. Aktuell ist die Diskussion sehr überhitzt und vom Wahlkampf geprägt. Es ist ja unerträglich, wie dieser verletzte Polizeibeamte plötzlich zum Wahlkampftheater wird. Das ist völlig unangemessen.
kreuzer: Ist das denn ein Wahlkampftheater?Jung: Ich finde, es ist eine Unverschämtheit. Dem Oberbürgermeister von Leipzig die Gewaltexzesse am Connewitzer Kreuz in die Schuhe zu schieben. Das ist doch ein Skandal.
kreuzer: Wer hat das gemacht?Jung: Die CDU Leipzig. Ich sei verantwortlich für die Gewaltbereiten in Connewitz. Was für ein Quatsch. Darüber müssen wir reden. Aber das wird man wahrscheinlich bis zum 1. März (nach einem möglichen zweiten Wahlgang der OBM-Wahl, d. Red.) nicht vernünftig tun können. Ich sehe mich noch im UT Connewitz sitzen, wo wir eine Diskussion hatten zur Weiterentwicklung des Viertels. Wir müssen die Akteure hier an den Tisch holen und ganz offen mit der Polizei über Strategie reden. Wir haben im September 2020 das größte Gipfeltreffen in Leipzig, das diese Stadt je erlebt hat: den EU-China-Gipfel. Das muss vorbereitet werden. Wir wollen deeskalieren, wir wollen Ja sagen zu Europa und nicht in dieser Stadt eine Gewaltdebatte führen. Da braucht es eine politische Übereinkunft darüber, wie wir das Thema angehen.
kreuzer: Wenn Sie sagen, es muss eine politische Aufarbeitung geben, auch von Seiten der Stadt, planen Sie da konkret was?Jung: Ich würde das gerne in aller Ruhe vorbereiten, aber in diesen aufgeregten Zeiten, wo es um die Profilierung von Kandidaten geht, da sind wir gut beraten, erst mal den Wahlkampf zu Ende zu führen und dann mit der gebotenen Sorgfalt diese Gespräche vorzubereiten. Die Zivilgesellschaft, die Kirche, die Gewerkschaften, die Vereine, das Conne Island, das Werk 2 an den Tisch zu holen und zu sagen: Wir können doch nicht zulassen, dass ein ganz wunderbarer Stadtteil diskreditiert wird. Ganz Deutschland denkt, Connewitz ist Hafenstraße hoch zehn. Aber wir müssen die politische Debatte auch führen, was ist Polizeiaufgabe, was ist Stadtaufgabe und was ist eine zivilgesellschaftliche Diskussion, die nötig ist? Es ist nicht sakrosankt, was ein Polizeisprecher sagt. Ich muss doch in einem Rechtsstaat die Frage stellen dürfen: Habt ihr euch richtig verhalten? Wie ist eure Taktik? Seid ihr vielleicht über das Ziel hinausgeschossen? Das alles muss auf den Tisch.